Die Verflüssigung des Buches und ein neues Hangout On Air-Projekt

Die Verflüssigung des Werkes

Mit seinem neuen Buchprojekt „Eine neue Version ist verfügbar“ will der Autor Dirk von Gehlen aufzeigen, wie das Ablösen der Daten von ihrem Träger auch ihre Form verändert. „Sie tauen dadurch auf, verflüssigen sich“, schreibt er im ersten Kapitel „Ergebnis plus Erlebnis: Geht raus und spielt!“ Als Unterstützer des Werkes über die Crowdfunding-Plattform Startnext werde ich über jeden Fortgang des Schreibens informiert. Gehlen lässt seine Leser nicht nur partiell entscheiden, „sondern am gesamten Prozess des Buchschreibens teilhaben. Die Leser werden zu Experten für seine Sache und der Autor übernimmt die Rolle eines Salon-Betreibers, der Vorschläge macht, moderiert und der am Ende ein Werk zusammenbindet, das im Idealfall ein aus den Diskussionen entstandenes Gemeinschaftsprodukt ist“, erläutern die Zeit-Redakteure Maximilian Probst und Kilian Trotier, die ein schönes Stück das über kollektive Bücherschreiben im Netz verfasst haben.

350 Menschen, die das Gehlen-Buch finanziell unterstützen, sind live dabei, wenn der Autor sein Buch schreibt, Kapitel für Kapitel.

„Interviews stellt er auf eine Google-Docs-Plattform, sodass alle die Texte lesen können; und immer wenn er selbst etwas schreibt, schickt er per Mail herum, wartet auf Kommentare, ändert Stellen, fügt Links hinzu, die ihm seine ‚Crowd‘ zusendet“, so die Zeit.

Der Autor werde zum Leiter einer Künstlervilla, stellt seine Textfragmente vor und diskutiert mit den Gästen den Schaffensprozess. Nicht das Endprodukt ist der Fixstern, auf den alles hinausläuft, der Sinn liegt im fortlaufenden Prozess.

Gehlen formuliert eine sehr schöne Analogie zum Sport und erwähnt den Sportmoderator Marcel Reif, der von einem seiner ersten Spiele erzählt, die er fürs Fernsehen kommentierte. Ein EM-Eishockeyspiel von 1985, an das ich mich auch noch gut erinnern kann. Es spielten die Tschechen gegen die Russen – oder besser gesagt Sowjets. Ein Nachklang des Prager Frühlings mit den Mitteln des sportlichen Wettkampfs. Klein gegen Groß, Macht gegen Ohnmacht, Gut gegen Böse. Und die Tschechoslowakei gewann sensationell mit 2 zu 1.

Aber das Ergebnis war für Reif gar nicht so entscheidend. Was von einem Spiel bleibt, sei häufig nicht das Resultat, sondern nur ein Klang, ein Bild.

Und genau um diese Klänge und Bilder geht es Gehlen in seinem neuen Buch. Er versteht den Sport als Metapher für die Art und Weise, wie Kulturprodukte entstehen:

„Ich glaube, dass die Digitalisierung es erstmals in der Geschichte der kulturschaffenden Menschheit möglich macht, diese Klänge und Bilder darstell- und miterlebbar zu machen.“

Es geht um das gemeinsame Erlebnis, das mindestens genauso wichtig ist, wie das Ergebnis.

Und genau an diesem Punkt wollen Hannes Schleeh, Mitorganisator des Bloggercamps, und ich ansetzen. Klänge und Bilder sind für unser Vorhaben die richtigen Stichworte. Wir starten in der nächsten Woche ein Buchprojekt mit dem „Arbeitstitel“: Die Streaming-Revolution – Ein fließendes Buch über Hangout on Air.

Es ist eine Idee, wie man das lineare Buch weiter aufbrechen kann – neben den bekannten Methoden, die bei E-Books als Zusatzmaterial zum Einsatz kommen wie Videos, Audiomaterial und Bilder. Ihr könnt Euch vielleicht denken, was wir da bei unserem Schaffensprozess in den Vordergrund stellen….:-) Vielleicht wird der Unterstützerkreis noch aktiver eingebunden und vielleicht entstehen aus einem Hangout On Air-Projekt völlig neue Hangout On Air-Projekte, die wiederum Teil des verflüssigten Buches werden 🙂

In der Blogger Camp-Runde gab es ja schon einige Anregungen:

Mehr dazu in der nächsten Woche. Wir sehen und hören uns.

Siehe auch:

Krautökonomie mit Beethoven.

Interessant auch der Zeit-Gastbeitrag von Stephan Porombka, Professor des Studiengangs „Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus“ an der Universität Hildesheim:

„Mit dem Internet kommen neue Möglichkeiten und Aufgaben hinzu. Media Literacy hat hier eine völlig neue Bedeutung. Denn jetzt geht es nicht mehr nur um eine Schlüsselkompetenz. Es geht um eine neue literarische Artistik. Autoren schreiben neben Büchern, Erzählungen und Essays auch Blogeinträge. Sie twittern. Sie bedienen die eigene Seite und die Seiten anderer bei Facebook mit Einfällen, Aphorismen und Kommentaren und laden kleine Videobeiträge von sich bei youtube hoch, die sie dann wiederum auf anderen Plattformen und im eigenen Blog verlinken.

Erfolgreiche Schriftsteller verwandeln sich deshalb in Transmedia Storyteller. Im Mittelpunkt ihrer die alten Grenzen überschreitenden Erzählungen stehen sie selbst. Und weil sie wissen, dass sie dafür gut vernetzt sein und selber laufend neue Netze knüpfen müssen, wissen sie auch: Es geht darum, so smart zu sein wie das Telefon, das man in der Tasche trägt. Immer erreichbar, anschlussfähig, multitasking-fähig, beliebig zu erweitern und zu transformieren.“

Über das kollektive Buchprojekt „Eine neue Version ist verfügbar“ und die Dankeschön-Ökonomie

Crowdfunding-Buchpionier Dirk von Gehlen

Gerade habe ich eine sympathische Nachricht von Dirk von Gehlen über den Fortgang seines Buchprojektes auf der Crowdfunding-Plattform Startnext bekommen. Ein schönes Beispiel für meine Thesen, die ich in meiner Kolumne für das Debattenmagazin „The European“ ausgebreitet habe.

Textauszug:

Crowdfunding hat das Potenzial, die Spielregeln der Ökonomie radikal zu verändern – und nicht nur die digitale Variante.

„Das Fundraising-Prinzip als neues Paradigma revolutioniert Motivationen und Verhaltensweisen der Marktteilnehmer. Der Anbieter wirbt nicht mehr für den Kauf eines Produktes, sondern für die freiwillige Unterstützung bei der Realisierung (Pre-Order-Modell) und bei der Aufrechterhaltung des Angebots“, schreibt Ansgar Warner in seinem Buch „Krautfunding – Deutschland entdeckt die Dankeschön-Ökonomie“.

Das ist weitaus schwieriger, als im Verborgenen irgendetwas auszubrüten und es dann mit großem Marketing-Geschrei unter die Leute zu bringen.

„Um in der Dankeschön-Ökonomie zu bestehen, muss man die Menschen für eine Sache begeistern“, so Warner.

Kunden gehen freiwillig in Vorkasse

Und das schon bei der Ausbreitung der Ideenskizze auf Plattformen wie „Kickstarter“ oder „Startnext“. Jeder Schritt, jeder Fortgang und jede Verfeinerung des Projektes wird mit dem Unterstützerkreis geteilt und durch die Reaktionen der Kunden, die in Vorkasse gehen, verbessert.

Es ist die perfekte Form einer Ökonomie der Beteiligung, die sich im Crowdfunding manifestiert. Es könnte das etablierte Finanzsystem in den Schatten stellen, Unternehmensgründungen beflügeln, als Katalysator für Innovationen fungieren und für eine Demokratisierung der Beziehungen zwischen Unternehmen und Konsumenten beitragen.

Man erlebt dabei immer mehr Menschen, die ohne Zwang, ohne Abo-Modelle, ohne Zahlungsschranken und ohne Schutzgesetze bereit sind, freiwillig für Start-ups, Kunst, Kultur oder Journalismus zu bezahlen. Sie widerlegen damit die Dauerschwätzer des Establishments, die nach staatlichen Hilfen schreien, um nicht durch die vermeintliche Kostenlos-Mentalität der Netzbewohner in den Abgrund gestürzt zu werden.

Soweit der Hinweise auf meine Story.

Hier nun das Schreiben von Dirk von Gehlen (bin gespannt auf die morgige Zeit-Ausgabe!):

„In der morgigen Ausgabe der Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ schreiben Kilian Trotier und Maximilian Probst im Feuilleton über Sie. Ich habe es gerade in der iPad-Version gelesen und erlaube mir deshalb den Hinweis auf den Text mit dem Titel ‚Leser, mach’s selbst!‘. Darin beschreiben die beiden Autoren, wie das Schreiben von Büchern im Netz zu einem kollektiven Abenteuer wird. So die Unterzeile, die mit dem Satz endet: ‚Das Publikum mischt mit‘.

Eines von zwei größeren Beispielen in dem Text ist ‚Eine neue Version ist verfügbar‘ – und somit Sie (also icke, da ich ja das Gehlen-Opus finanziell unterstütze, gs). Denn das mitmischende Publikum, das sind ja Sie. 350 Leserinnen und Leser, über die es in der morgigen Ausgabe von ‚Die Zeit‘ heißt:

‚Diese 350 sind nun live dabei, wenn von Gehlen sein Buch schreibt, Kapitel für Kapitel. Interviews stellt er auf eine Google-Docs-Plattform, sodass alle die Texte lesen können; und immer wenn er selbst etwas schreibt, schickt er es per Mail herum, wartet auf Kommentare, ändert Stellen, fügt Links hinzu, die ihm seine ,Crowd‘ zusendet.‘

Ich schreibe Ihnen das, weil diese Erwähnung mich einerseits freut. Andererseits schreibe ich es aber vor allem, weil die Autoren des Textes ziemlich viel von dem verstanden haben, was wir hier gerade machen. Sie beschreiben es als besonderes Experiment, als das auch ich es empfinde. Und wann hat man schon die Gelegenheit, genau das seinen Leserinnen und Lesern gespiegelt von ‚Die Zeit‘ sagen und Ihnen so dafür danken zu können? In diesem Sinne verspreche ich, dass die nächste Mail wieder einen Schreibfortschritt dokumentiert.“

So begegnet man seinen Lesern und Kunden auf Augenhöhe, liebwerteste Leistungsschutz-Gichtlinge.

Morgen also die Zeit kaufen!