Wenn Matheformeln nicht mehr abschreckend wirken

Grafikfähige Schulrechner für die Mathepaukerei werden wohl noch nicht so richtig anerkannt. 87 Prozent haben keine Erfahrungen mit Grafikrechnern oder kennen diese gar nicht. Darüber hinaus befürchten vor allem Ältere, dass Grafikrechner Schülern das Denken abnehmen. Das zeigt der Mathemonitor von CASIO, für den Forsa bundesweit 1.003 Personen ab 14 Jahren befragte.

Grafikrechner würden zeitraubende Rechenschritte übernehmen. So bleibe Lehrern mehr Raum, ihren Mathematikunterricht realitätsnah und anschaulich zu gestalten. Die Meinungen der Deutschen zum Grafikrechnereinsatz gehen weit auseinander: 46 Prozent der Befragten finden das Lehrmittel sinnvoll und zeitsparend, 38 Prozent sind gegenteiliger Meinung. Auffallend ist, dass immerhin 16 Prozent gar keine Angabe zu dieser Fragestellung machen. Die Vorteile der Grafikrechner erkennen vor allem Jüngere und formal besser Gebildete. Zweifel am Einsatz von Grafikrechnern haben vor allem Ältere. Sie fürchten, Schüler würden im Unterricht kein selbstständiges Rechnen erlernen. So sind 56 Prozent der 45- bis 59-Jährigen der Meinung, dass durch den Grafikrechnereinsatz Schülern das Denken abgenommen wird. Ein klarer Trend zeigt sich zudem beim Bildungsstand: Während nur 44 Prozent der Befragten mit Abitur oder Studium glauben, dass Grafikrechner Schülern das Denken abnehmen, sind immerhin 57 Prozent der Befragten mit Hauptschulabschluss „eher“ oder „voll und ganz“ dieser Meinung. Diese Sorge teilen viele Pädagogen nicht. Sie argumentieren für den Einsatz dieser wichtigen Lehrmittel. „Der Grafikrechner kann Ergebnisse veranschaulichen und monotone Rechenschritte übernehmen. Aufwendige, sich wiederholende Rechnungen fallen weg – so bleibt mehr Zeit für verschiedene Ansätze und Lösungsstrategien, deren Diskussion und Reflexion sowie letztlich für eine bessere Implementierung aller Bildungsstandards“, erklärt Dr. Jens Weitendorf, Mathematiklehrer am Gymnasium Harkheide in Norderstedt.

Der Wissenschaftler und Science Fiction-Autor Professor Herbert Werner Franke sieht die Frage der Visualisierung noch radikaler. „Das ererbte Verständigungssystem ist die Sprache, derer wir uns heute meist in Form von Schrift bedienen: Die im Gehirn auftretenden Vorstellungen werden durch Laute codiert, die dann als Buchstaben über das Auge aufgenommen werden, um im Gehirn wieder in die Lautsprache zurückübersetzt werden. Und dann erst folgt die Transformation in eine bildliche Vorstellungswelt. Das ist nicht die beste Art, etwas mitzuteilen“, so Franke im Interview mit mir (die komplette Audioaufzeichnung des Interviews kann man hier abrufen). Der Gesichtssinn könne sehr viel mehr Informationen pro Zeiteinheit aufnehmen als das an zweiter Stelle stehende Gehör, und dazu komme die Fähigkeit, zwei-, in gewissem Maß sogar dreidimensionale Entitäten wahrzunehmen.

„Zwei- oder dreidimensionale Zusammenhänge lassen sich mit Bildern besser ausdrücken als mit Worten. So könnte man in Schulen in den ersten Jahren völlig ohne Formeln auskommen. Eine Visualisierung der Mathematik bringt sehr viel bessere Lernergebnisse“, sagt Franke. So sei es heute mit Computerhilfe möglich, komplizierteste Gebilde in Bruchteilen von Sekunden auf den Schirm zu zaubern – wenn gewünscht bewegt oder interaktiv veränderlich. „Der größte Teil aller mathematischen Zusammenhänge lässt sich in Bildern ausdrücken und erspart in den meisten Fällen die Mühe einer umständlichen Interpretation“, erklärt Franke. Visualisierte Formen würden zudem einen ästhetischen Reiz ausüben und die übliche Abneigung gegen Mathematik reduzieren. „Diese Erkenntnis gilt generell für Naturwissenschaften – selbst für Quantenphysik und Molekularchemie“, sagt Franke.

3 Gedanken zu “Wenn Matheformeln nicht mehr abschreckend wirken

  1. Vor 40 Jahren gab es Lesekurse, in denen man lernte, die ganze Zeile in einem Blick zu erfassen und die Zeitbremse persönliche Sprechgeschwindigkeit auszuschalten. Funktioniert nach kürzester Zeit.

  2. Walter Warnecke

    Zuerst ein Lob für den guten Artikel.
    Aus meiner Schulzeit kann ich nur berichten, dass es leider unterschiedliche Standards gibt. So sind an einigen Gymnasien grafikfähige Taschenrechner vorgeschrieben, andere erlauben diese generell nicht. So wurde manche Unterrichtsstunde damit vergeudet den immer gleichen Rechenschritt zu wiederholen, da die Ergebnisse später benötigt wurden. Diese stupiden Schritte könnte man sich mit grafikfähigen Taschenrechnern sparen und die gewonnene Zeit sinnvoller nutzen. Das Erlernen der „Technik“ würde so in den Vordergrund treten und es könnte mehr Unterrichtsstoff vermittelt werden.
    Außerdem bieten grafikfähige Taschenrechner die Möglichkeit eine genaue Darstellung der Funktion zu zeigen, anstatt der ungefähren Skizze durch den Lehrer.

  3. wobei die Grafikrechner wohl nur der erste Schritt sind, um naturwissenschaftlichen Lernstoff anschaulich zu vermitteln. Professor Franke hat da noch viel mehr im Sinn. Die Schule verharrt wohl noch zu sehr in der „Kreidezeit“. Das merkt man am eher spärlichen Einsatz von Laptops im Unterricht, die in manchen Ländern schon zur normalen Schulausrüstung zählen.

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