
Zur Vorbereitung eines Gesprächs über öffentliche Meinung:
Am 24. März 1999 startete die NATO-Operation „Allied Force“ gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, eine der massivsten Luftkriegsoperationen der jüngeren Militärgeschichte. Für die Bundesrepublik Deutschland bedeutete dies den ersten aktiven Kriegseinsatz nach dem Zweiten Weltkrieg. Die damalige Bundesregierung rechtfertigte den Einsatz mit der Wahrung von Menschenrechten und veröffentlichte Informationen über grausame Kriegsverbrechen, die im Nachhinein unbestätigt blieben.
Während die Wirkung der Kriegspropaganda von Regierungen auf die Berichterstattung der Medien Gegenstand vieler kommunikationswissenschaftlicher Untersuchungen ist, bleibt die Wirkung von Kriegspropaganda auf die öffentliche Meinung bisher so gut wie unerforscht. Da in Demokratien die Zustimmung des Volkes zu Kriegseinsätzen eine zentrale Rolle für die politisch Verantwortlichen einnimmt, war es Ziel der Masterarbeit meiner lieben Frau, die Wirkung der Kriegspropaganda der deutschen Bundesregierung während des Jugoslawien-Kriegs auf die öffentliche Meinung zu untersuchen.
Hintergrund und Problemstellung der Forschungsarbeit von Miliana Sohn: Die opinion populi, die Meinung des Volkes, ist seit jeher in Demokratien einer der wichtigsten Gradmesser für das Handeln der politischen Klasse. Auch wenn sich die Formen der Herrschaft und der Kommunikation grundlegend gewandelt haben, handeln die politischen Akteure in modernen Demokratien weiterhin dem Wissen folgend, dass die Zustimmung des Volkes für die Legitimation des eigenen Tuns zwingend ist. Zur Erlangung dieser Legitimation in kriegerischen Auseinandersetzungen wird Propaganda seit dem Altertum bis in unsere heutige Zeit als kommunikatives Instrument eingesetzt. Kriegspropaganda ist eine der ältesten Kommunikationsdisziplinen. Auch wenn heute zunehmend digitale und multimediale Kanäle genutzt werden, hat das Prinzip nach wie vor Gültigkeit, das Aristoteles (1959, 32 f.) bereits im vierten Jahrhundert vor Chr. beschrieb: Die strategische Beantwortung der Frage, welche Vorwände es gibt, den
Krieg in ein Land zu tragen. Was Aristoteles beschrieb, kommt heutzutage der kommunikativen Herausforderung strategischer Public Relations (PR) in Kriegszeiten nahe.
Mit dem Einsatz der NATO im ehemaligen Jugoslawien nahm Deutschland im Jahr 1999 erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg aktiv an einem Kriegseinsatz teil. Der Rechtfertigungszwang für die verantwortlichen politischen Akteure gegenüber der Öffentlichkeit war immens, da die Bundeswehr laut Verfassung nur als reine Verteidigungsarmee agieren durfte. Zunächst sprach der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in einer Fernsehansprache an die deutsche Bevölkerung zu Beginn des Krieges im März 1999 abstrakt von einer drohenden humanitären Katastrophe im Kosovo. Ein konkreteres Szenario zeichnete in zwei darauf folgenden Pressekonferenzen und einer Fernseh-Talkshow im März und April 1999 der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping. Informationen über ein Konzentrationslager in Pristina lösten öffentliche Empörung aus. Hoch emotionalisierend waren die Bilder eines angeblichen Massakers in dem Dorf Rugovo: Dort sollten kosovoalbanische Zivilisten auf grausame Weise getötet worden sein. Vervollständigt wurde das Bild des Völkermordes, als der Verteidigungsminister Beweise über die Existenz des sogenannten Hufeisenplans vorlegte. Dabei handelte es sich um einen angeblichen Plan der jugoslawischen Regierung zur systematischen Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte jedoch in seinem Urteil bereits am 24. Februar 1999 (Az: 14 A 3840/94.A) festgestellt, dass es keine Anzeichen für eine systematische Vertreibung der Albaner gäbe. Die Bundesregierung berief sich dennoch auf die drohende humanitäre Katastrophe, der Bundestag votierte mehrheitlich für den Kriegseinsatz und setzte die Teilnahme der Bundeswehr an dem NATO-Krieg durch. Loquai (2007, 39) stellt fest, dass es ein völkerrechtswidriger Angriff gewesen ist, da die UN (United Nations)-Charta außer Kraft gesetzt wurde, denn ein Mandat des UN-Sicherheitsrats lag nicht vor und da kein Angriff vorlag, konnte sich die deutsche Bundesregierung auch nicht auf das Recht auf Selbstverteidigung berufen.
Noch während des Kriegseinsatzes häuften sich Medienberichte und Expertenstimmen, dass die Informationen zu dem Hufeisenplan, dem Massaker in Rugovo und dem Konzentrationslager in Pristina unwahr gewesen seien. Auch nach Beendigung des Krieges konnte die Bundesregierung keine überprüfbaren Beweise vorlegen, die die Aussagen zu den Geschehnissen belegten. Der Bundesregierung wurde vielfach vorgeworfen, dass sie bewusst mit falschen Informationen Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen wollte, um den Kriegseinsatz zu legitimieren und öffentliche Zustimmung für den Einsatz der Bundeswehr zu erlangen. Seit dem Jugoslawien-Krieg mussten sich die deutsche Regierung und die Öffentlichkeit mit weiteren Kriegen im Irak, in Afghanistan und aktuell dem Bürgerkrieg in Syrien und den Geschehnissen in der Ukraine auseinandersetzten. Eine neue politische Dimension und Aktualität erfährt das Thema in einer viel beachteten und kontrovers diskutierten Rede des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck zur Eröffnung der Münchner Sicherheitskonferenz am 31. Januar 2014.
Der Inhalt des folgenden Absatzes basiert im Wesentlichen auf einem Bericht der ARD-Tagesschau vom 31. Januar 2014. In seiner Grundsatzrede zu Deutschlands Rolle in der Welt forderte Gauck eine fundamentale Neuausrichtung der deutschen Außen- und
Sicherheitspolitik. Zur Sicherung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit könnte Deutschland entschlossener weitergehen, um den Ordnungsrahmen aus Europäischer Union, NATO und den Vereinten Nationen zu erhalten und zu formen. Der Bundespräsident sagte, es sollte für Deutschland und seine Verbündeten selbstverständlich sein, Hilfe anderen nicht einfach zu versagen, wenn Menschenrechtsverletzungen in Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit münden. Das Prinzip der staatlichen Souveränität und der Grundsatz der Nichteinmischung dürften gewalttätige Regime nicht unantastbar machen. Als äußerstes Mittel sei der Einsatz von Militär möglich. Ungeachtet der schwierigen Fragen von Völkerrecht, Rechtsstaatlichkeit und der Rolle der Vereinten Nationen liegt eine weitere Problematik des von Gauck geschilderten Szenarios in seiner Beurteilung: Wann liegen gesicherte Informationen über Völkermord, Kriegsverbrechen oder ethnische Säuberung vor? Gibt es eine Deutungshoheit der politisch Verantwortlichen in dieser Frage? Kann sich die Öffentlichkeit auf den Wahrheitsgehalt von Informationen verlassen, die von der Bundesregierung zur Legitimierung eines militärischen Einsatzes veröffentlicht werden?
Die meisten veröffentlichten wissenschaftlichen Arbeiten zu der Wirkung von staatlicher Public Relations (PR) in Kriegssituationen konzentrieren sich auf die Wechselwirkung zwischen politischem System und Medien. Untersuchungen zu der Wirkungsweise von staatlicher PR auf die öffentliche Meinung in Kriegssituationen sind kaum vorhanden und fokussieren sich laut Eilders/Hagen (2005, 210) interessanterweise selten auf das Publikum, obwohl dieses in der kommunikationswissenschaftlichen Wirkungsforschung meist im Vordergrund steht.
Eine Arbeit, die die moderne Kriegs-PR theoretisch, methodisch und empirisch untersucht, fehlt bisher (Kutz, 2010, 144). Die mittlerweile im Januar 2014 veröffentlichte Arbeit von Kutz „Öffentlichkeitsarbeit in Kriegen“ beschreibt ausführlich Instrumente und Strategien, ein eigenes Kapitel (2014,176-225) befasst sich mit dem Jugoslawien-Krieg. Jedoch greift der dreiseitige empirische Forschungsansatz wahrscheinlich insgesamt zu kurz, da der Blick nur auf einen demoskopischen Befund während des Kriegseinsatzes gerichtet ist. In der vorliegenden Arbeit wird die Wirkung der Kommunikationspolitik der deutschen Bundesregierung während des Jugoslawien-Krieges auf die öffentliche Meinung untersucht. Es sollen die Annahmen über den Einfluss der staatlichen PR auf die öffentliche Meinung zur Legitimierung des Kriegseinsatzes in Jugoslawien überprüft werden.
Analysiert werden vier Kommunikationsbotschaften der deutschen Bundesregierung. Im Einzelnen wurden Informationen über eine drohende humanitäre Katastrophe, ein Konzentrationslager in Pristina, den sog. Hufeisenplan der jugoslawischen Regierung und ein Massaker in Rugovo thematisiert. Diese Sachverhalte und die verbreiteten Informationen darüber wurden später vom Kriegsverbrechertribunal der Vereinten Nationen in Den Haag überprüft. Die Echtheit der Informationen über die geschilderten Kriegsverbrechen wurde vom Kriegsverbrechertribunal nicht bestätigt. Eine ausführliche Erläuterung hierzu findet im Theorieteil statt. Diese Informationen sind Grundlage der empirischen Analyse und werden in der vorliegenden Arbeit als ungeprüfte Informationen bezeichnet.
Unter kommunikativen Gesichtspunkten stellen sich insbesondere diese Fragen: Welche der ungeprüften Informationen der Bundesregierung wurden in der Berichterstattung aufgegriffen? Welche Informationen führten zu einem einheitlichen Medientenor? Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Veröffentlichung der Informationen der Bundesregierung und der Berichterstattung über diese Informationen in den Medien und signifikanten Änderungen zur Frage der Zustimmung zum Jugoslawien-Krieg in repräsentativen Meinungsumfragen?
Daraus leitet sich die zentrale Forschungsfrage ab:
Welche Wirkung hatten unbestätigte Informationen der deutschen Bundesregierung während des NATO-Krieges in Jugoslawien auf die öffentliche Meinung?
Zur Beantwortung der Forschungsfrage kommt im empirischen Teil eine Kombination aus Methoden der qualitativen und quantitativen Sozialforschung zum Einsatz. In einer qualitativen Medieninhaltsanalyse sollen Aussagen zu der veröffentlichten Meinung während des Jugoslawien-Krieges getroffen werden. Weiterhin ist eine quantitative Analyse erforderlich, um valide Ergebnisse zu erhalten. Dafür werden in einer Sekundäranalyse Daten aus repräsentativen Meinungsumfragen zur Zustimmung zum Kriegseinsatz der Bundeswehr ausgewertet und später mit den Ergebnissen der Medieninhaltsanalyse korreliert.
„Das Ziel der legitimitätssuchenden Selbstverständigung der NATO bestand darin, den völkerrechtlich illegalen Krieg als moralisch legitim zu kommunizieren. Deshalb kann der Kosovo-Krieg auch als ein Krieg um die öffentliche Meinung betrachtet werden, denn die legitimitätssuchende Selbstverständigung musste unbedingt gelingen (Baumann, 2013, 206).“…..
