
Kein Digitalministerium, sondern ein Superressort als Vorhut bei der Sicherung der technischen Souveränität bringen Staatsministerin Dorothee Bär und cnetz-Vordenker Professor Jörg Müller-Lietzkow in einem Gastbeitrag für die FAZ ins Spiel: “Schaut man nach Bayern und nach Hessen, so liefern die dort eingerichteten Digitalministerien auch nicht die eine langersehnte Nummer für alles Digitale, sondern die Zuständigkeiten sind dort auf zahlreiche Häuser verteilt. Ein Digitalministerium würde also Erwartungen wecken, die es letztlich nicht erfüllen kann.”
Modernisierung, Vernetzung, Internet, neue Dienste – das seien die Vehikel des Fortschritts und der Zukunftsgestaltung. “Damit drängt sich letztlich die Frage auf, ob nicht ein breiterer und zugleich zukunftsorientierter Ansatz einen größeren Mehrwert darstellt als die Konzentration auf ‘Digitalisierung’: in Form eines ‘Zukunftsministeriums’ (Z-Ministerium)”, betonen die FAZ-Gastautoren. Klingt wie das #StudioZ, mit dem wir seit ein paar Jahren mit Live-Formaten auf Achse sind 😉
Gemeint sei die Erschaffung eines neuen Hauses, welches sich mit „Deep Tech“, also großen zukunftsweisenden Technologiefeldern, und dem sich daraus ergebenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Wandel holistisch auseinandersetzt und in Europa vorantreibt.
“Die Idee: Ein neues Zukunftsministerium ist der Arbeit in den übrigen Ministerien vorgeschaltet. Es ist nicht Aufgabe, die Forschung zu steuern oder gar als Parallelministerium zum Wissenschafts- oder Wirtschaftsministerium zu agieren. Vielmehr besteht die Kernaufgabe eines solchen Hauses darin, breiter sowie zugleich flexibler und schneller auf tiefgreifende Veränderungen zu reagieren”, so Bär und Lietzkow.
Es könnte in agilen Matrixstrukturen gearbeitet werden: Auf der vertikalen Ebene werden die Einheiten durch Staatssekretäre politisch, auf der horizontalen Ebene von Prozesseignern, die aus den jeweiligen „Deep Tech“-Feldern kommen, geführt.
Klingt ein wenig kompliziert. Werden so die Ressorteitelkeiten abgebaut, die bislang jede Form von Digitaloffensiven der Bundesregierung verhindert haben? Bin im Zweifel. Die Reaktionen im Netz sind höchst unterschiedlich:
“Von der bayerischen Nummer rate ich eher ab. Die labern nur, besuchen Hochschulen und feiern die App des Monats. Also nix Digitalisierung. Es muss das Mindset der Politiker geändert werden, wir brauchen anders denkende Akteure. Wer analog denkt, fördert keinen digitalen Wandel. Es ist vielmehr das Spitzenpersonal als die Struktur”, kommentiert Robert Weber vom Podcast “KI in der Industrie”.
Ein Z-Minsterium könne nur in einem partizipativen Ökosystem funktionieren, mein der Tech-Analyst Lars Immerthal: “Verständigung als Prozess und Teil einer politischen Institution befähigt uns nicht nur Neues zu denken, sondern in diesem Prozess Vertrauen aufzubauen und Souveränität zu gewinnen. Solange das nicht der Fall ist, wird sich da auch nichts bewegen.”
Ein Zukunftsministerium für „Deep Tech”? “Wie sagte schon F.K. Wächter: Dicht vorbei ist auch daneben”, sagt der Zukunftsforscher Klaus Burmeister.
Es gehe um große Transformation. Nicht „Tech“ stehe im Fokus, sondern ein grundlegender Wandel der Gesellschaft, der „Innovationen“ immer auch sozial versteht und der mit dem 1,5 Grad-Ziel einen disruptiven Shift des industriellen Betriebsystems benötigt. “Es geht um einen sozialen, organisatorischen, wissenschaftlich-technologischen, ökonomischen, politischen und auch kulturellen Umbruch”, so Burmeister. Ein Ministerium, wie auch immer „gestrickt“, könne eine solche Aufgabe stemmen, gerade, weil es keine Frage des frühzeitigen Einsatzes von Technik sei.
