Beim Schufa-Urteil des Bundesgerichtshofs sollte man jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen. Wenn meine Kreditwürdigkeit abhängt von fragwürdigen Prognose-Modellen, die nach dem umstrittenen BGH-Urteil nicht offen gelegt werden müssen, wie soll ich mich dagegen rechtlich wehren können?
Entscheidend ist nicht nur das Score-Ergebnis, liebwerteste BGH-Gichtlinge, sondern die Formel mit den Gewichtungen. Die Systeme sind so blöd und fehlerhaft wie die Analysten, die die Daten einspeisen und dann Vorhersagen über “Geheimformeln” ausrechnen. Oder im Schönwetter-Deutsch der Schufa:
“Scores bilden ein anerkanntes, vertrauensbildendes und stabilisierendes Element der Konsumwirtschaft: 97,5 % der Kreditverträge in Deutschland werden vertragsgemäß zurückgezahlt. Sie ermöglichen eine Prognose für das individuelle zukünftige Kreditverhalten, wodurch Kreditgeber, z.B. Banken oder der Handel, eine valide Einschätzung über das Rückzahlverhalten eines Verbrauchers haben. Kreditnehmer können sich dadurch fair, günstig und bequem ihre Wünsche erfüllen.”
Scores sind also ein anerkanntes, vertrauensbildendes und stabilisierendes Element? Das sehen Statistik-Kenner ganz anders – auch die Big Data-Prediger sollten sich das folgende Statement hinter die Ohren kleben, die vom Ende des Zufalls und von Welterklärungsmaschinen schwafeln:
“Die Grundlage der Statistik, also auch jeder Form des Scorings, ist die Hypothese. Es werden Punkte für die unterschiedlichsten Vorgänge oder Tatsachen verteilt und diese dann gewichtet. Die Gewichtung ist eine Meinung und an dieser Stelle arbeitet die Schufa auch nicht anders als eine gemeine Ratingagentur, die sich mit der Bewertung von Krisenländern wie Spanien verdingen muss. Diese Meinung beinhaltet automatisch eine Fehlerquote”, schreibt Marco Herack in seinem Blog.
Bei der Gewichtung von Informationen wird also eine Entscheidung von Menschen getroffen:
Wir kategorisieren die Informationen als wichtig und weniger wichtig, ehe wir sie zusammenfügen und uns dann eine Meinung bilden.
“Damit verändern wir den Status der Informationen. 80 Prozent aller verfügbaren Informationen führen nicht zu einer 80 Prozent-Chance auf ein richtiges Ergebnis. Durch die Interpretation kann es falsch werden, umgekehrt können wir bei 20 Prozent aller Informationen durch glückliche Interpretation bereits krachend richtig liegen. Das ist dann nur kein Können, sondern reiner Zufall”, so Herack.
Diese Meinungsäußerungen im Zahleneintopf der Schufa werden vom BGH als Geschäftsgeheimnis deklariert.
Bei Euch hackt es wohl. Die machen Geschäfte mit meinen Daten, bekommen teilweise zweifelhafte Informationen von Händlern, Banken sowie Versicherungen und meine Geschäftstätigkeit wird davon massiv beeinflusst. Eine Wahlfreiheit zur Zustimmung der Schufa-Abfrage habe ich nicht wirklich. Was würde denn passieren, wenn ich das verweigere? Geschäftlich wäre ich tot.
Der faktische Zwang des Schufa-Verfahrens kann also wie bei den idiotischen Rating-Agenturen meine Kredite verteuern oder gar zur Ablehnung von Krediten führen, wie bei dem Fall, der vom BGH beurteilt wurde. Der Klägerin wurde übrigens ein Autokredit verweigert auf Basis ihres schlechten Score-Wertes, der auf einer Namensverwechslung beruhte. Es reicht also nicht aus, einen Daten-TÜV ins Spiel zu bringen oder Schiedsgerichte zu installieren (die Schufa hat ja einen Ombudsmann), bei dem ich die Möglichkeit habe, die Vorhersagen der automatischen Denunzianten-Systeme zu entkräften. So eine Institution hat Professor Mayer-Schonberger vom Internet Institute in Oxford ins Gespräch gebracht: Aber selbst der Big Data-Professor fordert Einsicht in die Formelstube der Analysten. Algorithmen, die Risiko-Vorhersagen berechnen, müssten einsehbar sein, sagt der Autor des Buches „BIG DATA – Die Revolution, die unser Leben verändern wird“:
„Die Faktoren, die in die Berechnung der Prognose einfließen, müssen transparent sein, und es muss Regeln geben, wie der Betroffene das Ergebnis widerlegen kann.“
Umgekehrt wird ein Schuh draus. Die Beweislast muss beim Modellschreiner liegen. Wenn er mich ohne Offenlegung der Berechnungsmethoden als kreditunwürdig einstuft, sollte das straf- und zivilrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Besonders bei einem Unternehmen wie die Schufa AG, die zu den Big Data-Giganten in Deutschland zählt und das schon zu Zeiten, wo keine Seele über Big Data redete. Nachzulesen in meiner heutigen The European-Kolumne.
Hat dies auf http://www.ne-na.de rebloggt.
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