Begriffsbestimmungen zur öffentlichen Meinung finden sich in der wissenschaftlichen Welt in großer Anzahl. Alleine die Sammlung von Childs (1965, 16 ff.) umfasst über 50 verschiedene Definitionen. Oncken (1914, 203) führt die Schwierigkeit der Begriffsbestimmung darauf zurück, dass versucht wird, etwas schwer Greifbares in eine Formel sperren zu wollen. Seine Definition spiegelt die im 19. Jahrhundert geprägte Ansicht, dass öffentliche Meinung vorrangig im politischen Kontext zu sehen sei: „Öffentliche Meinung ist ein Komplex von gleichartigen Äußerungen größerer oder geringerer Schichten eines Volkes über Gegenstände des öffentlichen Lebens.“ Außerdem wies er darauf hin, dass die öffentliche Meinung eine Macht sei, „auf die auch die Staatsmänner blicken (ebd., 236).“ Eine allgemeingültige Begriffsbestimmung konnte sich bis heute nicht durchsetzen. Die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen legen Modelle zugrunde, die auf soziologische, politikwissenschaftliche, ökonomische, staatswissenschaftliche oder psychologische Zusammenhänge ausgelegt sind.
In der empirischen Sozialforschung, die in den 1950er Jahren in Deutschland maßgeblich von Noelle-Neumann geprägt wurde, haben sich sozialpsychologische Ansätze zur Theorie der öffentlichen Meinung durchgesetzt. Demnach versteht Noelle-Neumann (1989, 90) den sozialpsychologischen Aspekt in der öffentlichen Meinung als die soziale Natur des Menschen, seiner Schwächen, der Abhängigkeit von der Urteilsinstanz seiner Umwelt und seine empfindliche soziale Haut.
Bei der Definition öffentlicher Meinung spielt in Noelle-Neumanns Ausführungen der Wunsch nach gesellschaftlicher Akzeptanz und die damit verbundene Isolationsfurcht eine wesentliche Rolle. Geprägt von Traditionen, Sitten und vor allem Normen nimmt der Mensch die Meinung an, die er öffentlich äußern oder annehmen muss (Noelle-Neumann, 1989, 92). Anders als Noelle-Neumann bewertet Luhmann (2010, 434) vor dem Hintergrund der Systemtheorie den Einfluss gruppenpsychologischer Erklärungsmodelle als problematisch, da der Begriff so jede Kontur verliere. Vor dem Hintergrund sozialtheoretischer Modelle beschreibt Luhmann (1990, 181 f.) öffentliche Meinung im politischen Kontext einerseits als das Ergebnis der Thematisierung, also dadurch, dass ein Thema auf den Verhandlungstisch gebracht wird und andererseits durch die Reduktion von Problemkomplexität, indem nicht überschaubare politische Sachverhalte nachvollziehbar und damit erst entscheidungsfähig gemacht werden.
In der demoskopischen Forschung wiederum geht eine maßgebliche Begriffsbestimmung auf Noelle-Neumann zurück. Sie definiert die öffentliche Meinung als wertgeladene, insbesondere moralisch aufgeladene Meinung, in der man Verhaltensweisen wie Sitten oder Dogmen öffentlich zeigen muss, wenn man sich nicht isolieren will (Noelle-Neumann, 1983, 141). Es zeigt sich, dass der Begriff der öffentlichen Meinung je nach wissenschaftlichem Kontext vielfältige, häufig unklare Erklärungen und Definitionen erfährt. In Anlehnung an die amerikanische Auffassung, die stark von der Annahme geprägt ist, dass politische Einflüsse maßgeblich sind, bezeichnet Gabriel (1994, 97) die öffentliche Meinung als „Verteilung der in Umfragen gemessenen individuellen Einstellungen zu politischen Sachfragen in einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung.“….
Abgrenzung zu veröffentlichter Meinung
Klarer als die vielfältigen Definitionsversuche zur öffentlichen Meinung ist ihre Abgrenzung zu veröffentlichter Meinung. Die veröffentlichte Meinung bezeichnet das, was in Presse, Rundfunk, Fernsehen und Internet dem Publikum zugänglich gemacht wird. Dass dies allerdings nicht gleichzusetzen mit der öffentlichen Meinung ist, zeigen die Forschungsarbeiten von Früh (2005, 4-20).
Demnach stammt mehr als die Hälfte dessen, was die Meinung der Bevölkerung prägt, aus genau identifizierbaren Medien und weitere 10 Prozent aus nicht genau bestimmbaren Medien. Der übrige Anteil, der die Meinungsbildung prägt, ist auf das Hintergrundwissen und andere, nicht bestimmbare Faktoren zurückzuführen. Ein weiterer wichtiger Faktor für die Entstehung von öffentlicher Meinung ist laut Merten/Westerbarkey (1994,190 ff.) die Anwesenheit einander bekannter Personen, was in unserer heutigen Gesellschaft jedoch nur selten der Fall ist, wie etwa im Freundes- und Familienkreis…..
Eine klare Trennung von öffentlicher und veröffentlichter Meinung nimmt auch Noelle-Neumann vor. Ausgehend vom hohen Einflussfaktor der sozialen Haut kann demnach im Gegensatz zu der veröffentlichten Meinung erst von öffentlicher Meinung gesprochen werden, wenn sich ein Lager so durchgesetzt hat, dass man in der Öffentlichkeit dafür sprechen kann, ohne dass man Gefahr läuft, sich zu isolieren (Noelle-Neumann 1998, 92). Damit dieser Zustand eintritt, ist ein einheitlicher Medientenor entscheidend, denn nicht die Berichte der einzelnen Zeitungen sind Ursache der Sichtweise der Bevölkerung, sondern der. vorherrschende Tenor der Medien wird als Ursache angesehen (Noelle-Neumann 2009, 655). Die Wechselwirkung zwischen Medien und öffentlicher Meinung ist also eigenen Dynamiken unterworfen…
In der Medienwirkungsforschung wird häufig die Theorie des Agenda-Setting-Prozesses als Erläuterungsmodell zu der Wirkung der Medien auf die öffentliche Meinung zugrunde gelegt. Agenda Setting beschreibt laut Becker (2014, 311) den Einfluss der Medien auf die Themen, die im öffentlichen Raum behandelt werden. Dabei würde zwischen „First Level“ und „Second Level“ Effekten unterschieden.
