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Künstliche Intelligenz zwischen Größenwahn und praktischem Nutzen – Über den KI-Kritiker Joseph Weizenbaum

Heute startet der Dokumentarfilm “Plug & Pray”, der sich kritisch mit den Obsessionen der Forscher für Künstliche Intelligenz (KI) beschäftigt. Im Mittelpunkt steht der großartige Berliner Wissenschaftler Joseph Weizenbaum. Er zählte zu den legendären Persönlichkeiten der Forschungsszene für Künstliche Intelligenz (KI). Der “Pionier, Dissident und Computerguru”, der als Professor für Computerwissenschaften am MIT in Cambridge unterrichtete und später wieder nach Berlin zurückkehrte, entwickelte 1966 ein Computerprogramm namens Eliza, das einen einfachen Dialog mit einem Menschen führen konnte. Das Projekt spielt auf Eliza Doolittle aus George Bernhard Shaws Schauspiel Pygmalion an: “Meine Idee war, dass mein Sprach-Analyse-Programm in seiner sprachlichen Ausdrucksweise immer besser, also differenzierter, genauer und raffinierter werden würde, genau wie die Blumenverkäuferin aus dem Musical, unter der Anleitung ihres Lehrers Professor Higgins”, erläuterte Weizenbaum in einem Interview, das ich ein Jahr vor seinem Tod mit ihm führte.

Frank Patalong von Spiegel Online hat das Kino-Opus besprochen: “‘Plug & Pray’ ist kein Film über Weizenbaum. Er ist eine filmische Diskussion über große Themen: Fortschritt und Größenwahn, Sinn und Menschlichkeit, Verantwortung, Technologie und Kultur. In diesem Themenfeld gibt Weizenbaum ein letztes Mal die Rolle, die er seit Anfang der Siebziger Jahre spielte: Die bestens informierte Unke, Mahner und Bewahrer gegen einen Fortschrittsglauben, der seiner Meinung nach auf einem falschen Menschenbild fußt und die Frage nach den Folgen zu oft nicht einbezieht.”

Es kommen einige KI-Stichwortgeber zu Wort, bei denen verständlich wird, warum Weizenbaum, der im März 2008 verstarb, immer skeptischer wurde: Da sagt etwa der japanische Robotiker Minoru Asada sachlich: “Durch meine Forschung möchte ich begreifen, wie die menschliche Entwicklung abläuft. Ich möchte mich dem Mysterium Mensch nähern….Dafür gibt es verschiedene Technologien…..Man wird dieses ‘Nur Gott ist allmächtig’ auch in religiöser Hinsicht überdenken müssen.” Den Film werde ich mir auf jeden Fall ansehen.

Ich hatte nicht nur das Vergnügen, mit Joseph Weizenbaum ein längeres Gespräch zu führen, sondern konnte auch eine Diskussionsrunde mit ihm und Professor Wolfgang Wahlster, Direktor des Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, organisieren.

Weizenbaum stellte sich im Laufe seiner Karriere immer kritischere Fragen über die gesellschaftlichen Folgen der Fortschritte in der Computertechnik. Was ihn im Kern immer mehr bewegte, war die Frage nach der Wechselwirkung zwischen technischer Entwicklung und gesellschaftlichen Veränderungen. Dabei kritisierte er auch bei dem Expertengespräch mit Wahlster nicht die technischen Möglichkeiten grundsätzlich, sondern die teilweise religiös anmutende Gläubigkeit in die Naturwissenschaften. „Die Extremisten, die Ideologen der Künstlichen Intelligenz, versuchen, Gott zu spielen. Da muss man von Grössenwahn, buchstäblich von Wahnsinn sprechen.“

Wahlster sieht die KI-Forschung, zumindest in Deutschland, nicht auf diesem Entwicklungspfad. Im Vordergrund müsse eine “Informatik für den Menschen” stehen: die Schaffung intelligenter Technologien für die Mensch-Technik-Interaktion, die den natürlichen Kommunikationsstil von Techniklaien akzeptieren, einen direkten Dialog mit der Technik unterstützen und damit Hemmschwellen bei der Nutzung von Hochtechnologie abbauen.

„Semantische Technologien überbrücken die Lücke zwischen der Fachsprache der Informatik und den Sprachen ihrer Anwender, weil sie es erlauben, verschiedene Begriffssysteme ohne Bedeutungsverlust ineinander zu übersetzen. Automobilingenieure, Medizintechniker oder Logistikexperten sind mit semantischen Technologien in der Lage, ihr Wissen und ihre Prozessmodelle digital in der eigenen Fachsprache zu formulieren, ohne die speziellen künstlichen Sprachen zur maschinellen Wissensrepräsentation erlernen zu müssen“, betonte Wahlster. Hier setzte auch Lupo Pape an, Geschäftsführer von Semanticedge in Berlin und ebenfalls Teilnehmer der Expertenrunde. Das Ziel der Sprachdialoge sei es, den Erwartungen des Menschen so nahe wie möglich zu kommen.

Die Kritik von Weizenbaum hat sich nach seiner auf die KI-Forschung positiv ausgewirkt: “Es geht nicht mehr darum, in den konstruierten Computern oder Robotern den besseren Menschen zu erkennen und auf eine postbiologische Welt zuzusteuern. Das sind Wahnvorstellungen. Heute geht es darum, dass sich der Mensch nicht länger dem Computer anpassen muss. Die Informationstechnik muss sich an den Menschen anpassen. Softwaresysteme müssen daher intelligenter werden, damit sie besser verstehen, was der Mensch von ihnen will und damit sie sich umgekehrt dem Menschen einfacher verständlich machen: Das gilt besonders für die automatische Spracherkennung per Telefon. Es geht nicht um eine Nachahmung der Kommunikation zwischen Menschen, sondern um eine angemessene Behandlung des Menschen im Dialog mit dem Computer”, so Pape.

Auch Wahlster rückt die humanistischen Ziele in den Vordergrund seiner Forschungsarbeiten. “Die semantische Wende ist die größter Herausforderung für die Informatik in den nächsten Jahren. Nicht die Interaktion über komplizierte Kunstsprachen mit Tastatur und Maus, sondern die Kooperation in der Alltagsbegrifflichkeit mit Sprache und Gestik sollen in Zukunft im Zentrum einer ‘Informatik für den Menschen’ stehen”, sagt Wahlster. Deshalb übersetzt er die KI eher als künftige Informatik. „Die Zeiten der KI-Gurus, die irgendeine Methode als Allheilmittel propagierten und nur anhand einer Spielzeugwelt demonstrierten, sind seit vielen Jahren vorbei – wie auch im Rest der Informatik“, so Wahlster.

Eine Weltherrschaft der Künstlichen Intelligenz sei nicht angebrochen, dafür seien in den vergangenen fünf Jahrzehnten allerdings einige wichtige und nützliche Durchbruchinnovationen gelungen. So konnte ein Computer den Schachweltmeister schlagen, Roboter könnten autonom den Mars explorieren, Telefondialoge zur Terminabsprache liessen sich automatisch übersetzen und ein fahrerloses Auto fahre durch unbekanntes Gelände.

Hier eine Liste der Kinos, die den Dokumentarfilm zeigen. Da werde ich wohl auf die DVD warten müssen 🙁

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

4 Kommentare zu "Künstliche Intelligenz zwischen Größenwahn und praktischem Nutzen – Über den KI-Kritiker Joseph Weizenbaum"

  1. Vielleicht braucht das Menschliche einfach “nur” Zeit. Leider fast immer mehr, als jeder von uns hat.

  2. Danke für den ausführlichen Beitrag. Der Film kommt zum Glück in München – ich werde ihn mir anschauen.

  3. Ich müsste von Bonn nach Düsseldorf fahren. Da warte ich lieber auf die DVD.

  4. Eine Anmerkung noch von mir: Der Film ist wirklich sehenswert, siehe meine Kurzkritik in meinem Artikel mit Verweis auf weitere Kritiken, diesen Artikel hier und einen weiteren Dokumentarfilm: Weizenbaum. Rebel at work..

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