Der semantische Atompilz von Herrn Brüderle – Wenn Sprachregelungen gespalten werden

So kann es laufen im politischen Neusprech-Betrieb in Berlin. Kanzlerin Merkel und Außenminister Westerwelle verkünden ein Atom-Moratorium, gleichzeitig betreibt Wirtschaftsminister Brüderle Klientelpolitik im Kreis der industriellen Gerontologen dieser Republik. Und dann hapert es halt mit den Halbwertzeiten politischer Worthülsen, die jeden Tag inflationär verbreitet werden: Im Haus der Deutschen Wirtschaft, gut zwei Kilometer vom Kanzleramt entfernt, trifft der Wirtschafts Industrie-Atom-Minister die Spitze der deutschen Industrie:

„Präsidium und Vorstand des Lobbyverbandes BDI sitzen im Amerongen-Schleyer-Saal zusammen, knapp 40 Bosse der mächtigsten Unternehmen des Landes. Gegen 13 Uhr, die Nachricht von der Kernschmelze läuft gerade über die Ticker, tritt Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle auf. Der FDP-Mann soll über Industriepolitik sprechen“, so die Süddeutsche Zeitung.

Das sitzen sie nun, die Herren des energiepolitischen Appells, die ich in meiner The European-Montagskolumne aufs Korn genommen habe:

„Sie halten an einer Großtechnologie von vorgestern fest, um die liebgewonnenen Pfründe ihrer oligopolistischen Macht zu bewahren. Mit einer zentralistischen Energieversorgung lassen sich sattere Renditen einfahren. Wo käme man denn hin, wenn Städte und Kommunen auf dezentrale und hocheffiziente Konzepte setzen würden, sich abkoppeln von den Stromkonzernen und damit unabhängiger das Energiemanagement regeln. Das stinkt nach mehr Wettbewerb, schwächt die Möglichkeiten für politische Muskelspiele und verringert das Spielfeld für die Lobbyisten der zerbröselnden Deutschland AG. Wer von den Preisrisiken eines Atomausstiegs redet, sollte über das Abwälzen von Kosten und Risiken der Atomenergie auf die Steuerzahler nicht schweigen. Würde man die Gesamtkosten in den Strompreis einrechnen und die Milliarden Euros an Fördergeldern für AKWs raus rechnen – Ökonomen nennen das Internalisierung externer Effekte – müssten wir schon längst weitaus mehr für eine Kilowattstunde berappen. Die Atomenergie bindet gigantische Finanzmittel, personelle Ressourcen und konserviert unwirtschaftliche Großorganisationen der Energiewirtschaft.“

Solche Gedanken kommen bei einem FDP-Minister wohl nicht mehr auf – peinlich bei einem Ministerium, das einst von Ludwig Erhard – dem Architekten der Sozialen Marktwirtschaft – geführt wurde. Man braucht sich ja nur den Schriftwechsel zwischen Erhard und Fritz Berg, dem damaligen BDI-Präsidenten, zur Frage des Kartellverbots anschauen. So etwas haben wohl FDP-Politiker aus ihrem Hirn gestrichen – sie betreiben reine Klientelpolitik. So und nicht anders ist die kontaminierte Rede von Brüderle im Haus der Deutschen Wirtschaft zu verstehen. Er verteilte Beruhigungspillen an die finster dreinblickenden Großindustriellen.

So beschreibt es zumindest die Süddeutsche Zeitung: „RWE-Chef Jürgen Großmann rennt zum Telefonieren raus, Eon-Chef Johannes Teyssen blickt finster. ‚Die wirkten wirklich überrascht‘, sagt ein Teilnehmer. Die Industrie verlangt Klarheit (über das Moratorium, gs)….. Ausweislich des Protokolls der Sitzung gibt Brüderle darauf eine folgenschwere Antwort: ‚Der Minister bestätigte dies‘, steht darin, ‚und wies erläuternd darauf hin, dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien.‘ Im Übrigen sei er, Brüderle, ein Befürworter der Kernenergie, auch mit Rücksicht auf Branchen, die besonders viel Energie verbrauchen. ‚Es könne daher keinen Weg geben, der sie in ihrer Existenz gefährde‘, befindet Brüderle laut Protokoll“, so die SZ.

