
Wie sollten Firmen ihre Lieferketten gestalten? Wie können wir Start-up-Ökosysteme organisieren? Oder, noch viel genereller: Wie sollten wir in Zukunft wirtschaften? Wie geht man um mit Multikrisen? Wie fördert man Innovationen?
Das sind Fragen, die in der Ökonomik behandelt werden müssen. “Doch sucht die gegenwärtige Management-Forschung kaum nach Antworten darauf. Das muss sich ändern”, fordern Christoph Seckler und René Mauer in einem FAZ-Gastbeitrag.
Seit einigen Jahren beschränke sich die Forschung vor allem auf erklärende Forschung. Statt sich also Ideen für die Gestaltung der Zukunft zu machen, werde in die Vergangenheit geschaut, um die Gegenwart zu erklären.
“Die Folgen dieser einseitigen Forschung sind gravierend. Die Management-Forschung wird immer weniger relevant für Unternehmen und ihre Lenker. Diese Problematik wird auch von Management-Forschenden erkannt und diskutiert. Die Antworten darauf sind meist jedoch nur darauf aus, weiterhin erklärende Forschung zu betreiben, nur mit einem anderen Schwerpunkt”, so die beiden Wissenschaftler von der ESCP Business School in Berlin.
“Die Autoren haben Recht. Aber es wird sich nicht ändern. Mit praxisorientierten Beiträgen kommt man nicht in die Top-Zeitschriften. Und für die Reputation der Forscher sind Artikel in diesen Zeitschriften entscheidend”, kommentiert Hidden-Champion-Forscher Hermann Simon.
Erklärungsversuch von Professor Winfried W. Weber:
„Warum geht der Einfluss der Wissenschaftler auf das Management zurück? Die Antwort darauf ist verblüffend einfach. Wenn wir Management als Funktion der Organisation sehen, das Differenzen verstärkt oder mindert – viel oder wenig Gewinn, innovative oder inkrementelle Produkte und dergleich -, behält der effektivste Beobachter des Managers den Überblick und kann es beeinflussen. Und dieser Beobachter ist heute eher der Berater als der Wissenschaftler“, erläutert Weber.
Wobei damit nicht die klassischen Berater gemeint sind, sondern eher die „Managementphilosophen“. Und diese Managementdenker brachten und bringen Vielfalt, Paradoxien und Kursabweichungen ins Spiel. Sie entwickeln Thesen und Ansätze, die das Managementwissen voranbringen.
„Durch die Verbindung zur Organisationstheorie und zu den Praktikern entwickeln die Managementphilosophen ein Gespür dafür, welche Themen anschlussfähig sind und welche nicht. In diesem Sinne bewirken sie mit ihren Moden eine Pendelbewegung in der Management-Professionalisierung. In sozialen Systemen, die nie ganz verstanden werden, kann es auch nie einen ‚one-best-way‘ geben“, betont Weber.
Innovationen könnten für Unternehmen gerade dann entstehen, wenn sie von Externen auf den blinden Fleck ihres Clusters, ihrer Branche oder ihres Unternehmens aufmerksam gemacht werden.
Das gelingt eben nur mit der nötigen Portion Überraschung und Chaos, die bei den pseudo-rationalen Ökonomen gerade nicht zu erwarten ist. Führungskräfte suchen neue Handlungsalternativen eher in interpretativen Ansätzen. In diesem Kontext sei der chaotische Denkstil mancher Managementdenker dem Praktiker näher als dem Logiker. Und dann kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu:
Ohne das Gespür für das Coole und Neue habe kein Managementphilosoph Zugang zum Top-Management, so Weber:
„Managementphilosophen verdienen ihr Geld als Coolhunter, ähnlich wie Cayce Pollard, die Protagonistin in William Gibsons Roman ‚Pattern Recognition‘. Sie versuchen Muster zu erkennen, wo es noch keine gibt. Sie versuchen die Aufmerksamkeit ihrer Kunden auf etwas zu lenken, was es noch gar nicht gibt. Und: Sie versuchen Muster zu gestalten. Die Romanheldin Cayce sowie die Managementphilosophen bewegen sich in Zwischenräumen, in denen noch etwas entstehen ist“, schreibt Weber.
Resümee von Weber: Der Einfluss der Wissenschaftler schwindet. Antworten suchen Unternehmen eher bei den Managementphilosophen und da fallen dann altbekannte Namen wie Peter F. Drucker, Hermann Simon und Fredmund Malik.
Bei vielen anderen Beratern dominieren leere Begriffe im Einzelfall-Empirismus: Meinung-Glaube-Esoterik, das ist der Dreiklang heutiger Laber-Rituale. Es wird den Worthülsen irgendein “Spin” eingehaucht, der ihnen nicht nur die ursprünglichen Bedeutung entzieht, sondern sie mit bestimmten Interessen auflädt. Sie werden vereinfacht, in den Fluss bestehender Argumentslinien verwoben, in ihrer Gestalt verändert, weichgekaut oder gar ins Gegenteil verkehrt.
Gespickt wird das Ganze mit tautologischen Sätze, die empirisch nicht widerlegt werden können. Ein rhetorischer Taschenspieler-Trick: Wenn ich die Nichtexistenz Gottes nicht beweisen kann, ist das der Beweis für die Existenz. Man stülpt den Beratersprüchen eine Glocke der Immunität über zum Schutz vor Zweifeln und Kritik. Da diese konstruierte Fassade jederzeit zusammenbrechen kann, springen manche Managementberater schnell zur nächsten tautologischen „Theorie“.
„Ein stetig auf- und abschwellender Zyklus von Managementmoden ist konsequenterweise die Folge“, so Professor Lutz Becker.
Interessant auch: