fbpx

Ich bin im Büro, also arbeite ich, Herr Tichy?

image

Ach je, Herr Tichy. In Ihrer krampfhaften Suche nach deftigen Worten als Wachmacher für die Leser der Wirtschaftswoche haben Sie heute wohl ein wenig ins Klo gegriffen. Ich bin kein Freund von Frau Nahles, aber Ihre Aufregung über den ersten Auftritt der Arbeitsministerin ist doch mehr als rückwärtsgewandt:

“Entschuldigung, dass ich Ihnen von meinem Arbeitsplatz aus schreibe. Ich bin einer von denen, die noch einem ‘Anwesenheitswahn’ folgen, wie das unsere neue Arbeitsministerin Andrea Nahles nennt. Vielleicht erwischt mein Brief Sie ebenfalls im Büro – dann gehören auch Sie zu den Irren, die noch arbeiten. Wohl selten hat sich ein Regierungsmitglied am zweiten Tag seiner Amtszeit so vergriffen wie Nahles. Sie sollte bedenken: Ohne diejenigen, die sich am Morgen mehr oder weniger begeistert auf den Weg ins Büro, zur Fabrik oder in den Außendienst machen, ohne diese Menschen im Wahn könnte Frau Nahles ihre großzügigen Wahlgeschenke wie die Mütterrenten und die fantastische Rente mit 63 nicht einen Tag lang finanzieren. Neben dummen Sprüchen ist ja die erste gesetzgeberische Tat dieser tollen Regierung, die Beitragssenkung in der Rentenversicherung durch Blitztrickserei auszuhebeln.”

Entschuldigung, Herr Tichy, dass ich meine kleine Replik mit meinem Tablet am Frühstückstisch beim Verspeisen meines Brötchens mit selbstgemachter Himbeer-Marmelade schreibe. Aber Ihre Stinkbombe gegen Nahles ist dämlich und verströmt noch den Geist der 50er Jahre, Mister Wiwo-Generaldirektor. Anwesenheit mit Arbeit gleichsetzen? Auf welchem Planeten leben Sie eigentlich?

Lesen Sie mal über die Feiertage den Roman in Tagebuchform von Zoé Shepard “Wer sich zuerst bewegt hat verloren” – oder die Kunst, in Büros Arbeit vorzutäuschen. Wie man aus jeder Geschäftsreise eine Weiterbildungs-Exkursion macht, aus jeder Notiz einen Bericht zur Projektprüfung, aus jedem Telefonat eine Telefonkonferenz und aus jedem niedergelegten Gedanken ein Strategiepapier.

Wir leiden unter einem Anwesenheitswahn, in der Tat. Flexibles Arbeiten sieht anders aus und hat nichts mehr mit der Wirtschaftswunder-Zeit von Ludwig Erhard zu tun. Wäre es nicht viel schöner, wenn wir uns über leere Autobahnen und dem Abwesenheitswahn beklagen könnten?

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

%d Bloggern gefällt das: