Jetzt hat Facebook den Limes überschritten. Mit der Löschaktion gegen den WDR-Fernsehrjournalisten Jürgen Domian wegen seiner Äußerungen zu dem bigotten und selbstgerechten katholischen Propagandisten Publizisten Martin Lohmann und seinen Ausführungen zum neuen Papst erweist sich der Zuckerberg-Konzern als übler Zensor. Auf die fragwürdigen AGBs der Infrastruktur-Betreiber, die einen massiven Einfluss auf die Netzöffentlichkeit haben, bin ich an dieser Stelle ja schon mehrfach eingegangen. Hier nur ein Beispiel: Wie frei ist die privatisierte und kommerzialisierte Netzöffentlichkeit?
Und der übliche Spruch, dass ja niemand gezwungen sei, bei Facebook und Co. mitzumachen, öffnet der Diskurs-Hausmeisterei Tür und Tor.
Die großen Social Networks repräsentieren mittlerweile den größten Teil der Netzöffentlichkeit und wer dort nicht präsent ist, existiert virtuell kaum noch. Wie gehen wir also mit dieser privatisierten Netzöffentlichkeit um, die von Konzernen bestimmt wird, auf die wir keinen Einfluss haben? Wir erleben jetzt hautnah die Demontage der Meinungsfreiheit im Netz. Deshalb sollte dieser Fall zum Anlass genommen werden, Facebook vor dem Bundesverfassungsgericht zu verklagen!
Hier noch das Posting von Domian:
“Ihr Lieben, ich bin äußerst verärgert und fassungslos:
Facebook hat meine Beiträge und ebenso eure Kommentare gelöscht. Stein des Anstoßes ist wohl mein kritischer Beitrag zu dem Auftritt des erzkonservativen Katholiken Martin Lohmann bei Günther Jauch. Diesen Beitrag haben immerhin 1,1 Millionen Menschen gelesen. Auch mein völlig harmloser (und durchaus wohlwollender) Text zum neuen Papst entspricht nicht den Richtlinien von Facebook (so wurde es mir heute mitgeteilt). Das ist ungeheuerlich. Mit Meinungsfreiheit hat das nun rein gar nichts mehr zu tun. Die Texte hätten als Kommentar in jeder öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt über den Sender gehen können, hätten in jeder Zeitung stehen können. Alle Grundbedingungen waren gefüllt.
Offensichtlich aber haben fanatische Kirchenanhänger bei Facebook so viel Wind gemacht, dass man dort eingeknickt ist. Das finde ich ausgesprochen erschreckend. Übrigens sind auch meine Posts zur Homo-Ehe verschwunden. Aber wen wundert das nun noch?
Mein Text zum neuen Papst endete (nach ein paar kritischen Fragestellungen) mit den Sätzen:
‘Manche Menschen wachsen mit und in ihrem Amt. Und so werden wir uns vielleicht noch über Franziskus wundern. Hoffen wir es! Geben wir ihm eine Chance! In einem halben, spätestens einem Jahr wissen wir mehr.’
So etwas darf man nicht mehr schreiben? Hier schon übt Facebook Zensur aus? Mir wird angst und bange bei der Vorstellung, in unserem Land würden politische Kräfte erstarken, die die Demokratie bedrohen. Eine vermeintlich demokratische Plattform wie Facebook würde wohl sofort des neuen Herrn Diener sein.
Ich werde in der nächsten Zeit nichts posten, um die Dinge zu klären. Auch um zu vermeiden, dass meine Texte wieder gelöscht werden. Dennoch versuche ich euch auf dem Laufenden zu halten.
Ich bitte euch, diesen Text hier zu teilen. Euer Domian.”
Siehe auch:
Facebook löscht papstkritischen Beitrag von WDR-Moderator Jürgen Domian.
Jürgen Domian wirft Facebook Zensur vor.
Domian erhebt Zensurvorwürfe gegen Facebook.
Hier geht es zur offiziellen “Erklärung” des Facebook-Konzerns.
Bundesverfassungsgericht? Mit welcher Begründung? Die Forderung erscheint mir, mit Verlaub, als zioemliche Dummschwätzerei.
Wer entscheidet denn, ob Postings gegen Sitte und Moral verstoßen. Ein Zensur-Gremium von Facebook, um für Meinungshygiene zu sorgen. Hier sehe ich mein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung beschränkt auf einer Plattform, die einen großen Teil der Netzöffentlichkeit ausmacht. Und das Spannungsfeld privat und öffentlich habe ich ja in meinem früheren Beitrag deutlich gemacht.
Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte gegen den Staat. Facebook ist nicht der Staat (zum Glück). Facebook ist ein privates Unternehmen. Damit kann nicht vor dem BVerfG geklagt werden. Informieren Sie sich doch erst mal richtig. Mann, mann, mann. Die BVerfG-Keule ist doch absurd un zeigt nur, dass man keine Ahnung hat.
Wer sich bei facebook anmeldet, schliesst einen Vertrag mit facebook (AGB, etc.). Dieser Vertrag erlaubt facebook faktisch alles zu löschen, wozu sie lustig sind. Das ist O.K., da der User sein Einverständnis erteilt hat. Sobald sich ein User freiwillig einer “Zensur” unterwirft, ist es keine Zensur mehr.
Mann, Mann, Mann. Erst lesen, dann losheulen. Mir ist klar, dass es sich um bei den Grundrechten um Abwehrrechte gegenüber dem Staat handelt. Die Frage ist nur, wie gehen wir mit den kommerzialisierten Öffentlichkeiten um, ohne die Netzöffentlichkeit gar nicht stattfinden kann und die freiheitsbeschränkend wirken. Darauf gibt es bislang juristisch keine Antworten. Insofern ist die Frage der Verfassungsklage metaphorisch gemeint. Es reicht eben nicht aus, auf die AGBs von Facebook, Google und Co. zu verweisen. Die liebwertesten Silicon Valley-Gichtlinge spielen Weltpolizei und Justitia, ohne sich an die Gepflogenheiten demokratischer Rechtsstaatlichkeit zu halten. Das ist politisch hoch problematisch. Das riecht nach Zensursula. Das stinkt nach Staat im Staate. Das müffelt nach Selbstjustiz und Willkür. Darauf sollten auch verfassungspolitisch Antworten erarbeitet werden.
Wenn ich das Parteiprogramm der NPD als Forderung nach Meinungsfreiheit hier posten würde, würdest du dies wohl auch löschen.
Ausserdem zwingt dich niemand facebook zu nutzen, aber weshalb haben Open Source-Netzwerke, wie bspw. Diaspora, so wenige Nutzer? Weil solche Schreihälse wie Du, die bei jedem Scheiss nach dem BVerF brüllen, lieber in eine Zensur einwilligen, statt selbst aktiv zu werden: Facebook ist ja so einfach.
Ich brülle überhaupt nicht, uns Uwe, sondern sehe die Problematik, dass Oligopole einen Teil der Öffentlichkeit beherrschen ohne die ich im Netz gar nicht mehr auskomme. Insofern ist die Analogie zu meinem Blog, der Kommentare ohne Freischaltung ermöglicht, falsch. Ich bin kein Anbieter von Infrastrukturen, ohne die netzpolitische Diskurse gar nicht möglich sind. In meinem Fall ist es allenfalls WordPress. Ich brülle auch nicht nach Zensur, sondern fordere rechtsstaatliche Verfahren, um Meinungsfreiheit im Netz zu garantieren. Sozusagen ein Menschenrecht auf virtuelle Existenz. Dafür gibt es eben in der Gesetzgebung noch keine Antworten – auch völkerrechtlich nicht.
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Toller Beitrag von Gunnar Sohn! Es kann wirklich nicht angehen, dass Soziale Netzwerke, auf denen öffentliche Kommunikation stattfindet, diese nach Belieben beschneiden können. Hier zu argumentieren, Facebook können auf seinen Servern machen, was es wolle, wie es der Internet-Forscher Geert Lovink zuletzt in einem Interview bei Golem getan hat, ist kurzsichtig und zu wenig pragmatisch. Es ist nun einmal Fakt, dass öffentliche Kommunikation immer stärker auch auf privaten sozialen Plattformen stattfindet. Natürlich wäre es schön, wenn es “gemeinnützige” Plattformen für solche Diskussionen gäbe. Man muss sich aber fragen, wie solche Plattformen entstehen und unterhalten werden sollen. – Vor dem Hintergrund der weiteren Kommerzialisierung des Netzes muss die Diskussion über Meinungsfreiheit und die Rechte und Pflichten der Betreiber von Kommunikationsplattformen noch stärker in den Vordergrund rücken.