
Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie diese Konservatismus-Debatten in Deutschland in schöner Regelmäßigkeit geführt werden. Sie sind überflüssig und kurzsichtig. Man sollte ein wenig in die Geschichte schauen, um zu erkennen, wie falsch die konservativen Denker in Teutonien ausgerichtet waren und sind. Brillant analysiert von Wilhelm Röpke, der nach 1945 zu den Architekten der Sozialen Marktwirtschaft zählte.
Was ihn in der kritischen Situation der Jahre 1931 und 1932 besonders empörte, war die leichtfertige Katastrophensucht, mit der viele bürgerlich-konservative Intellektuelle das Ende der Republik und das Ende ihres angeschlagenen Wirtschaftssystems herbeizureden bemüht waren, um den Weg für ein neues Zeitalter politischer und wirtschaftlicher Ordnung zu bahnen.
Sein Augenmerk richtete sich dabei auf die „parfümierten Nationalsozialisten“, die in ihrer Zeitschrift „Die Tat“ im Pessimismus schwelgten, sich an der Vertrauenskrise des Kapitalismus labten und in schwülstigen Gedanken über wirtschaftliche Autarkie ergingen. Ähnlich wie Carl Schmitt, dem Kronjuristen des Dritten Reiches Noch stärker als das antiparlamentarische, antirepublikanische Argument wog in den Heften der „Tat“ das Plädoyer für einen ökonomischen Systemwechsel, durch den Deutschland aus den Klauen des westlichen Kapitalismus befreit werden sollte.
Unter dem beherrschenden Einfluß von Ferdinand Zimmermann alias „Ferdinand Fried“, Giselher Wirsing, Horst Gruenenberg oder Hans Zehrer wurde ein strikter Agrarprotektionismus, wirtschaftliche Autarkie, kollektivistische Planwirtschaft, Devisenzwangswirtschaft und staatliches Außenwirtschaftsmonopol als Weg zum nationalen Heil gepredigt. Bei einigen Postwachstums-Apologeten gibt es für diese Positionen große Sympathien.
Insbesondere Fried, der auch mit seinen Büchern „Das Ende des Kapitalismus“ und „Autarkie“ große Resonanz fand, bemühte sich mit Hilfe einer wolkigen Geschichtsphilosophie darum, diesen Systemwechsel als eine ohnehin überfällige Epochenwende zu legitimieren. Während Röpke gerade die Desintegration der Weltwirtschaft infolge des Weltkrieges und der in jeder Hinsicht missglückten Nachkriegsordnung als tiefere Krisenursache ausmachte und unermüdlich für eine Reintegration der Weltwirtschaft durch Wiederherstellung des Freihandels, der Goldwährung und liberaler Wirtschaftsprinzipien warb, machten die Autoren der „Tat“ im Gegenteil all dies für die Krise verantwortlich. Sie trugen eine radikale Kapitalismus- und Globalisierungskritik vor, die unverhohlen in ein totalitär-planwirtschaftliches Gesellschaftsmodell mündete.
Dass im Juni-Heft 1931 die Brauns-Kommission als „Beerdigungsinstitut“ verhöhnt wurde, mochte das Fass für Röpke zum Überlaufen gebracht haben, jedenfalls ergriff er im September 1931 in der Frankfurter Zeitung in drei kurz aufeinander folgenden Artikeln die Feder gegen Ferdinand Fried und seine Mitstreiter. Dass er aus seinem Herzen keine Mördergrube machte, wurde schon an dem herausfordernden Pseudonym deutlich, hinter dem er sich verbarg: „Ulrich Unfried“. Angewidert von dem intellektuellen Antiliberalismus des „Tat“-Kreises und bestürzt über den ökonomischen Dilettantismus seiner Protagonisten, stellte er heraus, wie sehr sich die Antikapitalisten von links und rechts im Wunschbild des „totalen Staats“ begegneten.