“Bär und Müller-Lietzkow lassen es ahnen, sind aber selbst zu sehr im administrativen Denken gefangen und denken leider nicht weit genug. Ja, sie haben recht: Politik muss neu, vernetzter, offener, partizipativer, auch klarer missionsorientierter, aber auch lernend und transformativer organisiert werden”, resümiert der foresightlab-Geschäftsführer in Berlin.
“Die Probleme liegen viel tiefer in der Gesellschaft. Da kann ein Ministerium wenig bewirken. Das ist mehr als ein ministerielles Organisationsproblem”, meint Hidden Champion-Forscher Hermann Simon.
Verteidigung von Privilegien, generelle Innovationsfeindlichkeit in weiten Teilen der Gesellschaft, Uninformiertheit der Politiker und der Verwaltung: Das seien die tieferliegenden Ursachen. “Die einzige Möglichkeit, diese hemmenden Faktoren zu trimmen, ist eine stärkere Verlagerung von Kompetenzen an die Privatwirtschaft”, fordert Simon. Man brauche stärkere wirtschaftliche Anreize über Lizenzen, die ausreichend lange laufen, Inkaufnahme temporärer Monopole, gezielte Förderung.
“Neben den beschriebenen gesellschaftlichen Strömungen spielt auch eine Rolle, dass Kompetenzträger in der Digitalisierung weder in die Politik noch in die öffentliche Verwaltung gehen. Warum sollte jemand, der etwas drauf hat, in diese Bereiche gehen. Damit sind diese Bereiche nicht einmal in der Lage, eine qualifizierte Auswahl von Zulieferern zu treffen – siehe aktuelle Software zu Corona”, führt Simon aus.
“Es mag nicht der Weisheit letzter Schluss sein, aber erstmal sehe ich den Vorschlag positiv. Die beiden erkennen: So kann es nicht weitergehen. Sie entwickeln einen konstruktiven Vorschlag was man tun kann. Fakt ist ja: Digitalisierung ist eine Querschnittsaufgabe, da hilft ein eigenes Ministerium kaum, wenn die Kompetenzen nicht klar sind. Daher liegt es in der Tat nahe, sich am Finanzministerium zu orientieren und einem Digitalministerium eine Art Veto-Recht bei Digitalthemen einzuräumen”, sagt Wettbewerbsökonom Justus Haucap.
Er hat noch eine andere Idee: “Ein Digitalministerium mit konkurrierenden Befugnissen zu den klassischen Ministerien. Es gibt keine exklusiven Zuständigkeiten mehr. Ein Digitalministerium kann jedes Thema aus jedem Ressort aufgreifen und dazu einen Vorschlag im Kabinett machen. Dies könnte das Problem lösen, dass in den Ministerien bisher immer dies Besitzstandswahrer das Sagen haben, und nicht die Veränderer”, erklärt Haucap.
Die Frage sei doch, ob wir die digitalen Vorreiter Chinas und der USA durch eine Fokussierung auf das Organigramm eines Ministeriums einholen oder durch eine andere Einstellung zu digitaler Kultur, meint Ole Wintermann von der Bertelsmann-Stiftung: “Erfahrungen aus den KMUs zeigen, dass es auf die gelebte Kultur und weniger auf Technik und Zuständigkeiten ankommt.“
Meine Position: Die Relevanz von politischen Themen lässt sich abmessen an den Finanzgrößen im Haushaltsplan der Bundesregierung. Mit Etats wird Politik gemacht. Ein Z-Ministerium oder Digitalministerium halte ich für notwendig.
Man kann die nötige Sogwirkung mit der Gründung des Umweltministeriums im Jahr 1986 vergleichen. Auch Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Ökologie sind Querschnittsthemen, die man gerne als Argument gegen das Digitalministerium ins Feld führ. Umwelt reicht von Verkehr, Bauen, Landwirtschaft, Wirtschaft bis Bildung. Als Klaus Töpfer sein Amt als Bundesumweltminister antrat, war das ein klares programmatisches Statement der Bundesregierung für die Relevanz des Umweltschutzes. Auf dem Klimagipfel in Bonn konnte man beobachten, wie richtig diese Entscheidung war. Jetzt ist es an der Zeit, auch die Digitalpolitik gleichberechtigt an den Kabinettstisch zu bekommen.
Eure Meinung?