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KI und Automatisierung: Schmeißt die Osborne-Frey-Studie in den Mülleimer

Automatisierung – Mehr als ein Hype? Über das Wechselspiel von Mensch und Maschine: Über dieses Thema diskutierten wir im vergangenen Jahr beim Evening Talk in Kooperation mit @piqd_de in Berlin. Mit dabei waren Mads Pankow, Axel Oppermann und IBM Automation-Expertin Heike Figge.

Über welches Ausmaß sprechen wir überhaupt, wie gravierend ist der Wandel und sind die Auswirkungen für die Arbeitnehmer? Davon ausgehend natürlich auch die Frage, wie Arbeit in Zukunft aussehen könnte? Fast die Hälfte aller Arbeitsplätze sei durch den technischen Wandel gefährdet. Wir kennen diese verkürzte Darstellung unterschiedlicher Studien, die in den vergangenen Jahren öffentlich präsentiert wurden. Etwa die viel zitierte Studie von Osborne und Frey (2013). So sollen 47 Prozent der im Jahr 2010 in den USA ausgeübten Berufe in den nächsten zehn bis 20 Jahren von der Ersetzung durch Maschinen bedroht sein. Die Forscher bewerteten 702 Berufe nach ihrer Automatisierungswahrscheinlichkeit. Osborne und Frey sprechen allerdings von den Fähigkeiten am Arbeitsplatz, die sich in Zukunft radikal ändern werden.

Wie realistisch sind die Prognosen von Osborne und Frey?

Nur wie sieht die Realität wirklich aus? Wie viele von diesen 47 Prozent aller Jobs wurden seither bereits wegautomatisiert, fragt „Die Presse“ in einem sehr interessanten Interview mit Carl Benedikt Frey. Seine Antwort:

„Nicht sehr viele. Und ich hätte das auch nicht erwartet. Das Papier, welches wir 2013 veröffentlichten, beinhaltete eine Schätzung des potenziellen Ausmaßes der Automatisierung. Wir sagten uns: Das sind jene Bereiche, in denen Computer noch sehr schwache Leistungen bringen, also in Kreativität, komplexer sozialer Interaktion, in Wahrnehmungs- und Manipulationsaufgaben. Und wir schätzen, dass 47 Prozent aller Jobs nicht sehr stark von diesen Eigenschaften geprägt sind. Weiters haben wir untersucht, wie Entscheidungen zu automatisieren, gefällt werden.“

Und ein Punkt ist noch viel wichtiger. Sein Rat an die Politik, Arbeitsmärkte fit für die neuen Technologien zu machen:

„Die wichtigste Beobachtung ist: Seit gut drei Jahrzehnten ist in fast allen Staaten die Besteuerung von Arbeit im Vergleich zu jener von Kapital stark gestiegen. Man hat die Körperschaftsteuersätze gekürzt. Allein durch die Steuerpolitik hat man also Anreize geschaffen, menschliche Arbeitskraft durch technologische Innovationen zu ersetzen. Das müsste man also als Erstes angehen“, sagt Frey. Und da liegt er goldrichtig.

Boes-Sohn-Kontroverse

Seine erste Antwort zur Automatisierung erinnert ein wenig an die Boes-Sohn-Kontroverse – so nenne ich mal die Diskussion, die ich mit Andreas Boes vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung geführt habe. All das, was als Szenarien für die Zukunft durch den Einsatz von KI gesagt wird, kann für die Gegenwart nicht klar benannt werden. Noch nicht einmal in Ansätzen. Auch nicht die angebliche Rückständigkeit Deutschlands in der KI-Forschung und bei der Anwendung von KI im Vergleich zu den USA und zu China.

Hört auf mit den KI-Phrasen

“Gerade weil Diskussionen über Zukunftsszenarien allzu oft ahistorisch geführt werden, rutschen sie nicht selten, ohne sich dessen bewusst zu werden, in überkommene Denkmuster hinein. Vielleicht besteht der beste Gewinn des Rückblicks auf die vielen Fehlprognosen der Vergangenheit darin, das Neue der Gegenwart schärfer ins Visier zu nehmen und sich von eingefahrenen Gewohnheiten der Zukunftsschau zu befreien. Dazu gehört auch, über technische Innovationen möglichst konkret zu reden”, fordert der Historiker Professor Joachim Radkau in seinem Opus “Geschichte der Zukunft”, erschienen im Hanser Verlag.

