Spurensuche: Der Selbstmord eines Bonner Gerichtspräsidenten

Ein Freund wies mich auf einen Welt-Leserkommentar hin, der sich zum Selbstmord eines Richters in Nürnberg äußerte. Und da wurde es heute bei meinen Recherchen richtig spannend: Welt-Leser corvus albus schreibt:

„Vermutlich ein Fall von Selbstjustiz um nicht selbst von Kollegen gerichtet zu werden. Ort und Zeitpunkt sprechen hierfür. Wenn jemand bedroht wird, dann erhängt er sich wohl nicht an der Stelle seines Wirkens. Der Suizid in vorliegender Form deutet angesichts des Tatortes mehr auf eine Art Abrechnung oder Schuldanerkenntnis hin. Vor etlichen Jahren hat sich der Präsident des LG Bonn selbst gerichtet, da er die Schmach nicht ertragen konnte, dass seine Überschuldung wegen Spielsucht an die Öffentlichkeit dringen könnte“. Ende des Leser-Kommentars.

Da machte es bei mir Ding-Dong. Ich wohne nun schon seit über 20 Jahren in Bonn – aber diese Geschichte war mir nicht bekannt. Also mit der Suche im Web begonnen. Suchbegriffe kombiniert, in Zeitungsarchiven gestöbert, unter GBI-Genios nachgeschaut – Fehlanzeige. Nichts. Null. Mein Freund konnte sich noch vage an den Namen erinnern: Krämer oder Kremer – aber er wisse es nicht genau. Gut, mit dem Namen kann man ja unter Google irgendwelche Treffer erzielen. Ergebnis: Nichts.

Dann aber ein Volltreffer im Printarchiv des Bonner Generalanzeigers: Ex-Gerichtspräsident hat sich erschossen. Der Artikel erschien am 23. September 1992. So schlecht war meine detektivische Arbeit also gar nicht.

Allerdings wundert mich die kümmerlich kleine Notiz in dem Bonner Lokalblättchen:

„Arnulf Krämer ist tot. Der am 16. September überraschend, vorzeitig und unter Angabe von ‚persönlichen Gründen‘ vom Amt zurückgetretene ranghöchste Bonner Richter erschoß sich gestern nachmittag im Wald auf dem Venusberg zwischen Waldau und Annaberger Hof. (das ist ja bei mir in der Nähe, GS) Das erfuhr der GA aus zuverlässiger Quelle. Zuvor hatte Landgerichts-Dezernent Hans Brenner gegen 17 Uhr mitgeteilt: ‚Der ehemalige Präsident des Landgerichts ist heute verstorben. Es gibt Anzeichen dafür, dass er freiwillig aus dem Leben geschieden ist.‘ Der Gerichtssprecher beschränkte sich auf diese knappe Mitteilung und gab keine weiteren Erklärungen ab. Krämer wurde nach dem Schuß noch in die Klinik gebracht, erlag dort aber wenig später seiner schweren Verletzung. Der seit zwei Jahren verwitwete Richter ist angeblich von seiner Lebensgefährtin gefunden worden. Seit 1982 war Krämer Präsident des Bonner Landgerichts. Seit seinem Rücktritt war er nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten. Es mehrten sich seitdem Gerüchte, er sei in finanziellen Schwierigkeiten und habe Schulden.“

Ende der Meldung. Mein Gott, da hätten doch damals die Redakteure des GA zur Hochform auflaufen müssen, um die Umstände des Todes und die Gründe für den Rücktritt zu beleuchten. Still ruht der See. Kein weiterer Artikel.

Ein Porträt zum 60. Geburtstag von Arnulf Krämer war ungefähr doppelt so lang ausgefallen.

Da konnte man Sätze lesen wie:

„In geradezu rasendem Tempo verlief auch der berufliche Aufstieg des Juristen Kraemer. In Duisburg geboren, wird er am dortigen Amtsgericht mit 25 Jahren Assessor. Fuenf Jahre spaeter sitzt er 1958 als Landgerichtsrat in Moenchengladbach, 1967 wird er Oberlandesgerichtsrat in Duesseldorf, und im Alter von nur 46 Jahren landet er am Landgericht in Krefeld: als Praesident. Seit Mai 1982 liegt die Fuehrung des Bonner Landgerichts in seinen Haenden. Und auch hier hat sein Motto fuer alle Mitarbeiter besondere Gueltigkeit: ‚Der Buerger steht im Mittelpunkt. Wir sind fuer ihn da und nicht umgekehrt.‘ Ein daraus resultierendes Verhalten hat ihm jedoch bei besonders aufsehenerregenden Prozessen zumindest von Seiten der Medien heftige Kritik eingebracht: ein grundsaetzliches Film- und Fotografierverbot im ganzen Gerichtsgebaeude. Besonders im vielbeachteten sogenannten Flick-Spenden-Verfahren bissen sich die Medienvertreter an Praesident Kraemer und seiner Konsequenz die Zaehne aus. Ein anderes Prinzip ist dem engagierten Juristen, dem ein Arbeitstag von mindestens zwoelf Stunden nachgesagt wird, genauso wichtig: Alles muss seine Ordnung haben. Er selbst gibt dazu schmunzelnd eine Geschichte zum Besten: Als er waehrend des Flick-Prozesses in Italien Urlaub machte, sah er dort im Fernsehen die vor dem Gerichtsgebaeude gedrehten Filmaufnahmen. Zu seinem Unwillen lag in den Rabatten eine alte Zeitung, und er gab sofort telefonisch Anweisung, diese zu entfernen.“