Der Deutlichkeit halber bezeichnete er diesen vom „Tat“-Kreis als Gegenpol des privatkapitalistischen Abendlandes angestrebten „totalen Staat“ als „Termitenstaat“ – eine Metapher, die fortan aus seiner Kritik an allen Spielarten des Kollektivismus nicht mehr wegzudenken war. Mahnend versetzte er sich und seine Leser in die Perspektive eines Chronisten aus dem Jahre 1980: „Vielleicht wird er feststellen müssen, dass Kultur und Wirtschaft des Abendlandes zugrunde gegangen sind, weil die Menschen ein Wirtschaftssystem von unvergleichlicher Kraft und Tragfähigkeit leichtfertig haben verrotten lassen oder über Bord geworfen haben. Und nicht ohne Bitterkeit wird er nicht nur derjenigen, die sich an diesem Wirtschaftssystem versündigt haben, sondern auch der Pessimisten und dilettantischen Aktivisten gedenken, deren […] Prophezeiungen deshalb wahr geworden sind, weil ihre Propaganda das meiste dazu getan hat, die geistigen Grundlagen des Systems zu unterminieren, und in seine Verwünschungen diejenigen einbeziehen, die denkfaul genug gewesen sind, dieser Propaganda zu erliegen.“
Eine weitere Entgegnung auf den „Tat“-Kreis geriet ihm so temperamentvoll, dass selbst die Frankfurter Zeitung Röpkes Manuskript unter dem Titel „Die Katastrophensüchtigen“ zum Jahreswechsel 1931/1932 nur verkürzt abdruckte. Während er Hans Zehrer immerhin bescheinigte, sich um einen systematischen Antiliberalismus zu bemühen, richtet sich sein Zorn in der Hauptsache gegen Fried: „Ein freudiges Sichwälzen in der Suhle der Barbarei“, „Nationalsozialismus der geistig Anspruchsvollen“, „ein Gemisch von Börsenklatsch und Oswald Spengler“ (gibt es heute auch wieder – schaut Euch die Crashpropheten etwas genauer an), „neurotische Rebellen“, denen er in Anspielung an Siegmund Freud ein „Unbehagen an der Kultur“ attestierte – in solch drastischen Formulierungen ließ er der in ihm brodelnden Empörung freien Lauf und rief zum geistigen Widerspruch auf: „An eine Besserung der wirtschaftlichen Lage ist nicht zu denken, wenn es nicht in kürzester Zeit gelingt, unserem Wirtschaftssystem jene psychischen Reserven des Vertrauens, der Befriedung und der Vernunft zurückzugewinnen, ohne die auch unsere Kultur nicht länger bestehen kann, mit einem Worte, wenn es nicht gelingt, die Barbaren zurückzuschlagen. Jeder möge sich zu diesem Kampfe aufgerufen fühlen.“
Gegenüber Alexander Rüstow stöhnte er im April 1932 zwar einmal: „Für die Lektüre der Tat ist mir meine Zeit zu schade. Ich kann diesen anmaßenden Edelquatsch einfach nicht mehr lesen.“ Aber den Kampf gegen die autarkistischen Hirngespinste setzte Röpke noch bis in die letzten Tage der Weimarer Republik fort. Anfang Dezember 1932 entlarvte er in einem weiteren Artikel für die Frankfurter Zeitung die agrarprotektionistische Parole der „Nahrungsfreiheit“ als Forderung nach „Freiheit von der Nahrung“. Auch im Januar 1933 ergriff er noch einmal im Fachorgan „Der deutsche Volkswirt“ das Wort gegen Fried: „Es ist wirklich eine Qual, sich durch diese grundsätzlichen Betrachtungen Frieds hindurchzuarbeiten. Jeder kennt diese Gattung neudeutscher Literaten, diese Geschichtsphilosophie, diese morbide Romantik, diese Entstellung des Liberalismus, diese Verachtung der Nationalökonomie, dieses Gerede von ‚Preußentum’ und ‚Reich’, um auf alles gefasst zu sein.“
In einem letzten großen Beitrag „Die säkulare Bedeutung der Weltkrisis“, der ebenfalls noch im Januar 1933 im „Weltwirtschaftlichen Archiv“ erscheint, zog er noch einmal gegen „unsere neudeutschen Schicksalskünder und Epochenwechsler“ zu Felde. Es gibt keinen Grund, den konservativen Quatsch wieder aufzuwärmen.
Die Union hatte brillante Köpfe wie Heiner Geißler und Richard von Weizsäcker (schaut Euch mal die Liste des Berliner Senats unter von Weizsäcker als Regierenden Bürgermeister an von Ulf Fink bis zu Hanna-Renate Laurien). Ludwig Erhard hatte Vordenker wie Röpke und Rüstow an seiner Seite. An diesen Persönlichkeiten kann man sich ausrichten, aber nicht am zweifelhaften Konservatismus in Deutschland.
Die Geschichte mit Röpkes Reaktionen auf den Tatkreis kann man nachlesen im Opus von Hans-Jörg Hennecke, Wilhelm Röpke: Ein Leben in der Brandung.