Überprüfen wir also die so inflationär verbreiteten Wunderthesen über die Wirkung der KI mit dem Status quo. Da kommt der eine oder andere Protagonist bei seinen Prognosen direkt ins Stottern. Das ist doch ein schöner Anlass für Führungskräfte der Unternehmenswelt, etwas konkreter über Projekte der Digitalisierung zu sprechen und sich vom Phrasenjargon zu verabschieden.

Belegschaft sieht klarer als die Führungskräfte

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterscheiden doch sowieso schon klarer Wunsch und Wirklichkeit, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt. Titel: Wie digital sind die Unternehmen in Deutschland? Ergebnisse einer repräsentativen Befragung unter Erwerbstätigen. Demnach nehmen rund 60 Prozent der Befragten ihr Unternehmen nicht als digital fortgeschritten wahr. 38 Prozent geben zu Protokoll, dass sie in einem „etwas digitalen“ Umfeld arbeiten. Jeder fünfte Erwerbstätige sagt, dass eigene Unternehmen kaum oder noch nicht in der digitalen Welt angekommen ist.

Generell sind die Erwerbstätigen offener gegenüber der digital bedingten Veränderung ihrer Arbeit eingestellt, als dies gemeinhin in Führungskräfte-Studien dargestellt wird. „Es sind vielmehr die Unternehmensführungen, die dieser Offenheit nicht durch entsprechende digitale Werkzeuge oder Konzepte wie mobiles Arbeiten begegnen“, so die Studienautoren der Bertelsmann-Stiftung. Wer allerdings die Digitalisierung für Automatisierungsphrasen instrumentalisiert, darf sich über Widerstände in den eigenen Reihen nicht wundern. Fazit einer Berliner Diskussionsrunde über die Studie, an der ich teilnahm: Es bedarf einer medialen Gegenöffentlichkeit jenseits der üblichen Führungskräfte-Studien, da diese die falschen Signale senden.

Erste Maßnahme: Schmeißt die Osborne-Frey-Studie in den Mülleimer.

Zweite Maßnahme: Besonders in der Corona-Krise sollten wir uns auf die Fähigkeiten und Qualitäten der Menschen besinnen und Ideenpotenziale zur Bewältigung der Weltwirtschaftskrise wecken. Oder in den Worten von Next Act-Denker Winfried Felser:

„Durch die Demokratisierung von Kompetenz und Entscheidungen sorgt man für das Heben von Potenzialen.“

Dritte Maßnahme: In der Krise sind KI-Systeme relativ nutzlos. Sie sind leer. Jetzt sind Szenarien gefragt, die von Menschen ausgedacht werden müssen. Es gibt kein Regelbuch, in das man schauen kann. Deswegen sind Disput, Debatte und Meinungsstreit wichtig, um eigentlich unentscheidbare Fragen entscheiden zu können – in Verantwortung und Freiheit.

Vierte Maßnahme: Ich vertraue nicht auf Hulli-Wulli-Rosa-Wolken-Vorhersagen: „Best-Case-Szenarien sind in Krisensituationen nicht hilfreich und erweisen sich häufig als Wunschdenken. Der Schweregrad der Rezession ist eine Funktion der Dauer des Lockdowns: Je länger die Einschränkungen andauern, desto dramatischer sind die wirtschaftlichen Auswirkungen“, so Bernhard Steimel.

Fünfte Maßnahme: Jetzt ist Wirtschaftspolitik als Staatskunst gefragt: “Ich hoffe, dass der Schock eine politische Debatte auslösen wird. Ich wünsche mir, dass diskutiert wird, wie Wirtschaftspolitik ausgerichtet werden muss, um die verschiedenen Engpässe und Problemlagen, die man in der Coronakrise beobachten kann, besser in den Griff zu kriegen. Wichtig sind da reduzierte Abhängigkeiten von globalen Lieferketten, ohne dabei in feindlichen Protektionismus zurückzufallen. Ich glaube, dass wir tatsächlich regional integrierte Produktionsnetzwerke brauchen, allein aus ökologischen Gründen. Denn auch in der Coronakrise sollten wir die Zivilisationskrise des Klimawandels nicht vergessen”, so der Industriesoziologe Florian Butollo.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

6 Kommentare zu "KI und Automatisierung: Schmeißt die Osborne-Frey-Studie in den Mülleimer"

  1. Ja mal schaun ob ich hier was sagen kann … also: wenn ich Deinen Post hier Geschwurbel genannt hätte, könnte ich verstehen dass Du den Kanal dicht machst. Aber ich meinte damit die schon 30 Jahre bestehende Tendenz, diverse technologische Innovationen einerseits zu Wunderdingen zu erklären, gleichzeitig aber zu behaupten dass die auf keinen Fall so viel Arbeit erledigen, dass dann plötzlich ein paar Leute zu viel auf der Gehaltsliste stehen. Das Grundprinzip ist seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden das gleiche mit allen Tools, seit dem der Mensch ein tool-making animal ist: tools bauen, Werkzeuge bauen, Arbeit tun, Arbeit vorleisten, um Arbeit einzusparen. Die Frage ist nur, ob dann auch immer neue Arbeit nachwächst sozusagen. Das war bisher so, es mehren sich aber die Symptome dass es in näherer Zukunft nicht mehr so sein wird. Alles automatisieren was automatisiert werden kann – da sollte man besser von ausgehen dass es so ist, denn wer sollte verhindern, dass etwas automatisiert wird, was automatisiert werden kann? Es sind letzten Endes die Kosten die entscheiden, und früher oder später ist Maschinenarbeit immer billiger, außer man bewegt sich wieder zurück zur Sklavenarbeit. – Die Frage wie man jetzt auf die Corona-Krise reagiert, steht ja auf einem ganz anderen Blatt. Vollkommen klar: reduzierte Abhängigkeiten von globalen Lieferketten ist wichtig, regional integrierte Produktionsnetzwerke sind wichtig. Das hat aber mit der Frage ob Automation Hype ist, nichts zu tun. Und was Prognosen angeht: der langfristige Trend ist immer auch normativ zu beschreiben, da sagt man auch, was vernünftigerweise der Trend sein sollte. In dem Sinne hat Kant einen Trend zum “ewigen Frieden” gesehen. Das ist aber nicht unbedingt das, was empirische Daten hergeben, die man im Sinne einer kurzfristigen Prognose auswertet. Der Trend zur Einsparung von Menschenarbeit kann durchkreuzt werden durch den Trend zu Bullshit-Jobs, oder eben durch den Trend zu Lohnkürzungen und -stagnation. Das ist aber nicht der Trend der Vernunft sozusagen.

    Stimmt’s nicht? VG

  2. Ich erkläre hier keine Wunderdinge, sondern dekonstruiere die Mythen der Effizienzschwurbler, die irgendwelche Behauptungen über KI oder Automatisierung in die Welt setzen. Und Deine Ableitungen sind falsch. Also der Trend zu Bullshit-Jobs und zu Lohnkürzungen. Du baust einen Determinismus auf, der schlichtweg nicht den Tatsachen entspricht.

  3. Siehe auch das Opus des Historikers Professor Joachim Radkau “Geschichte der Zukunft”

  4. was würdest Du denn sagen, wozu man Technologien, die das Potenzial besitzen, die Arbeit zu erleichtern (ergo Arbeit einzusparen) einsetzen sollte? sollte man sie überhaupt nicht einsetzen? bisher war es eigentlich immer so: wenn die Arbeiterstunde 50 Euro kostet, und die Roboterstunde kostet 20 Euro, und der Roboter leistet das gleiche, wird der Roboter eingesetzt, oder nicht? Und wenn die Arbeiterstunde in Rumänien 15 Euro kostet, kauft man die Arbeiterstunde in Rumänien, oder nicht?

    OK ich will auch niemanden auf die Nerven gehen. Es geht mir darum dass wir als Kultur sage ich mal, in einer Lage stecken, in der man wissen sollte wie man da heraus kommt.. Insofern finde ich es wichtig und nützlich dass es Debatten und Geankenaustausch darum gibt. Argumente sind ja dazu da, dass man sie sich um die Ohren haut, um dabei klüger zu werden. So ist jedenfalls der Sinn des Erfinders.

  5. Und wenn Deine Äquivalenz-Rechnung ein Hirngespinst ist? Warum ist denn die Osborne-Frey-Studie schierer Unsinn?

  6. ich wiederhole eine Frage, auf die mir noch die Antwort fehlt, um Deine Position verstehen zu können: was würdest Du denn sagen, wozu man Technologien, die das Potenzial besitzen, die Arbeit zu erleichtern (ergo Arbeit einzusparen), einsetzen sollte? sollte man sie überhaupt einsetzen? Oder sollte man sie nicht einsetzen? Besitzst Du übrigens eine Waschmaschine? Oder eine Spülmaschine? Oder einen Computer, mit Textverarbeitung?

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