In mehreren Beiträgen und Umfragen spürte ich in den vergangenen Monaten der populärsten Worthülse nach, die von Politikern, Beratern, Funktionären oder Managern abgesondert wird. Eine kleine Meldung in Welt kompakt hat mich jetzt noch einmal animiert, den Wortmüll des Jahres zur Abstimmung zu stellen: Da schreibt der Redakteur Jürgen Stüber über eine Trendbefragung von Scout 24, “einer führenden Unternehmensgruppe von Onlinemarktplätzen in Europa”. Sind die Scout-Leute Tabellenführer, Spitzenläufer im Marathon oder hat Stüber nur einfach die Pressemitteilung abgeschrieben, wo man in drei Absätzen mindesten fünfmal als Leser damit konfrontiert wird, was für ein weltweit führender semantischer Müll jeden Tag fabriziert wird? Der Web 2.0-Experte David Meerman Scott hat über dieses Phänomen ein “Kauderwelsch-Manifest” veröffentlicht. Er verweist dabei auf eine Journalisten-Umfrage über die nervigsten Formulierungen in Pressemitteilungen:
Ganz oben auf der Liste steht “führend” in unterschiedlichen Variationen (ein führender Hersteller von Socken, ein weltweit führender Anbieter von Nasenspray oder führend in der Produktion von Potenzmitteln). 94 Prozent der befragten Redakteure in den USA können das Wort “führend” nicht mehr ertragen. Auf der Rangliste der Wut folgen idiotische Kreationen wie “Wir freuen uns,….”, “Wir sind zufrieden” oder “Wir freuen uns wahnsinnig”.
Der Klassiker “Solutions” (Lösungen) löst bei 68 Prozent der Umfrageteilnehmer allergische Reaktionen aus. Nicht fehlen dürfen proaktive Lückenfüller, Best Practices, Synergien im Aufstellen von Allgemeinplätzen, leere Blicke über den Tellerrand, Paradigmenwechsel beim Aussenden von schwachsinnigen Werbefloskeln und revolutionäre Innovationen bei der Produktion von heißer Luft.
Zum Jahresende sollten wir zu einem Urteil kommen über die Floskel des Jahres: Wer an der Umfrage teilnimmt, kann etwas gewinnen (bitte die E-Mail-Adresse unten angeben oder mir zusenden: gunnareriksohn@googlemail.com). Als Preis winkt diesmal das Buch von Markus Reiter, Die Phrasendrescher – Wie unsere Eliten uns sprachlich verblöden.
zur Worthülse “Menschengemachte globale Klimaerwärmung”:
From: Phil Jones
To: ray bradley ,mann@xxxx, mhughes@xxxx
Subject: Diagram for WMO Statement
Date: Tue, 16 Nov 1999 13:31:15 +0000
Cc: k.briffa@xxxx,t.osborn@xxxx
Dear Ray, Mike and Malcolm,
Once Tim’s got a diagram here we’ll send that either later today or first thing tomorrow. I’ve just completed Mike’s Nature trick of adding in the real temps to each series for the last 20 years (ie from 1981 onwards) amd from 1961 for Keith’s to hide the decline. Mike’s series got the annual land and marine values while the other two got April-Sept for NH land N of 20N. The latter two are real for 1999, while the estimate for 1999
for NH combined is +0.44C wrt 61-90. The Global estimate for 1999 with data through Oct is +0.35C cf. 0.57 for 1998.
Thanks for the comments, Ray.
Cheers
Phil
Prof. Phil Jones
Climatic Research Unit Telephone +44 (0) 1603 592090
School of Environmental Sciences Fax +44 (0) 1603 507784
University of East Anglia
Norwich Email p.jones@xxxx
NR4 7TJ
UK
“Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein!” ist mein 2009er Favorit für die Floskel (ich hoffe, hier wird auch ein ganzer Satz akzeptiert) des Jahres.
Seit den 90er Jahren geistert diese provozierende und fragwürdige (da das Internet kein rechtsfreier Raum ist: Gesetze gelten off- und online, für das Internet existieren spezielle; User werden herabgewürdigt, da das Internet hier als Schlupfloch dargestellt wird, mit dem Nutzer sich außerhalb von Gesetzen zu bewegen versuchen) Aussage durch die Medien.
Zudem wurde diese Aussage im September 2009 zur Bundestagswahl Bestandteil und Begründung von Wahlprogrammen diverser Parteien, Interviews und Rechtfertigung für politische Handlungen. Ich bin gespannt, wie lange diese Aussage noch existieren wird.
Beste Grüße
Dennis
“Proaktiv” ist mein bisheriger Favorit, auch fürs Jahrzehnt. Ich kann gar nicht in Worte fassen, was dieses Wort bei mir auslöst, ohne nicht selbst in Phrasendrescherei zu verfallen
@blp koeln das kann ich gut verstehen, die Klassiker-Worthülse ist ein Dauerbrenner in jeder Besprechung.
Mir geht ja schon so, dass ich im gleichen Moment, wo dieses Wort fällt, die äußernde Person nicht mehr ernst nehmen (was nicht immer gut ist) oder wenn es in einem Text steht, habe ich Mühe konzentriert weiter zu lesen. Mein Gegengift ist Wolf Schneider.
Best practice!! Endlich rückt jemand dem hohlen Managerblahbla proaktiv und weltweit-synergetisch auf den Pelz. Gratuliere.
Proaktiv ist auch mein Favorit. Das Wort ist so Inhaltsleer. 😛
Ein Klassiker, der in keiner Wortschwall-Rede fehlen darf 🙂