Eine wahrhaft schillernde Figur. Wenn sich so ein Mann erschießt, fängt die Geschichte dieses Richters doch erst an! Über sachdienliche Hinweise zum Selbstmord des ehemaligen Gerichtspräsidenten würde ich mich sehr freuen. Fortsetzung folgt! Da bleibe ich am Ball.

18 Gedanken zu “Spurensuche: Der Selbstmord eines Bonner Gerichtspräsidenten

  1. Na wenn das nicht mal ein Lehrstück für Investigativen Journalismus ist: Gunnar, rette das Genre und halte uns auf dem Laufenden – klingt, als würdest du demnächst mit einem „echten“ Krimi aufwarten!

  2. Ja spannend, was war das für eine deutsche Welt, in der er Karriere machte, die 50er/60er, die Verlogenheit dieser Zeit, die Vertuschung der Vergangenheit und der kleinbürgerliche Mief! Schau, wie man sich kleidete: alleine die Hüte verrraten schon viel!
    Und Juristen haben eine besondere Sozialisation gehabt – Karriere und Zynismus! Welche Urteile hat gefällt und wie begründet? Vielleicht so etwas wie Heinrich Manns Professor Unrat?
    Habe gunnarsohn.wordpress.com alf Fovorit gespeichert. Hoffentlich findet sich noch mehr!

  3. @vo_bonn Oh ja, da werden noch einige Aspekte von mir unter die Lupe genommen. So eine Bilderbuchkarriere und dann der plötzliche Absturz. Eine Woche nach seiner Demission der Selbstmord. Waren die Schulden, die er angeblich hatte, der Grund für den Suizid? Sollte etwas vertuscht werden? Man muss sich vielleicht auch mal etwas genauer die Gerichtsprozesse dieses Richters anschauen. Wie konnte es eigentlich passieren, dass dieser Fall nicht über eine kleine Meldung im GA hinaus kam? Spätestens sei dem Flick-Prozess war dieser Richter doch über die Grenzen von Bonn hinaus bekannt und Bonn war zur Zeit des Selbstmords noch Bundeshauptstadt mit Heerscharen von überregionalen Korrespondenten von Spiegel bis Stern.

  4. manoman

    sehr gut dein Bericht. Was wunderst du dich eigentlich? Ist dir bis heute noch nicht aufgefallen das du in der BRD nur wissen darfst was du wissen sollst. Ich könnte hier gerade über Bonn ganz andere Storys mit Beweisen reinstellen. Die meisten wollen davon aber nichts wissen, weil sie sich manche Dinge gar nicht vorstellen können oder wollen. Es gibt in Deutschland nichts korrupteres als die Justiz. Im Namen des Volkes, gute Nacht Deutschland. Werde deine Sache weiter verfolgen, mal schauen was rauskommt wenn man dich nicht vorher Mundtot macht.

  5. Tom

    Wenn ein Gerichtspräsident – aus welcher persönlichen Schwäche heraus – in eine massive Lebenskrise gerät, wenn er dafür auch die beruflichen Konsequenzen zieht und wenn er als finalen Schritt angesichts der offenbar empfundenen Ausweglosigkeit seiner Situation seinem Leben ein Ende setzt, dann ist die oben geschilderte Meldung des GA der Sache meines Erachtens vollauf angemessen. Umso mehr als sie durchaus einen sehr deutlichen Fingerzeig auf ein Motiv gibt.

    Es handelt sich beim GA zwar um eine sehr lokal verwurzelte aber dennoch um eine leidlich seriöse Zeitung, und nicht um die Bild-Zeitung, die für sensationsheischende Geschichten ohnehin keine Grenzen kennt.

