Gichtlingskolumne über die Hashtag-Ökonomie und (digitale) Stecknadel-Weisheiten im Management

Wo wir gerade auf der Suche nach einem Hashtag für die Zukunft sind. Ich mache jetzt häufiger einen Rückblick auf meine Gichtlingskolumne für das früher mal gute Debattenmagazin „The European“. Da habe ich vor fünf Jahren etwas über die „Hashtag-Ökonomie vs. Organisation“ geschrieben:

Es gibt kaum noch eine Organisation in Wirtschaft und Politik, die nicht via Twitter oder Facebook im Social Web aktiv ist. Man gibt sich nach außen social und nach innen bleibt alles beim Alten. Die Kommunikation läuft zentralistisch und wird von Direktoren, Abteilungsleitern sowie Chefs zentralistisch dirigiert. Auftritte in sozialen Medien werden mit offiziösen Inhalten und Marketing-Blabla verstopft, kritisiert Digital-Naiv-Blogger Stefan Pfeiffer: „Man muss als Unternehmen auch bereit sein, zumindest etwas Kontrolle abzugeben und gewisse Risiken in Kauf zu nehmen.“

Das Internet sei in seinen Wurzeln anarchistisch, unstrukturiert, eine vernetzte Struktur und eben genau keine kontrollierbare Instanz.

Man muss als Unternehmen endlich begreifen, dass die Methoden des Industriezeitalters immer weniger greifen – und das gilt nicht nur für die Kommunikation.

Stecknadel-Weisheiten in einer arbeitsteiligen Welt

Die Ursache für diese Konservierung von Dampfmaschinen-Prinzipien liegt sogar noch vor dem Zeitalter der Industrialisierung. Sie stecken tief in der marktwirtschaftlichen Theorie, die Adam Smith in seinem Hauptwerk „Wohlstand der Nationen“ 1776 am Beispiel einer Stecknadelfabrik (!) erläutert. Die arbeitsteilig organisierte und hierarchisch gegliederte Unternehmung sei der Motor für Produktivität sowie Effizienz. Ohne Arbeitsteilung könne der Einzelne keinen Überfluss erwirtschaften, der es ihm erlaubt, am Markt teilzunehmen. Hat sich an diesen Lehrsätzen irgendetwas geändert? Professor Martin Kornberger sieht in den kapitalistischen Prinzipien, die Adam Smith im 18. Jahrhundert zu Papier brachte, die Hauptgründe für das höchst dilettantische Management des digitalen Wandels. Es habe sich ein Widerspruch eingeschlichen, der uns selbst im 21. Jahrhundert noch beschäftigt.

Die Widersprüche des Kapitalismus

„Auf der einen Seite ist der Kapitalismus ein Gesellschaftsentwurf, der auf der Ordnung des freien Marktes beruht. Auf der anderen Seite beruht der Kapitalismus auf Produktivität und Effizienz, die sich nur im Rahmen einer hierarchischen Struktur erzielen lässt“, schreibt Kornberger in seinem neuen Buch „Management Reloaded – Plan B“, erschienen im Murmann-Verlag.

Die Vision einer freien Marktordnung von Adam Smith führt direkt in eine hierarchische Organisationsgesellschaft. Die Hierarchie ist aber der Anti-Markt par excellence. Der Unternehmer, der sich so gerne als Patron des freien Marktes inszeniert, ist in Wahrheit der autoritäre Einpeitscher von zentraler Planung. „Aller liberalen Rhetorik zum Trotz setzt sich die freie Marktwirtschaft in Wirklichkeit aus unzähligen kleinen Planwirtschaften zusammen“, erläutert Kornberger. Der wahre Antipode des Marktes sei daher nicht der Staat, sondern vielmehr die hierarchische Organisation und ihr Management.

Der Manager als Bürokrat

Als Ergebnis dieser Marktlogik ist der Manager nichts anderes als ein Bürokrat mit dem Büro als Zentrum seines Handelns in Schrift und Wort: Zahlen, Diagramme und Pseudo-Strategien. Er presst die polymorphe Welt in ein zweidimensionales Format und präsentiert seine Wirklichkeit in Prozess-Diagrammen und semantischen Leerformeln des Effizienz-Jargons. Sein Antrieb ist die Beherrschbarkeit und nicht das Chaos oder der Kontrollverlust. Es entstehen Doppeldeutigkeiten, die niemals mit der komplexen Welt harmonisieren. Um seine Interpretationshoheit nicht zu verlieren, schreibt er am laufenden Band neue Reports, Kennzahlen, Indikatoren und beauftragt neue Evaluierungen. Die liebwertesten Gichtlinge des Managements produzieren in ihrem Kontrollwahn neue Unsicherheiten und Unübersichtlichkeiten, die Organisationen lähmen und zu Verkrustungen führen.

Trutzburgen des Managements

„Wie einen Patienten auf der Intensivstation verkabelt der Manager die Organisation, hält sie mit Messinstrumenten unter Beobachtung und sammelt Informationen, wo und wie er nur kann“, so Kornberger. Der Schreibtisch, sein Laptop und bunte PowerPoint-Folien sind die Trutzburg des Managers. Jede Anstrengung zur Optimierung des eigenen Ladens folgt den Kontroll-Illusionen seiner Wirklichkeitsreduktion: Führungsphilosophien, Motivationstheorien, flache Strukturen, Empowerment, Innovation Labs oder firmeninterne Denkfabriken sind die Placebo-Medikamente seiner Planungsbürokratie. Am stahlharten Gehäuse der Hörigkeit ändert das nichts, bemerkt der Soziologe Klaus Janowitz in Anlehnung an Max Weber beim Netzökonomie Campus in Bonn.

Manager sollten in der Netzwerk-Ökonomie eher wie Architekten arbeiten, fordert Kornberger, Professor für Strategie und Organisation.

Plädoyer für vernetzten Individualismus

In einer vernetzten Wirtschaft liegt die Aufgabe des Managers eher bei der Bereitstellung einer Infrastruktur, die Dritten erlaubt, miteinander zu arbeiten, ohne auf einen über ihnen stehenden Manager als allwissenden Koordinator angewiesen zu sein. Es geht eher um das Matchen, Moderieren und Managen – also um das Leitmotto der “Next Economy Open” (die in diesem Jahr, also 2019, vom 26. bis 28. November stattfindet). Es geht um Orte des Austausches, um Zonen der Konzentration, um Übungen, Verknüpfungen und Möglichkeitsräume.

Janowitz spricht sehr treffend von der „Hashtag-Ökonomie“ als Gegenentwurf zur durchorganisierten Gesellschaft. Es geht um Verbindungen von Neigungen und Interessen. Es geht um vernetzten Individualismus fernab von Reports, Indikatoren, Kennzahlen und Excel-Tabellen, die nur Ausdruck der Hilflosigkeit in einer vernetzten Welt sind.

Wer Hashtags für die Zukunft sucht, findet sie hier.

Die Gichtlingskolumnen funktionieren nach wie vor sehr gut 🙂

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