Unter der ersten Ebene werden demnach die Aspekte verstanden, die aufgrund von Selektion der Themen Aufmerksamkeit produzierte, die Themen damit als wichtig auszeichnen und die Themenuntereinander strukturieren (ebd.). Dabei seien die Medien in einen Kontext eingebunden, der reflexiv gegenüber der öffentlichen Meinung und reaktiv gegenüber der politischen Agenda ist.
Im Second Level wird untersucht, welchen Einfluss die Behandlung von Themen in den Medien auf die öffentliche Interpretation dieser Themen nimmt (ebd.). Die Medien würden Erklärungsrahmen liefern (Framing) und damit einen gemeinsamen Grundstock von Annahmen aufbauen….
Öffentliche Meinung und ihre politische Relevanz
Schon seit der Antike ist das Volk das tragende Element der politischen Ordnung und die Macht der politischen Klasse hängt von seiner Akzeptanz ab (Kuhn 2012, 19). Um diesen Umstand in die strategische politische Arbeit einzubeziehen, werden seit Ende der 1940er Jahre in Deutschland demoskopische Umfragen als Gradmesser für politisch relevante Fragen eingesetzt. Heutzutage werden regelmäßige Umfragen zum politischen Meinungsklima im Auftrag des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung durchgeführt. Ende der 1950er Jahre prognostizierte Schmidtchen (1959, 213 ff.) der Demoskopie eine immer wichtiger werdende Rolle in der politischen Entscheidungsfindung: Empirische Befunde würden Politiker in einem Lernprozess unweigerlich dazu bringen, ihr Bewusstsein und Verhalten anzupassen.
Anfang der 1980er Jahre beschrieb der damalige CDU-Oppositionsführer Kohl (1981, 161) die Wichtigkeit des Instruments für die handelnden politischen Akteure: „In einer modernen Gesellschaft […] kann die Politik nicht darauf verzichten, sich wieder ein Bild zu machen von den Meinungsströmungen in der Bevölkerung […] Umfragen sind ein wichtiges Mittel, um das Ohr am Pulsschlag des politischen Lebens zu haben, Widerstände rechtzeitig zu erkennen, Meinungsströmungen als Chance für die Thematisierung und Akzentuierung der eigenen Politik zu benutzen […].“
Als ausgewachsenes Dilemma wiederum sah Seidel (1961, 26 ff.) den Einfluss der öffentlichen Meinung auf den einzelnen Politiker: Eine nichtüberwindbare Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit – dem Handlungszwang unter dem Einfluss der öffentlichen Meinung – und des Eids des Parlamentariers, sich nur seinem eigenen Gewissen zu verpflichten.
Auch Noelle-Neumann sprach der öffentlichen Meinung eine erhebliche Macht über die Politik zu. Die öffentliche Meinung zwinge sowohl die Regierung als auch das einzelne Glied der Gesellschaft, sie zu respektieren. Wenn die Regierung die öffentliche Meinung nicht beachte, drohten ihr Sturz und Machentzug (Noelle-Neumann, 2009, 429).
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Politik mit PR als erprobtem Mitteln versucht, Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Abseits von Wahlkampfstrategien, Talkshows und politischem Alltagsgeschäft stehen die Verantwortlichen jedoch vor besonderen Herausforderungen, wenn es um hochemotionale Themen wie Krieg geht. Den aktiven Einsatz deutscher Soldaten in fremden Ländern zu erklären und Krieg als sinnstiftendes Unterfangen in der öffentlichen Meinung zu verfestigen, ist eine schwierige kommunikationspolitische Herausforderung. Besonders in westlichen Demokratien stehen die Regierungen unter einem hohen Rechtfertigungszwang, denn vor dem Hintergrund zweier Weltkriege und ihrer zivilen Opfer ist unsere heutige Gesellschaft nicht mehr bereit, in Kriegen und Konflikten Opfer zu bringen (Münkler 2002, 208 ff).
Laut Eilders/Hagen (2005, 218) besteht die zentrale Wirkung von Kriegsberichterstattung und ihrem Einfluss auf die öffentliche Meinung darin, dass sie Kriege legitimieren oder delegitimieren kann und für den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung ausschlaggebend ist. Interessant ist in der Wirkungskette staatliche PR->Medien->öffentliche Meinung bei Kriegsthemen der Umstand, dass sowohl Journalistinnen und Journalisten als auch die Bevölkerung in der Regel nicht auf eigenes Erfahrungswissen zurückgreifen können. Die Medien müssen häufig auf die Informationen vertrauen, die ihnen zur Verfügung gestellt werden, die Bevölkerung wiederum auf die daraus resultierende Berichterstattung. Da das eigene Erfahrungswissen für die Bildung der individuellen Meinung und somit der Bevölkerungsmeinung jedoch ein wichtiger Faktor ist (Früh 2005, 4-20), scheint insbesondere in Kriegssituationen ein hohes Maß der Beeinflussbarkeit durch PR möglich.
Die Macht, die Noelle-Neumann der öffentlichen Meinung über die Politik zuschreibt, relativiert sich jedoch, wenn die hohe Beeinflussbarkeit der öffentlichen Meinung in Kriegssituationen berücksichtigt wird. Hume (1953, 24) drückte es folgendermaßen aus: „It is on opinion only that government is founded.”….