  6. Lieber Thomas Kuhn, es geht nicht um eine Story im Stil der Bild-Zeitung. Für so etwas bin ich nicht zu haben. Aber es darf ja wohl die Frage gestellt werden, ob der Rücktritt aus persönlichen Gründen „nur“ etwas mit Ladendiebstahl, Spielschulden etc. zu tun hat oder vielleicht auch mit Verfehlungen in seiner Funktion als Richter. Immerhin handelte es sich ja um eines der höchsten Ämter der Judikative, die man in Bonn zu vergeben hat. Konnte er überhaupt noch neutral und unabhängig als Gerichtspräsident arbeiten? Diese Fragen hat der GA leider nicht beantwortet oder weiter verfolgt.

  7. Michel

    Ich halte es mit dem Pressekodex:

    Richtlinie 8.5 – Selbsttötung
    Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände. Eine Ausnahme ist
    beispielsweise dann zu rechtfertigen, wenn es sich um einen Vorfall der Zeitgeschichte von öffentlichem Interesse handelt.

    Ergo musst du abwägen, ob es sich um einen Vorfall der Zeitgeschichte von öffentl. Interesse handelt.

  8. Nina Romic

    Ich finde deine Recherchen super und verfolge den Fall spannend mit. Weiter so!

  9. Ich habe einen Anruf von einem GA-Redakteur bekommen, der erst ein Jahr nach dem Selbstmord seine Tätigkeit aufnahm. Er gab mir aber ein paar gute Hinweise zu Recherchen eines Konkurrenzblattes. Da muss ich aber ins Printarchiv marschieren, weil das leider nicht online abrufbar ist. Werde das demnächst hier dokumentieren. Morgen bekomme ich weitere Hinweise…..

  10. Ich finde den Fall einfach nur tragisch. Der Artikel stellt das sehr gut dar, auch wenn ich von dieser Tragödie zuvor noch gar nichts mitbekommen habe. Eigentlich ist das ein Armutszeugsnis für unsere Gesellschaft, wenn sowas passiert. Eigentlich wäre das ein Fall Selbstjustiz, zumindest in Worten, denn sowas gehört wirklich public gemacht. Danke für den guten Beitrag. Du hast einen neuen Leser!

  11. wie angedeutet, bleibe ich an diesem Fall dran. Muss mich noch durch Archive wühlen und weiteres Material auswerten. Ein Justizinsider, der Anfang der 90er Jahre am Bonner Landgericht tätig war, hat mir gesagt, dass es eine dicke Akte zu diesem Fall gibt. Mit dem Selbstmord des Ex-Gerichtspräsidenten sei allerdings der Aktendeckel geschlossen worden. Damit ist der Fall aber nicht erledigt.

  12. Hab zwar damals weiter recherchiert im Verbund mit einem Insider, aber dann doch nicht publiziert. Zur Zeit steht das nicht auf meiner Agenda.

  13. BetaBlogger

    Gibt es noch einen weiteren mysteriösen Fall in Bonn? Ein Ermittler beim WCCB-Skandal, ein Staatsanwalt, der in den Medien wegen seiner Sachkenntnis gefeiert wurde http://www.focus.de/fotos/netz-ermittler-der-bonner-staatsanwalt-marco-thelen-gilt-als-einer-der-versiertesten-hackerjaeger-in-deutschland_id_945326.html , beging Selbstmord mitten in den Untersuchungen. Marco Thelen sprang von einem Parkhaus in der Bonner Innenstadt.
    Auslöser soll eine schwere Krankheit gewesen sein. http://www.general-anzeiger-bonn.de/bonn/Trauer-um-Marco-Thelen-article254967.html
    Das mag durchaus sein, wer jedoch die Summe der Merkwürdigkeiten innerhalb des Bonner Netzwerks aus Politik, Verwaltung und Justiz kennt, wittert eher Unrat. War Thelen überlastet, hielt er den Druck „von oben“ nicht aus? Wer weiß…
    Vielleicht wären unter seiner Beteiligung die Prozesse anders verlaufen. Viele Bonner fragen sich nämlich nach dem durchgängigen Verschwinden der Staatsanwälte ob da nicht mehr war? Nach den drei merkwürdig abgetrennten Verfahren zum WCCB waren sie bald nicht mehr gesehen. Teils durch Abkommandierung ins Ministerium, teils durch Entschwinden in den Ruhestand. Immerhin hatte man schon sehr früh in weiser Voraussicht Herrn Kim als Hauptschuldigen ausgeguckt. Das ermöglichte es fast alle anderen Belasteten laufen zu lassen. Unter ihnen Ex-OB Dieckmann, der man allerhand politische Schweinereien nachsagte (ein Schreinermeister von Bertold Kaaf soll im Rahmen der SPD-Parteiförderung eine sehr, sehr dicke Geldtüte an ihrer Wohnungstür abgegeben haben). Also lieber gunnarsohn ich habe nichts gesagt… 🙂

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