
Begehrtes Objekt beim Videocamp in Düsseldorf
Google Glass sei datenschutzrechtlich eine heikle Angelegenheit. In diesem Ton greift Curved den grottenschlecht gemachten Bericht des ARD-Magazins Kontraste auf. Es sei mit der Datenbrill sehr leicht, sich strafbar zu machen. Nutzer von Google Glass stünden nach derzeitiger Rechtslage bei öffentlichem Filmen schon fast mit einem Bein im Gefängnis.
Nach deutschem Recht sei es verboten, Aufnahmen von Menschen ohne deren Zustimmung zu verbreiten. “Wenn Ihr mit Google Glass die Straße entlanggeht und das ganze ins Netz streamt, wäre jeder Passant, an dem Ihr vorbeigeht ein potenzieller Kläger in einem zivilrechtlichen Unterlassungsprozess”, schreibt Curved und zitiert den Urheberrechtsguru Professor Jan Hegemann, der neben dem Datenschutz-Deichgrafen Weichert in dem Fernsehstück nicht fehlen darf:
“Wir haben es hier mit einem Instrument zu tun, das massenhaft eingesetzt auch zu massenhafter Rechtsverletzung führt.” Das dramatische Drehbruch des etwas angestaubten Films erinnert in seiner Tonlage an Google Street View mit einigen falschen Informationen – beispielsweise ist es leider nicht möglich, mit Google Glass Livestreaming via Hangout on Air zu machen (es sei denn, man hackt das Teil) Das ist generell mit der mobilen Hangout App nicht möglich im Gegensatz zu Bambuser.
Entsprechend kritisch waren die Reaktionen auf Twitter:
Führte das Street-View-Projekt von Google zu höchst bizarren Abwehrkämpfen von Hausfassaden, Gartenzwergen im Vorgarten und Verpixelungs-Initiativen zur Unkenntlichmachung von Jägerzäunen, wird die Brillenvariante zu einem noch größeren Sturm der Empörung beitragen: Schlagzeilen wie „Stasi-Brille belästigt Otto Normalverbraucher“ oder „Spionage-Spielzeug für Stalker und Spanner“ sind vorprogrammiert. Liebwerteste Gichtlinge der „Bild“-Zeitung, für diese Schlagzeilen beantrage ich übrigens Leistungsschutzrecht.
Aber selbst Google-Aufsichtsrat Eric Schmidt und Google-Ideas-Director Jared Cohen greifen in ihrem neuen Opus „Die Vernetzung der Welt“ zum Vokabular billiger Agentenfilme, um den Nutzen der Wunderbrille zu beschreiben. So könnte man in Kombination mit einer Armbanduhr frühzeitig Religionswächter oder Agenten der Geheimpolizei verorten. Kein Scherz, das haben die beiden Autoren so formuliert. Die Uhr kommuniziert über GPS-Daten den Standort ihres Trägers und die Datenbrille stellt fest, aus welcher Richtung ein Agent kommt. Mehr ist den Google-Topmanagern auf 441 Seiten nicht eingefallen. Kein Wunder, dass die Fantasie wuchert.
Dabei können sich Hobby-Spione schon heute im Online-Handel wesentlich wirksamer mit allen möglichen Geräten ausrüsten, um unbemerkt andere Menschen zu beobachten. Etwa Schlüsselanhänger mit Camcorder, SpyCam-Kugelschreiber oder Feuerzeuge mit winziger Webcam. Niemand scheint sich so richtig darüber zu echauffieren. Taucht in einem Produktnamen das Wort „Google“ auf, brennen in der öffentlichen Debatte schnell die Sicherungen durch. Insofern hat Sascha Lobo sicherlich recht, wenn er Google vorwirft, nicht genügend über die Wirkung von Google Glass zu diskutieren.
„Die technosoziale Faszination ist so groß, dass der Verkauf selbst kaum mehr als eine Preisfrage sein wird. Google Glass braucht kein Marketing, sondern Aufklärung.“
Von zivilen und vernünftigen Anwendungen wird leider nur wenig gesprochen. Etwa bei Ferndiagnosen. Über das dritte Auge kann ein Tierarzt kontaktiert werden und einem Bauern, der mit der Netz-Brille das Tier untersucht, erste Hinweise über das Krankheitsbild geben.
Bei der Analyse eines Tatorts folgt das dritte Auge dem Sichtfeld des Inspekteurs und fängt Informationen ein, die dem Betrachter vielleicht gar nicht so richtig aufgefallen sind. Phänomen: Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Zudem können die Filmaufnahmen live übertragen und von weiteren Inspekteuren am Bildschirm verfolgt werden. Auch die nachträgliche Bearbeitung der Aufzeichnungen ergänzt die eigenen Sinneseindrücke, die von Störquellen beeinträchtigt sein können.
Gleiches gilt für die Wartung von Flugzeugen. Mit dem dritten Auge – gepaart mit Sprachsteuerung – hat man die Hände frei, muss nicht ständig seine Arbeit wegen Schreibarbeiten unterbrechen, protokolliert über Sprache die Arbeitsschritte und reduziert die Fehlerquellen.
Damit der Nutzen von elektronischen Assistenten (ich wollte schon Agenten schreiben) nicht vollends vor die Hunde geht, sollten potenzielle Anwender von intelligenten Gadgets schon jetzt über neue Formen der Höflichkeit nachdenken, fordert der Blogger Gerhard Schröder.
Das Ganze passt ja gut zu: Heulsusen gegen Google.
Siehe auch:
Google Glass macht Überwachung sichtbar. Jo und was ist mit den unsichtbaren Überwachungsmöglichkeiten?
Anderer Schwerpunkt, aber dennoch lesenswert: Ich kann den “Google+ ist ne Geisterstadt” Bullshit nicht mehr hoeren
Aber glücklicherweise wird ja das Internet ab Montag für immer abgeschaltet.
https://storify.com/kaffeebeimir/google-glass-macht-uberwachung-sichtbar#publicize 🙂
Bei Google Glass ist ja vorgesehen, dass jede Aufnahme auf das entsprechende Gerät zurückverfolgt werden kann, damit auf die Person, die die Aufnahme gemacht hat (“offiziell” ist nicht erlaubt, die Brille zu verleihen). Der dialektische Witz, der in der Debatte immer untergeht, besteht daher darin, dass der Google Glass Nutzer auch und vielleicht vor allem zum Dokumentaristen seines eigenen Verhaltens wird, das heißt ständig gewzungen ist, sich nicht anstößig zu verhalten. Vergleiche dazu dieses Angebot von Taser, das schon länger auf dem Markt ist und dazu geschaffen ist, Polizeiwillkür zu drosseln ( http://bit.ly/1lOk6eo ), was angeblich damit auch schon gelungen sein soll. Wer andere “heimlich” beobachten will, kann das – wie du schreibst – mit allen möglichen Gerätschaften machen, mit Google Glass geht das nicht, jedenfalls unter keinen Umständen heimlich.
Hat dies auf http://www.ne-na.de rebloggt.
Im Landesblog: Datenbrille als Waffe — Weichert schießt gegen Google: http://landesblog.de/blog/2014/04/25/google-glass-als-waffe-weichert-schiesst-gegen-google/