
Meine Organisationsrebellen
Die großen Konzerne in Deutschland sind nach Auffassung von Thomas Sattelberger selbstherrliche Parallelgesellschaften:
„Und innerhalb der großen Konzerne sind Leitungsgremien noch mal eigene Parallelwelten, die umgeben sind von einem Hofstaat ähnlich wie bei Ludwig XIV. Das ist aber ein Spiegelbild der Gesellschaft.”
Die Folgen dieser abgeschotteten Machtblöcke kann man in Konzernen wie VW beobachten. „Ein altes System versucht verzweifelt, alte Macht und alte Technologie zu verteidigen – zuerst in Grauzonen und dann illegal“, kritisiert der FDP-Bundestagsabgeordnete und frühere Top-Manager.
Aggressive Konzernziele
Generell setzen sich diese Organisationen extreme ökonomische Marktziele mit aberwitzigen Renditeerwartungen. Und das gilt nicht nur für VW. Diese aggressiven Ziele sind häufig mit nicht-innovativen Strukturen gekoppelt und einem strengen Regime des Gehorsams. Wer nicht spurt, wird bestraft. „Da hocken dann die verängstigten oberen und mittleren Manager sowie Vorstände in ihren Büros und stellen sich die Frage, wer als Nächstes geköpft wird. Ihre gesamte Welt ist die Konzernwelt. Sie sind mit ihrer Rolle total verschmolzen, die sogar bis zum Suizid führt“, erläutert Sattelberger.
Der entrückte Wolfsburger Kosmos
Wer sich die Kommunikationsdesaster von VW in den vergangenen Jahren anschaut, erkenne schnell, wie entrückt Wolfsburg von der realen Welt ist. Es ist der anmaßende Glaube, dass nichts schief gehen kann.
Und das war nach Meinung von Sattelberger auch lange Zeit so:
„Der Lopez-Skandal ging durch, der Skandal mit dem bezahlten niedersächsischen SPD-Bundestagsabgeordneten ging durch, die 13.000 Euro von Kanzler Schröder für den Wiener Opernball gingen durch, die Brasilien-Exkursion von Peter Hartz ging durch. Piech wurde dadurch nicht beschädigt. Der Druck auf Kunden und Partner, den VfL Wolfsburg zu sponsern, ging durch. Das ist ein System der Omnipotenz.“
Da werde despotisch durch regiert und der Vorstandschef bekommt nur das zu hören, was er hören will. Vonnöten wären Checks and Balances, um diesem Treiben ein Ende zu bereiten. Also ein Regelwerk, dass es unfähigen und machtbesessenen Managern sowie Unternehmern erschwert, allzu großen Schaden anzurichten. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben das für die Politik sehr gut hinbekommen.
Die Täter des alten Systems können nicht sanieren
Für die Wirtschaft gilt das nicht. Die Machtsysteme von Konzernen und großen mittelständischen Unternehmen benötigen Störungen. VW holt hingegen Protagonisten des alten Systems an die Macht, um die Sünden der Vergangenheit zu bewältigen. Das könne nicht gutgehen, moniert Sattelberger und findet sich in guter Gesellschaft. So spricht der US-Staatsanwalt Eric Schneiderman von einer reuelosen Firmenkultur, die zu dem systematischen Abgasbetrug geführt habe. Mitten im Zentrum der Vorwürfe steht nicht nur der abgelöste VW-Boss Winterkorn, sondern auch sein Nachfolger Matthias Müller. Als Chef des Audi-Produktmanagements wird ihm vorgeworfen, schon 2006 von der unzureichenden Abgasbehandlung gewusst zu haben.
„Man darf nicht den Bock zum Gärtner machen“, moniert Sattelberger und fordert härtere Corporate Governance-Regeln, die in der angelsächsischen Welt schon vor Jahrzehnten öffentlich debattiert und eingeführt worden sind.
Aufsichtsrat ohne Aufsicht
Auch in Skandinavien gibt es gute Modelle. So wird der Nominierungsausschuss für Vorstandsposten nicht vom Aufsichtsrat gebildet, sondern von der Hauptversammlung bestimmt.