Ausführlich geht meine Frau auf Framing und PR-Agenturen ein. Spannend sind folgende Ziele der PR-Spezialisten:
Ziele der PR-Agenturen der nicht-serbischen Klientel
die Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens durch die USA
die Wahrnehmung Sloweniens und Kroatiens als fortschrittliche Staaten
westeuropäischen Zuschnitts
die Darstellung der Serben als Unterdrücker und Aggressoren
die Gleichsetzung der Serben mit den Nazis
die Formulierung des politischen Programms der Kosovo-Albaner
die Darstellung der Kroaten, der bosnischen Muslime und der Kosovo-Albaner als
ausschließlich unschuldige Opfer
die Anwerbung von NGOs, Wissenschaftlern und Think tanks für die
Verwirklichung der eigenen Ziele
das Eingreifen der USA in die Ereignisse auf dem Balkan
die Darstellung der Eroberung der serbisch gehaltenen Krajina durch die
kroatische Armee als legitim und legal
die Aufrechterhaltung der UN-Sanktionen gegen Serbien
eine günstige Entscheidung beim Schiedsspruch um die bosnische Stadt Breko
die Völkermordanklage gegen die Bundesrepublik Jugoslawien vor dem
Internationalen Gerichtshof in Den Haag
günstige Verhandlungsergebnisse für die albanische Seite in Rambouillet
die Anklage Slobodan Milosevics vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag
eine Förderung von US-Investitionen in den jugoslawischen Nachfolgestaaten
die Sezession Montenegros von Belgrad
Zu den Auftragnehmer gehörten die PR-Agenturen The Washington Group, Jefferson Waterman International und Ruder Finn (ebd., 38). Der Ruder-Finn Direktor James Harff erklärte in einem Interview (Merlino, 1993, 128):
„Die jüdischen Organisationen auf Seiten der Bosnier ins Spiel zu bringen, war ein großartiger Bluff. In der öffentlichen Meinung konnten wir auf einen Schlag die Serben mit den Nazis gleichsetzen. Sofort stellte sich eine bemerkbare Veränderung des Sprachgebrauchs in den Medien ein, begleitet von der Verwendung solcher Begriffe, die eine starke emotionale Aufladung hatten, wie etwa ethnische Säuberung, Konzentrationslager usw., und all das evozierte einen Vergleich mit Nazi-Deutschland, Gaskammern und Auschwitz. Die emotionale Aufladung war so mächtig, dass es niemand wagte, dem zu widersprechen, um nicht des Revisionismus bezichtigt zu werden. Wir hatten ins Schwarze getroffen.“….
Die Kommunikationspolitik der deutschen Regierung im Jugoslawien-Krieg:
“Die politischen Führer spielten nun die entscheidende Rolle für die öffentliche Meinung. […]. Nicht nur Minister Scharping, auch Kanzler Schröder und Minister Fischer waren ein großartiges Beispiel für politische Führer, die nicht der öffentlichen Meinung hinterherrennen, sondern diese zu formen verstehen (Jamie Shea, NATO-Sprecher, In: Angerer/Werth, Originalton ARD- Dokumentation, 2001).“
Während der Recherche zu der vorliegenden Arbeit hat die Verfasserin auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Anfragen an das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und das Bundesministerium der Verteidigung gestellt. Es wurde Auskunft darüber ersucht, ob und wenn ja, welche PR-Agenturen während des Einsatzes der Bundeswehr im Jugoslawien-Krieg beratend oder operativ im Auftrag der Bundesregierung tätig waren.
Das Auskunftsersuchen wurde vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung am 03. Februar 2014 wie folgt beantwortet: „Amtliche Informationen zu dem geschilderten Sachverhalt liegen dem BPA nicht vor. Eine Beratung des BPA hierzu durch eine PR-Agentur hat es nicht gegeben.“
Das Bundesministerium der Verteidigung erteilte am 19.02.2014 diese Auskunft:
„Hierzu teile ich Ihnen mit, dass dem Bundesministerium der Verteidigung auch nach umfangreichen Recherchen keinerlei Hinweise darauf vorliegen, dass PR- Agenturen in Zusammenhang mit dem Einsatz der Bundeswehr auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens durch das Bundesministerium der Verteidigung beauftragt worden oder für dieses tätig geworden wären“.
Während der späteren Literaturrecherche fanden sich jedoch Hinweise über die PR- Tätigkeit der Moritz Hunzinger Information AG während des Jugoslawien-Krieges.
So nennt Becker (2002, 116) die Hunzinger AG in einer Übersicht der Aktivitäten von Public Relations Agenturen in Kriegen als Auftragnehmer des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping während des Jugoslawien-Krieges 1999. Bezugnehmend auf die hohe Anzahl von Interviews, in denen Moritz Hunzinger unter anderem über seine Truppenbesuche mit dem Verteidigungsminister im Kosovo, über „Parlamentarische Abende“ zu dem Thema und über das Agieren des Verteidigungsministers auf Pressekonferenzen zum Jugoslawien-Krieg berichtete, resümiert Mihr (2003, 96), dass die Hunzinger AG in Artikeln und Interviews lange Zeit mit der PR-Arbeit für den Verteidigungsminister Scharping während des Kosovo-Krieges geworben hat.…
Auch Krempl (2004, 19) weist darauf hin, dass in der deutschen Regierung der Verteidigungsminister während des Kosovo Krieges auf die fachliche Beratung der „PR- und Lobby-Agentur Hunzinger“ zurückgegriffen hat, die seinerzeit auch für das Image des Verteidigungsministers zuständig war.
Im Jahr 2002 wurde in der Öffentlichkeit bekannt, dass die Moritz Hunzinger AG hohe Bestechungsgelder an amtierende Politiker zahlte. Auch an den damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping flossen Gelder, so dass dieser wegen der „Hunzinger-Affäre“ von dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder am 18.07.2002 aus dem Amt des Verteidigungsministers entlassen wurde.
