Pyromanen-Semantik: Müllverbrennung soll künftig das Gütesiegel „Recycling“ tragen


In Deutschland ist es ja schon ein großer Fortschritt, dass der stinknormale Müll nicht mehr in Deponien vergraben werden darf. Insofern ist es sicherlich sinnvoll, ihn lieber in Verbrennungsöfen zu packen. Was allerdings die Interessengemeinschaft der Thermischen Abfallbehandlungsanlagen in Deutschland (Itad) in ihrer Lobbyarbeit vorhat, könnte man unter Ulk verbuchen. Oder etwas kritischer als Volksverblödung titulieren. Liebe Abmahnanwälte, ich sage bewusst „könnte“. Künftig möchten Anlagenbetreiber die Müllverbrennung als „thermisches Recycling“ adeln. Die thermische „Behandlung“ von Restabfällen aus Haushalt, Gewerbe und Industrie sei ein aktiver Beitrag zum Recycling und zum Ressourcenschutz, heißt es in einer Pressemitteilung des Verbandes der MVA-Betreiber. Man untermauert das Ganze mit netten Milchmädchen-Rechnungen.

Deutsche MVA und Ersatzbrennstoff-Kraftwerke gewönnen aus stofflich nicht verwertbaren Abfällen Strom und Wärme für jährlich zwei Millionen Haushalte und zahlreiche Industrieanlagen, heißt es in der Mitteilung der Itad. Damit würden rund drei Milliarden Liter Heizöl eingespart. Energie sei jedoch nur eines der mittels thermischer Abfallbehandlung aus dem Restmüll gewonnenen Güter. Aus den Verbrennungsrückständen (Schlacke, gs) würden Eisen- und Nicht-Eisenmetalle extrahiert, die anschließend wiederverwendet werden könnten.

Jährlich würden 400.000 Tonnen Metalle auf diese Weise in den Stoffkreislauf zurückkehren. Zudem fänden pro Jahr 5 Mio Tonnen Schlacke nach entsprechender Behandlung Verwendung im Straßen- und technischen Anlagenbau.

„Wir können also mit Fug und Recht bei der thermischen Verwertung von Abfällen auch von einem ‚thermischen Recycling’ sprechen“, so Itad-Geschäftsführer Carsten Spohn.

Das ist ausgemachter Blödsinn. Die Müllverbrennungsanlagen wurden in Deutschland zur Beseitigung des Abfalls geplant und nicht zur Gewinnung von Strom, Wärme und Metalle. Es ist wohl kein Zufall, dass in der Pyromanen-Romantik kein Wort über Heizwerte oder Wirkungsgrade der Anlagen verlautet wird. Die Frage sei doch gestattet, was alternative Entsorgungsmethoden aus dem Abfall machen können? Mein Kollege Walter Warnecke hat sich die Mühe gemacht, die Heizwerte aller Müllverbrennungsanlagen aufzulisten (kann als Excel-Tabelle heruntergeladen werden):

Müllverbrennung in Deutschland – inklusive Heizwert

Im Schnitt liegt der Heizwert bei 10.000 Kilojoule pro Kilogramm – das ist mehr als dürftig. Steinkohle besitzt einen Heizwert von bis zu 32.000 Kilojoule pro Kilogramm. Holzpellets liegen bei 18.000, Braunkohlebriketts bei knapp 20.000 und Altreifen bei 32.000. Nur waldfrisches Holz schneidet mit knapp 7.000 Kilojoule pro Kilogramm schlechter als Hausmüll ab.

Unerwähnt in der pyromanischen Verbands-Rabulistik bleiben auch die negativen Begleiterscheinungen der Müllverbrennung. Kann man bei Wikipedia nachlesen:

„Da bei der Verbrennung des Mülls nicht bekannt ist, welche Inhaltsstoffe in welchen Mengen zu einem bestimmten Zeitpunkt verbrannt werden (kritisch sind beispielsweise PVC, Batterien und elektronische Bauteile, Lacke etc.), variiert die Zusammensetzung des Rauchgases und der Asche. Bei der Verbrennung entstehen neben Kohlendioxid und Wasser auch Kohlenmonoxid, Schwefeloxide, Stickoxide, aber auch Chlorwasserstoffsäure (Salzsäure) und Fluorwasserstoff (Flusssäure) sowie schwermetallhaltige Stäube. In sehr geringen Konzentrationen entstehen auch hochtoxische Stoffe wie polychlorierte Dibenzodioxine und Dibenzofurane.“

Entsprechend hoch ist der Energieverbrauch für die Rauchgasreinigung.