Wer sich hingegen Aufsichtsräte wie bei VW näher anschaut, weiß, warum es keine richtige Aufsicht gibt.
„Da sitzen die Familienmitglieder Piech und Porsche, da sitzen zwei ruhige Vertreter aus Katar, da sitzt eine Bankerin aus der befreundeten Wallenberg-Familie, das Land Niedersachsen und die wohlgestimmte Arbeitnehmerseite. Wir alle wissen, was da passiert. Das ist eine Konstruktion, um als Arbeitsbeschäftigungsmaschine für Niedersachsen zu dienen“, führt Sattelberger aus.
Von wirklicher Kontrolle könne da nicht gesprochen werden.
Habitus statt Qualifikation
Nominierungen für Vorstandsposten und Kontrollgremien würden leider im Verborgenen laufen. Die Entscheidung der Telekom, Sattelberger als Personalvorstand an Bord zu holen, sei kladendestin auf einem Schloss in der Nähe von Berlin abgelaufen. Oben zähle nur noch der Eindruck im Gespräch. Habitus sei dabei wichtiger als die Qualifikation.
„Das ist nur ein kleines Referenzsystem. Unterhalb der Top-Etage sieht das anders aus. Da kommt eine ausgefeilte und sehr valide psychologische Eignungsdiagnostik zum Einsatz“, weiß Sattelberger.
Würde man dieses Verfahren auch bei Top-Managern als Hürde setzen, könnte man schnell erkennen, das viele von denen einen Schatten in der Birne haben – neurotisch, aggressiv, machiavellistisch und teilweise auch psychopathisch.
„In einer guten Eignungsdiagnostik kommt man an solche Themen ran. Aber oben wird die nicht mehr angewandt. Das wissenschaftliche Auswahlverfahren gibt es für das gemeine Volk. An der Unternehmensspitze zählt nur noch der Habitus“, so Sattelberger.
Um das zu ändern, fordert er eine Corporate Governance, die ein strengeres Regelwerk erstellt und Fehlverhalten sanktioniert. Man brauche Störenfriede im Vorstand und eine Graswurzelbewegung im Unternehmen – hier sehe ich das Betätigungsgebiet der Organisationsrebellen. Es müsse zudem eine Personalfunktion geben, die souveräner agiert. Sattelberger fordert eine konsistente kritische Medienbranche als Kompass für gutes Unternehmertum und gutes Management. Fehlentwicklungen und Korruption müssten kontinuierlich angeprangert werden. Zudem brauche man analog zu Politikern eine ManagerWatch-Plattform und eine digitale APO, um den zivilgesellschaftlichen Druck zu erhöhen. Im Bundestag verfügt Sattelberger jetzt über die nötigen Ressourcen, um das aktiv nach vorne zu bringen.
Trump und die deutschen Konzernchefs
Generell ist Außen- und Innendruck gefragt, wenn beispielsweise ein deutscher Konzernchef dem Post-Demokraten Donald Trump in den Hintern kriecht und Arbeitsplätze in den USA verspricht, die er in Deutschland weghaut. Oder eine Steuerreform lobt, die international zu einer weiteren Verschlechterung der Verteilungsgerechtigkeit führt. Die Organisationsrebellen könnten beispielsweise bei Siemens eine Debatte über die vulgär-kapitalistische Ausrichtung der so genannten Trickle-down-„Theorie“ anstoßen. These: Wenn die Reichen reicher werden, wird das Geld der Oberschicht über kurz oder lang nach unten durchsickern – diese Propaganda predigt Trump.
In der Realität „erfreuen“ sich über 15.000 Menschen allein im Silicon Valley an ihrer Obdachlosigkeit, verbunden mit der lukrativen Perspektive, bei den explodierenden Immobilienpreisen im Tal der Tech-Giganten irgendwann eine Einzimmerwohnung zu ergattern, die durchschnittlich bei 4.000 Dollar pro Monat liegt. Dickerchen Trump will das „verbessern“. Der Milliardär macht den Reichen und Schönen weitere Steuergeschenke. Seine Reform wird das Einkommen der Vermögenden um rund 20 Prozent erhöhen und zu Einnahmeausfällen in der Staatskasse von zwei bis sechs Billionen Dollar führen.