Wie will so ein Minister, der wohl auch technologisch nicht auf der Höhe ist, eine Energiewende einleiten? Wenn Merkel auch an dieser Stelle wieder zur Tagesordnung übergeht, werden ihr nicht nur die Landtagswahlen am Wochenende um die Ohren fliegen. Dann sollte sie so langsam die Umzugskartons bestellen, um den Abflug aus dem Kanzleramt vorzubereiten.

Nachtrag:
Brüderle und der BDI dementierten inzwischen die Aussagen, die angeblich in der BDI-Runde geäußert wurden. Die Sicherheit der Kernkraftwerke habe für die schwarz-gelbe Regierung absolute Priorität. „Uns Wahlkampfmanöver vorzuwerfen, ist absurd“, so der Wirtschaftsminister – klingt irgendwie nach Gutenberg-Rhetorik. Der BDI sprach von einem Protokollfehler. Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf sagte: „Die Äußerung des Bundeswirtschaftsministers ist falsch wiedergegeben worden.“ Schnappauf sagte aber nicht, was genau falsch gewesen sei. Dann sollen die Teilnehmer der Runde doch jetzt mal unabhängig voneinander zu Protokoll geben, was der Wirtschaftsminister denn nun gesagt haben soll – wie konnte denn der Protokollführer so danebenliegen. Das Protokoll war am Mittwoch an rund 50 Mitglieder der BDI-Spitze verschickt worden. Sind so entscheidende Passagen nicht vorher überprüft worden – das Ganze stinkt doch zum Himmel.

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Anmerkung/Blattkritik an die Redaktion der SZ:
Ich hätte die Brüderle-Story heute nach oben gezogen – als erste Aufmacher-Geschichte auf Seite 1 und nicht die Tokio-Meldung über das verseuchte Wasser – das ist gestern über alle Nachrichtenkanäle hoch und runter gelaufen.

5 Gedanken zu “Der semantische Atompilz von Herrn Brüderle – Wenn Sprachregelungen gespalten werden

  1. Das Dementi von Brüderle und des BDI ist doch mehr als lächerlich: BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf erklärte zum Protokoll über die Sitzung des BDI-Präsidiums vom 14. März: „Es liegt ein Protokollfehler vor. Die Äußerung des Bundeswirtschaftsministers ist falsch wiedergegeben worden.“ Was hat er denn nun gesagt – wie kann man denn an dieser Stelle einen Fehler machen – hatte der Protokollant zuviel Schmalz in den Ohren? http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,752954,00.html

  2. Martin

    zu Blattkritik:
    Ja, habe mich auch gewundert, dass es nur der Kasten auf der SZ war, nicht der Aufmacher. Aber die Geschichte war natürlich auch nicht sehr lang. Wahrscheinlich kam sie zu kutzfristig, um sie mit Reaktionen etc. aufzupeppen?

  3. hier wird wohl versucht, die Schuld auf eine Tippse abzuwälzen…das zeigt, wie klein sich ein demokratisch gewählter Volksvertreter vor der Versammlung des Kapitals macht.

  4. @chrisse sehe ich genauso. Dann soll doch der Schnappauf mal dokumentieren, was Brüderle wirklich gesagt haben soll. Die Teilnehmer der Runde könnten zudem ja auch mal befragt werden…

    @martin der Artikel ist ja schon vierspaltig, mit einem Foto und einer entsprechenden Überschrift hätte man das hinbekommen. Aber wahrscheinlich kam das kurz vor Toresschluss ins Blatt. Ist ja auch nicht so wichtig. Nur am Kiosk hätte das einen besseren Effekt gehabt – aber ich ja nicht der Vertriebschef der SZ 😉

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