Der Deutsche Rat für Public Relations stellte in seiner Rüge an Moritz Hunzinger fest: „Moritz Hunzinger hat dem Ansehen des Berufsstandes erheblichen Schaden zugefügt. Er hat durch sein Handeln, insbesondere durch solche Geldzuwendungen, die Politiker in Konflikte mit ihren öffentlichen Ämtern gebracht haben, in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, dies sei übliche PR-Praxis (Deutscher Rat für Public Relations, 12.09.2002, o.S.).“ Die Konstruktion von Feindbildern durch die deutsche Bundesregierung während des Jugoslawien-Krieges wurde von Brumlik (2002, o.S.) im Nachgang zu der „Hunzinger- Affäre“ nochmals aufgegriffen: Die Erinnerung an “Auschwitz ist Propaganda gewesen, möglicherweise von Moritz Hunzinger konzipiert (ebd.).“
In Deutschland herrscht im Gegensatz zu den USA keine Veröffentlichungspflicht für von der Regierung beauftragte PR-Agenturen. In Kriegssituationen bleibt somit intransparent, welche Agenturen mit welchen Inhalten Kriegsvorbereitungs- oder Kriegspropaganda im Auftrag der Regierung betreiben. Zu den wichtigsten Instrumenten dieser Agenturen gehört das Zeichnen von Sprach- und Feindbildern – und auch die Bundesregierung hat diese Instrumente im Jugoslawien-Krieg genutzt…..
Im Jugoslawien-Krieg zeigte sich frühzeitiges Framing zur Feindbildkonstruktion (Kutz, 152, 210). In dem Spiegel-Artikel „Serbien muß sterbien – Der historische Ballast zwischen Serben und Deutschen“ greift Ilhau, (1999, 209) das Thema Feindbilder auf: Die Stellungnahme des damaligen Außenministers Klaus Kinkel “Serbien muß in die Knie gezwungen werden” erinnere in ihrer Diktion an den letzten deutschen Kaiser, Wilhelm II, dessen Schlachtruf im Ersten Weltkrieg „Mit den Serben muß aufgeräumt werden, und zwar bald” in die Geschichte eingegangen sei.
Dass Krieg wieder ein legitimes Mittel der deutschen Politik sein könnte, begründete die deutsche Regierung mit Parallelen zur deutschen Vergangenheit (Bilke, 2008, 153).
Als durchgehendes Muster bezeichnet Bilke (ebd.) den Vergleich des feindlichen Machthabers mit Hitler, auch der damalige jugoslawische Präsident wurde häufig mit dem nationalsozialistischen Diktator verglichen. Der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping erklärte unter anderem: „[…] vor allem die mehr als 300.000 Toten, die über zwei Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge – in all diesen Schrecken erkennt jeder klar Denkende die Fratze der Vergangenheit (ebd.).“
Als durchgehendes Muster bezeichnet Bilke (ebd.) den Vergleich des feindlichen Machthabers mit Hitler, auch der damalige jugoslawische Präsident wurde häufig mit dem nationalsozialistischen Diktator verglichen. Der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping erklärte unter anderem: „[…] vor allem die mehr als 300.000 Toten, die über zwei Millionen Vertriebenen und Flüchtlinge – in all diesen Schrecken erkennt jeder klar Denkende die Fratze der Vergangenheit (ebd.).“
Die folgenden Absätze beruhen bis zur entsprechenden Kennzeichnung auf Seige (2011, o.S.). Ein weiteres, wirksames Mittel der Kriegspropaganda ist die Sprache. Gezielte Wortwahl ruft Stimmungen hervor oder unterdrückt sie. „Um den Krieg als gute Sache gegen einen bösen Gegner erscheinen zu lassen, werden häufig Schlagwörter eingesetzt“. Diese werden als “White Words” und “Black Words” bezeichnet. Hingegen werden negativ besetzte Ausdrücke über den Krieg meistens vermieden, stattdessen werden Begriffe aus anderen Zusammenhängen verwendet. Dies wird als “sprachliche Schönfärberei” bezeichnet.
Black Words
Dem Aufbau eines klaren Feindbildes dienen die “Black Words”, die beim Zuhörer Unbehagen und Angst auslösen. Zur Beschreibung des Kriegsgegners wird in politischen Reden häufig davon Gebrauch gemacht. Dazu gehören Begriffe wie: Diktator, Hass, Waffen, Terrorismus, Unterdrückung, Regime, Tyrannei, das Böse, Fanatismus etc.
White Words
Die meisten Menschen wiederum verbinden mit den „White Words“ positive Gefühle. Sie dienen der moralischen Rechtfertigung des Krieges. Der Krieg wird somit notwendig, um die Gesellschaft vor Übeln zu bewahren, die ethische und moralische Grundwerte angreifen würden. Dazu gehören Begriffe wie: Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit, Frieden, Familie, Nation, Humanität, Vaterland etc.
Sprachliche Schönfärberei
Bestimmte Wörter wiederum werden im Krieg bewusst vermieden, da sie die Grausamkeit des Krieges offenbaren würden. Verharmlosende Formulierungen werden stattdessen eingesetzt um zu gewährleisten, dass der Widerstand gegen den Krieg innerhalb der Öffentlichkeit gering gehalten wird. Zu den beschönigende Formulierungen gehören: „Kollateralschaden” statt “Getötete oder verletzte Zivilisten” oder “Luft-Kampagne” statt “Bombardement”. (Ende der Zusammenfassung aus Seige, 2011, o.S.)
Um Aufschluss darüber zu erhalten, welche Analogien, Emphasen, Begriffe, Sprachbilder, Black Words und White Words für das Framing in der Sprach – und Feindbildkonstruktion von der deutschen Bundesregierung gewählt wurden, werden im gesamten
vorwiegend wörtliche Zitate wiedergegeben. So sagte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung im deutschen Bundestag am 24. März 1999: „Der jugoslawische Präsident Milosevic führt dort einen erbarmungslosen Krieg. Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 2011, o.S.).“
Am 26. März 1999 erklärte Schröder vor dem Deutschen Bundestag: „Präsident Milosevic hat sein eigenes Volk, die albanische Bevölkerungsmehrheit im Kosovo und die Staatengemeinschaft ein ums andere Mal hintergangen. […] Unsagbares menschliches Leid ist die Folge dieser Politik. […] Aber wir wissen uns einig und in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit der deutschen
Bevölkerung (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 2011, o.S.).“ Joschka Fischer, damaliger Bundesaußenminister, sprach vor dem Deutschen Bundestag am 15. April 1999: „[…]diese Pest der europäischen Vergangenheit, einen großserbischen Nationalismus wie den, den wir mit dem großdeutschen Nationalismus auch hatten. […] Ich hatte wirklich Schwierigkeiten damit, zu akzeptieren, daß dies wieder da ist, daß dies eine rohe Form von Faschismus ist. Das Europa der Demokratie kann diese rohe Form des Faschismus nicht akzeptieren (Deutscher Bundestag, 1999, o.S.).“ Der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD im Deutschen Bundestag und spätere Bundesverteidigungsminister, Peter Struck, äußerte in der Plenarsitzung vom 16. April 1999:
„Am Ende dieses an Schrecken reichen Jahrhunderts versucht noch einmal ein wahnwitziger, machtbesessener Diktator, eine ganze Volksgruppe zu vertreiben oder auszulöschen und seinem rassistischen Ziel eines “ethnisch reinen” Serbiens näherzukommen (Deutscher Bundestag, 1999, o.S.).“
In seinem kurz nach dem Krieg veröffentlichten Aufzeichnungen hielt der damalige Verteidigungsminister Scharping (1999, 141) fest: “Mir geht eine alte Angst durch den Kopf: Dieser Verbrecher will einen Waffenstillstand auf dem Friedhof.”
Zur Schaffung von Feindbildern und Dämonisierung der Kriegsgegen bilden. Gräuelmärchen die Grundlage (Bilke, 2008, 153). Mit Schüsselbildern und Metaphern zu arbeiten, die historische Erfahrungen mit neuen Ereignissen verknüpfen und bei der Kriegsvorbereitung auf die Dämonisierung der Täter zu setzen, ist eine zentrale Strategie der Propaganda (ebd.).
Als Hauptargument für den NATO-Krieg im ehemaligen Jugoslawien wurde eine drohende humanitäre Katastrophe angeführt. Vertreibung, Flucht und Elend würden nach dem Zerfall des Vielvölkerstaates drohen, und dies müsse durch eine humanitäre Intervention verhindert werden…..

“Sie sind die demokratisch gewählten Vertreter. Sie wussten, welche Nachricht jeweils für die öffentliche Meinung in ihrem Land wichtig war. Rudolf Scharping machte wirklich einen guten Job. […] Wenn wir die öffentliche Meinung in Deutschland verloren hätten, dann hätten wir sie im ganzen Bündnis verloren (Jamie Shea, NATO-Sprecher, In: Angerer/Werth, Originalton ARD-Dokumentation, 2001).“….
Die empirische Untersuchung folgt der Logik, dass die unbestätigten Informationen der Bundesregierung zunächst von den Medien aufgegriffen und verbreitet werden mussten, um möglicherweise Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen zu können. Ungefähr mehr als die Hälfte dessen, was die Meinung der Bevölkerung prägt, stammt laut Früh (2005, 4-20) aus genau identifizierbaren Medien und weitere 10 Prozent aus nicht genau bestimmbaren Medien. Der übrige Anteil, der die Meinungsbildung prägt, wird auf das Hintergrundwissen der Menschen und andere, nicht bestimmbare Faktoren zurückgeführt (ebd.)…..




Bei der Frage um kriegerische Konflikte im Ausland und eine mögliche Beteiligung der Bundeswehr dominiert bei einer großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung eine zurückhaltende bis skeptische Haltung.
So gibt fast jeder zweite Befragte in einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach vom Mai 1999 zu Protokoll, Krieg sei unter allen Umständen zu vermeiden. Nur 39 Prozent stimmen der Auffassung zu, dass es Verbrechen gibt, die man mit Krieg bekämpfen muss. 13 Prozent sind unentschieden.
Geht es um internationale Konflikte, die nicht mittelbar deutsche Sicherheitsinteressen berühren, und den möglichen Einsatz der deutschen Bundeswehr, fällt das Meinungsbild entsprechend kritisch aus. In einer Listenfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach vom Mai 1999 wurde nach möglichen Situationen gefragt, die militärische Einsätze rechtfertigen.
Nur ein Fünftel (19 Prozent) der Befragten hält militärische Einsätze für gerechtfertigt, wenn es darum geht einen Bürgerkrieg im Ausland zu beenden. Für die Beendigung von Volkaufständen und die berechtigte Durchsetzung von Gebietsansprüchen halten 9 Prozent einen militärischen Einsatz für gerechtfertigt.
Bei der Verhinderung des Zerfalls eines Staates in verschiedene nationale Kleinstaaten zeigt sich eine Zustimmung in Höhe von 7 Prozent. Uneingeschränkte Einsätze der Bundeswehr unter dem Oberkommando der NATO stoßen im Mai 1999 bei 27,5 Prozent auf Zustimmung. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung (50,2 Prozent) kann sich Kriegseinsätze der Bundeswehr nur vorstellen, wenn es um die Aufrechterhaltung des Friedens geht. 15,8 Prozent lehnen jegliche Beteiligung der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes ab….
Selbst wenn explizit nicht nach dem militärischen Eingreifen der Bundeswehr gefragt wird, sondern „nur“ nach dem außenpolitischen Engagement Deutschlands bei der Bewältigung von Problemen, Krisen und Konflikten, plädiert ein konstant hoher Prozentsatz von 45 bis 62 Prozent in den Jahren 1996 bis 2008 dafür, sich aus dem militärischen Geschehen möglichst herauszuhalten und auf die eigenen Probleme zu konzentrieren.

Von Januar 1998 bis März 1999 gab es fast keinen Befragten, der die Jugoslawien-Krise als wichtigstes Problem zu Protokoll gab. Einen ähnlichen Befund kann man für die Monate Juli bis Dezember 1999 feststellen. Signifikante Ausschläge gab es jedoch nach Bekanntgabe der ungeprüften Informationen der Bundesregierung. In den Monaten April 1999 hielten mit 31,5 Prozent und Mai 1999 mit 16,8 Prozent der Befragten den Jugoslawien-Krieg für das wichtigste Problem in Deutschland….
68 Prozent bewerten die völkerrechtlich nicht legitimierten Luftangriffe der NATO im April 1999 als richtig. Ablehnend stehen den NATO-Luftangriffen im April 1999 lediglich 31,4 Prozent der Befragten gegenüber.

Im Mai 1999 bewerten 60,5 Prozent der Befragten den Kriegseinsatz als richtig. Die Ablehnung wächst um sieben Prozentpunkte auf 39,5 Prozent.
Die Analyse der Medienberichterstattung hat gezeigt, dass die ungeprüften Informationen der Bundesregierung von den Medien übernommen wurden. Dies ist neben den allgemein schwierigen Rahmenbedingungen in der Kriegsberichterstattung wahrscheinlich auch dem Umstand geschuldet, dass Journalistinnen und Journalisten in der Kriegsberichterstattung auf die Informationen der Kriegsparteien angewiesen sind, weil eigene Recherchen nur schwer möglich sind. Darüber hinaus scheint die Berichterstattung in Kriegszeiten im Allgemeinen den Ausrichtungen der jeweiligen Politik zu folgen. Es sollte Erwähnung finden, dass der Jugoslawien-Krieg der erste Kriegseinsatz der Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg war und sich wahrscheinlich auch die deutschen Medien auf eine völlig neue Situation einstellen mussten.
Die jeweilige politische Ausrichtung der analysierten überregionalen Tageszeitungen spielt in der Frage, ob die unbestätigten Informationen übernommen wurden, keine Rolle. Sowohl die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit konservativliberaler Ausrichtung, die Süddeutsche Zeitung mit linksliberaler Ausrichtung und auch Die Tageszeitung mit linksalternativer Ausrichtung haben die Informationen der Bundesregierung in redaktionellen Beiträgen verarbeitet, ohne diese kritisch zu hinterfragen.
In der Berichterstattung findet sich eine Vielzahl von wertenden Schlüsselbegriffen wie „Diktator“, „ethnische Säuberung“ oder „Völkermord“. Die verwendeten Sprachmuster der politisch Verantwortlichen wurden im Literaturteil ausführlich dargestellt. Die Medieninhaltsanalyse hat gezeigt, dass die Feindbildzeichnung der Bundesregierung nach dem Framing-Muster von den Medien übernommen wurde.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die unkritische Berichterstattung während des Jugoslawien-Krieges die Meinungstendenz der politischen Meinungsführer widerspiegelte, welche wiederum direkten Einfluss auf die deutsche Bevölkerung hatte.
Die Grunddisposition der öffentlichen Meinung in Deutschland zu militärischen Auslandseinsätzen ist generell von einer kritischen Distanz geprägt. Die skeptische und zurückhaltende öffentliche Meinung zum Krieg als Mittel der Politik erweist sich bei näherer Betrachtung jedoch als äußerst fragil. Werden Szenarien wahrgenommen, die die eigene Sicherheit und den unmittelbaren Frieden bedrohen, ändert sich die öffentliche Meinung maßgeblich. Wird in Bevölkerungsumfragen nach Umständen gefragt, die aus der eigenen Perspektive als bedrohlich wahrgenommen werden, steigt die Zustimmungsquote für militärische Einsätze deutlich an.
Die im Literaturteil erläuterten ungeprüften Informationen der Bundesregierung wurden in den Monaten März und April 1999 bekanntgegeben. Diese wurden von der Presse in der aktuellen Berichterstattung unkritisch aufgegriffen, was wiederum eine direkte Wirkung auf die öffentliche Meinung hatte: In den beiden Monaten der Berichterstattung änderte sich nicht nur die indifferente Gemengelage des Meinungsklimas in Deutschland, auch die allgemein skeptische und zurückhaltende Disposition zu Militäreinsätzen hat sich im April und Mai 1999 verändert. Eine deutliche Zustimmung zum Kriegseinsatz der Bundeswehr in Jugoslawien war die Folge.
Bemerkenswert ist, dass die positive Kriegsbewertung, wie in den Monaten April und Mai 1999 verzeichnet, sonst nur bei Szenarien erfolgt, in denen es um die Bewahrung des Friedens im eigenen Land geht, also im Verteidigungsfall. Es ist davon auszugehen, dass die unkritische Berichterstattung über die vermeintlichen Gräueltaten eine hohe Emotionalisierung in der deutschen Bevölkerung auslöste.
Die Dämonisierung des Kriegsgegners hat eine direkt Auswirkung auf die öffentliche Meinung. Besonders hohe Zustimmungswerte (45,1 Prozent) zu Kriegseinsätzen sind zu verzeichnen, wenn es darum geht, einen Diktator zu stürzen, der sein Volk brutal unterdrückt. Lediglich 18,7 Prozent der Bevölkerung würden jedoch einem Auslandseinsatz zustimmen, um einen Bürgerkrieg im Ausland zu beenden. Hier liegt der neuralgische Punkt, wie strategische Kriegspropaganda und Framing von Regierungen eingesetzt werden: Ausschlaggebend für den Erfolg ist es, welche Botschaften vermittelt werden.
Wäre der innerstaatliche Konflikt in Jugoslawien durch die deutsche Bundesregierung als Bürgerkrieg dargestellt worden, hätte dies wahrscheinlich eine geringere Zustimmung zum Kriegseinsatz zur Folge gehabt. Die Legitimation durch die Bevölkerung wäre ausgeblieben. Das gezeichnete Bild von Massakern, Konzentrationslagern und systematischer Vernichtung durch einen grausamen Diktator empörte die Bevölkerung und schlug sich in der öffentlichen Meinung nieder: Die Zustimmung zu dem Kriegseinsatz ist in den Monaten April und Mai 1999, nach Bekanntgabe der ungeprüften Informationen durch die Bundesregierung, entscheidend gestiegen. Die Legitimation durch das Volk war hergestellt.

Soweit einige Auszüge aus der Arbeit von Miliana Sohn. Die sehr lesenswerte und wichtige Masterarbeit meiner verstorbenen Frau gibt es als eBook auf Amazon.
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