Die Organisationsrebellen könnten auch Diskurse anstoßen, wie heuchlerisch ein Heer von Managementberatern und Umstrukturierungsexperten für flache Hierarchien, Eigenverantwortlichkeit, Innovation und Flexibilität plädieren, ohne die Machtstatik auch nur in Ansätzen anzutasten.
„Größere Unternehmen wurden restrukturiert, so dass sich ganze Abteilungen als eigenständige ‚profit centers‘ wiederfanden. Dies geschah unter der Maßgabe, mehr Spielraum zu ermöglichen und den Unternehmergeist auf allen Ebenen zur Entfaltung zu bringen mit dem Ziel, die Wertschöpfung zu erhöhen und dem Management bessere Durchgriffsmöglichkeiten an die Hand zu geben“, weiß Felix Stalder.
Sozialstaatliche Absicherung Einzelner hält man für überholt. Kollektive Institutionen, die für eine gewisse Stabilität in der Lebensführung sorgen können, gelten als bürokratische Hindernisse. Um politische Freiheit, soziale Verantwortung und Autonomie geht es den Flexibilisierungsideologen ganz und gar nicht. Sie wollen mehr Spielraum für ihre Nasenring-Systeme bekommen. Sie wollen frei und anarchisch ihren Geschäften nachgehen, ohne von öffentlich dokumentierten Regeln, Gesetzen und demokratisch legitimierten Institutionen gestört zu werden. Sie wollen ihren kybernetischen Steuerungsobsessionen freien Lauf geben. Also das, was als digitaler Darwinismus durchs Netz wabert. Man konzipiert den Menschen – analog zu Tieren, Pflanzen und Maschinen – als einen Organismus, der auf Reize aus seiner Umwelt reagiert. Der Verstand spielt in diesem Modell keine Rolle, relevant ist einzig das Verhalten.
„Und dieses Verhalten, so die kybernetische Hypothese, kann programmiert werden. Nicht durch direkten Zugriff auf den Menschen (der wird als undruchdringbare Black Box konzipiert), sondern indirekt, durch die Veränderung der Umwelt, mit der Organismen und Maschinen via Feedback gekoppelt sind. Diese Eingriffe sind meist so subtil, dass sie für den Einzelnen nicht wahrnehmbar sind, weil es nirgends eine Grundlinie gibt, gegen die man die Neigung des ‚Bodens der Tatsachen‘ feststellen könnte“, erläutert Stalder.
Systemfragen
Für den Einzelnen und im Einzelfall seien die Effekte oft minimal. Aber aggregiert und über längere Zeiträume können die Effekte substantiell sein, ohne dass sie deswegen für den Einzelnen feststellbar wären. Es sind kaum bemerkbare Anstubsverfahren, mit denen die Planungsfetischisten vorgehen. Dahinter steht ein libertärer Paternalismus, der die scheinbare individuelle Wahlfreiheit mit einer nicht sichtbaren Autoritätsfigur verbindet. Das Ideal ist die „freiheitliche Bevormundung“, die man im Arbeitsleben jeden Tag erlebt.
„Ganz im Geiste der Kybernetik und kompatibel mit den Strukturen der Postdemokratie sollen die Menschen über die Veränderung der Umgebung in die von Experten festgelegte Richtung bewegt werden, während sie gleichzeitig den Eindruck erhalten, frei und eigenverantwortlich zu handeln“, bemerkt Stalder.
Ob die Organisationsrebellen diese relevanten Systemfragen wirklich auf ihre Agenda setzen, bezweifle ich. Umso wichtiger ist es, von außen zu wirken und die New Work-Floskeln vieler Führungskräfte zu entlarven. Beispielsweise: „Wir haben als Motto des Jahres ,Passion!‘ ausgewählt, dieses Wort muss mindestens bis zum Juli englisch ausgesprochen werden.“ Und zwar so: “Excellence is our Passion”. Mit schönen Grüßen an die so fortschrittliche Lichtgestalt Kasper Rorsted. Insider bei Henkel werden wissen, um was es geht.
Soweit mein kleiner Beitrag für die Blogparade von Haufe unter dem Stichwort #Organisationsrebellen
Siehe auch: