
Der „Querlüfterbewegung“ an deutschen Schulen sei die Luft ausgegangen, moniert Daniel Kraft in einem Gastbeitrag für den General Anzeiger in Bonn. “Die ‘Präsenzunterrichtsfraktion’ um jeden Preis’ führte ganz oder teilweise in die Quarantäne. Es braucht eine Instrumentenbatterie aus verschiedenen digitalen und hybriden Maßnahmen, damit Schule in den kommenden Monaten (wieder) – zumindest etwas geregelter – stattfinden kann. Es braucht mehr als didaktische und pädagogische Modelle des letzten Jahrhunderts, und es braucht mehr als Schul-Server und Zoom-Runden. Es braucht nicht mehr und nicht weniger als eine digitale Schulpflicht.”
Aber reicht das? “Sechs Schulstunden Video-Call? Abfilmen des Unterrichts und auf YouTube einstellen? Nein, auch digital gibt es kein Schwarz oder Weiß. Die digitale Didaktik hat alles, was man braucht, um einen lebendigen, spannenden und abwechslungsreichen Unterricht – auch auf Distanz – zu gestalten und zu leben. Auch der schönste montessoripädagogischste Klassenraum, die rundesten Waldorfecke oder die tollsten Wandplakate machen noch keinen guten Unterricht”, so Kraft.
Was es braucht, sei ein Unterricht, der sich als „Digital Experience“ versteht, als ein Mehrwert zum Schiefertafelunterricht und zum ausgedruckten Arbeitsblatt. “Es braucht Lehrerinnen und Lehrer, die bereit sind, sich auf dieses Wagnis einzulassen. Es braucht eine Reform der Ausbildung für alle, die da kommen werden, es braucht Übung und Fortbildung für alle, die schon da sind, und es braucht Leidenschaft für diese Form zu unterrichten von allen”, betont der GA-Gastautor.
Einen Widerspruch zum Präsenzunterricht sieht Kraft nicht. “Der digitale Unterricht bietet sogar eine sehr große Chance auf ein Wiedersehen im wirklichen Leben. Aber auch hier gibt es kein Reset auf einen Zustand mit 28 Schüler/innen-Klassen ohne Masken, wie wir sie bis vor Weihnachten in den meisten Grundschulklassen erlebt haben. Schichtmodelle, weniger Kinder im Klassenraum, Tische mit Abstand und Trennwänden, feste kleine Lerngruppen mit höchstens 15 Kindern in einem Raum, gute Lüftungsanlagen in allen Räumen, die das Lüften unterstützen und Lehrerinnen und Lehrer, die damit mindestens besser vor Infektionen geschützt werden”, resümiert Kraft.
Eine Rückkehr zum “normalen” Präsenzunterricht reicht nicht aus. Die alte 45-Minuten-Taktung nach dem preußischen Modell im Setup einer Maschinen-Näherei habe keine Zukunft, meint Professor Lutz Becker von der Hochschule Fresenius: “Präsenz kann durchaus digital sein – nicht selten sind digital Lernende sogar präsenter. Zudem bedeutet physische Präsenz nicht zwingend gelungene soziale Interaktion zum Zwecke des gemeinsamen Lernens. Es gibt hybride Formen des Lernens und Lehrens, bei dem die Möglichkeiten der digitalen Formate noch lange nicht ausgeschöpft sind.”
Ähnlich wie Daniel Kraft fordert auch der Bitkom-Verband ein Recht auf digitale Bildung:
„Wohl noch nie haben Deutschlands Bildungspolitiker eine ähnlich große Enttäuschung und Entfremdung ausgelöst – bei Schülern, Eltern und Lehrern, aber auch in Wirtschaft und Gesellschaft. Zu wenig ambitioniert und zu altbacken sind ihre Vorschläge, zu erratisch sind ihre Entscheidungen, zu chaotisch ist ihre Kommunikation. Jeder hatte Verständnis, dass zu Beginn der Corona-Krise auf Sicht gefahren werden musste. Jetzt, fast ein Jahr nach den ersten Einschränkungen, darf man Vision, Strategie und zukunftsgerichtetes, entschlossenes Handeln erwarten. Vor diesem Hintergrund fordert Bitkom einen Rechtsanspruch auf digitalen Unterricht für Schüler aller Schulformen – jetzt in der Corona-Krise, aber auch darüber hinaus, um zum Beispiel Schüler in den Unterricht einbeziehen zu können, die etwa aufgrund von Erkrankungen oder persönlicher Einschränkungen die Schulgebäude nicht immer aufsuchen können”, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg.
Weiterhin seien viele Schulen nicht in der Lage, ihren Schülern ein funktionsfähiges digitales Bildungsangebot zu machen. “Statt Lernplattformen zum Laufen zu bringen, konzentrieren sich viele Bundesländern darauf, so schnell wie möglich zum Präsenzunterricht zurückzukehren. Dies ist angesichts des Infektionsgeschehens unverantwortlich und schreibt die pädagogischen Standards des vergangenen Jahrhunderts fort. Solange Schulen nicht breitflächig wieder geöffnet werden können, muss jeder Schüler digital unterrichtet werden können. Funktionsfähige Lernplattformen zur Verfügung zu stellen, das ist kein Hexenwerk. Die betroffenen Bundesländer müssen nun kurzfristig ausreichende Serverkapazitäten und IT-Support bereitstellen, damit die Plattformen auch von allen Schülern und Lehrern genutzt werden können. Schulen, Schüler und Lehrkräfte, die noch keine Zugänge zu den Plattformen haben, müssen diese kurzfristig und unbürokratisch von den zuständigen Stellen in den Ländern erhalten. Viele Schulen, Lehrer und Schüler haben bereits erfolgreich bewiesen, dass digitales Lernen möglich ist – ohne überlastete Server und mit digitalem Know-how”, erklärt Berg.
Darüber diskutieren wir in #DigitalXAdhoc live mit Daniel Kraft am Dienstag, den 12. Januar, um 15 Uhr. Mitdiskutieren im Multistream über die Chat- und Kommentarfunktionen von YouTube, Facebook und Co.