Und ein wenig Physik-Nachhilfe begründet bei Wikipedia sehr schön, warum die Müllverbrennung nicht gerade ein Effizienzprotz bei der Gewinnung von Energie ist:

„Aufgrund des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik kann niemals die gesamte im Müll enthaltene Energie in nutzbare thermische Energie (Fernwärme) und/oder elektrische Energie umgewandelt werden. Zudem treten bei jeder Energiewandlung auch Verluste auf, zum Beispiel in Form von Wärmeverlusten der in der Realität nie ganz adiabat ausführbaren Kessel und Feuerungstrakte. Darüber hinaus braucht eine Müllverbrennungsanlage einen Teil der erzeugten Energie zum Eigenbedarf, was den Wirkungsgrad zusätzlich schmälert. Somit kann durch die Müllverbrennung nur ein Teil derjenigen Energie wieder gewonnen werden, die in den Rohstoffen der Ausgangsprodukte steckte und bei deren Herstellung benötigt wurde.

Entsprechend niederschmetternd ist der Wirkungsgrad. Der BUND hat das sehr gut zusammengefasst:

„Unter Berücksichtigung des Energieverbrauchs für die Rauchgasreinigung und der Tatsache, dass eine
Auskopplung von Dampf oder Fernwärme häufig nicht stattfindet bzw. nicht möglich ist, kann der durchschnittliche Wirkungsgrad deutscher Müllverbrennungsanlagen mit ca. 9 Prozent elektrisch und 26 Prozent thermisch (Prozessdampf, Fernwärme) beziffert werden. Verglichen mit Heizkraftwerken, die mit Gas befeuert werden und Gesamtwirkungsgrade bis etwa 90 Prozent erzielen, ist das ausgesprochen wenig. Die Spanne ist sehr groß. An Standorten, an denen fast nur Strom erzeugt wird – und das ist recht häufig – liegt der Wirkungsgrad bei 15 Prozent und darunter. Wenn hauptsächlich die Abwärme genutzt wird, können bis ca. 70 Prozent der eingebrachten Energie verwertet werden. Auch das liegt unter dem thermischen Wirkungsgrad von Fernheizwerken mit Werten von knapp über 90 Prozent.“

Was hinter der Pyromanen-Lobbyarbeit steckt ist also etwas ganz anderes. Mit der begrifflichen Aufwertung der Verbrennung zum thermischen Recycling sollen die Fehlinvestitionen in überdimensionierte Anlagen überdeckt werden. Denn die MVAs sind weder ökologische noch ökonomische Hochtechnologien zur Verwertung des Abfalls. Die stoffliche Verwertung – also das klassische Recycling – ist gesetzlich gewollt, die Abfallhierachie ist ja auch kaum umzudrehen und wenn man nur auf die thermische Verwertung gesetzt hätte, wären entscheidende und unbestreitbar sinnvolle Entwicklungen in der Sortierung, Vorbehandlung und Verwertung unterblieben. Hier sind also sehr sinnvolle Alternativen zur Müllverbrennung entstanden, die die Auslastung und Rentabilität der Anlagen noch mehr nach unten drücken.

Um diese Wahrheiten der Öffentlichkeit zu „ersparen“, geht man in die Offensive und versucht, neue Abfallmengen in die Anlagen zu bekommen, die in die stoffliche Verwertung gehen. So simpel ist das Spielchen. Gelingt das nicht, müssten entweder die Müllgebühren exorbitant erhöht oder Anlagen stillgelegt werden. Beides würde zu einem Gesichtsverlust der kommunalen Müll-Planer führen.

Siehe auch:

Wertstoffgesetz überflüssig und unrealistisch: Recycling keine Ersatzkasse für unrentable Müllverbrennungsanlagen – Alte Öfen abreißen.

Was man Peter Altermaier schon immer mal über Müll sagen wollte.

Stinkende Granulate: Restmülltonne ungeeignet für stoffliche Verwertung – Klares Bekenntnis der Bundesregierung zur Recycling-Gesellschaft.

Offener Brief zur Recyclingwirtschaft: Kommt noch eine Antwort, Herr Altmaier?

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