
Der Einzelhandel nimmt in Deutschland eine bedeutende Stellung ein und stellt mit rund 543 Mrd. EUR Nettoumsatz und 3,1 Mio. Beschäftigten die drittgrößte Wirtschaftsbranche dar. Unter Hinzurechnung der Mehrwertsteuer, die Endkunden im Einzelhandel zu entrichten haben, entfällt auf diesen mehr als ein Drittel des privaten Konsums in Deutschland (Statista EH, 2020; HDE Fakten, 2020).
Die Corona-Krise unterteilt Entwicklungen in ein „Davor, Während und Danach“ –so die FAZ am 19. August 2020. Wie es nach der Pandemie für den stationären Einzelhandel aussehen wird, lässt sich nur erahnen (Schubert, 2020). Zunehmend wird aber deutlich, dass die Prognosen für Strukturveränderungen in den nächsten zehn Jahren mit Beendigung der Pandemie Ende 2021 bereits eingetreten sein werden.
„Eines ist klar: Niemand will, dass der stationäre Einzelhandel verschwindet und die Innenstädte veröden. Allerdings stimmen die Bürger1 mit den Füßen und zunehmend mit dem Daumen ab. Sie sind diejenigen, die über Leben und Sterben im Einzelhandel bestimmen. Wenn sie sich gegen den innerstädtischen Einzelhandel entscheiden, dann gibt es dafür gute Gründe. Zweifelsohne haben ohnehin sterbende Formate wie Waren-und Kaufhäuser kaum Überlebenschancen. Und lokale Händler, die unter einer Digitalallergie leiden und mehrheitlich noch nicht einmal die Voraussetzungen für Online-Geschäfte erfüllen, werden auch nicht überleben können. Nach Schätzungen von DHL sind noch immer 250.000 Händler nicht online und bringen mehrheitlich nicht einmal die notwendigen sowie hinreichenden Bedingungen dafür mit. Aber völlig abgeschrieben werden sollte der stationäre Einzelhandel keinesfalls. Er muss sich nur neu erfinden“, so Professor Gerrit Heinemann.
Schon bei Künstlicher Intelligenz im Einzelhandel geht es nicht bloß um Automatisierung und um die Übernahme von Tätigkeiten durch Roboter, sondern darum, dass Instrumente und Maschinen in der Lage sind, selbst zu lernen und Schlüsse zu ziehen. Einem Kunden, der im Geschäft einkauft, sollen anhand dessen, was er sucht, intelligente Empfehlungen gemacht werden können.
Dabei geht es um Produktempfehlungen, die auf den Interessen, vorherigen Einkäufen des Kunden oder auf seinem Suchverhalten basieren. Daran arbeitet auch Google, und zwar lokal bezogen. So verändert sich unser Einkaufs-und Suchverhalten. Und wenn ein Händler das nicht macht, wird er Kunden verlieren. Diese Methoden setzen die großen Online-Marktplätze eben schon sehr lange und erfolgreich ein. Der stationäre Einzelhandel kann das bisher nicht. Deswegen forscht das eWeb-Research-Center der Hochschule Niederrhein derzeit in einem Projekt mit mehreren beteiligten Institutionen wie dem FZ Jülich und Einzelhändlern an einer Strategie, die mittels Künstlicher Intelligenz eine Verschmelzung von Online-und Offline-Shopping zum Ziel hat. Es geht im Kern darum, den Einzelhandel in den Innenstädten zu retten. Das Forschungsprojekt hat den Namen „ON4OFF“ und wird vom NRW Wirtschaftsministerium und vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert. Erste Ergebnisse werden für 2021 erwartet.
“Im intelligenten Einzelhandel geht es insgesamt um fünf zentrale Themen, die den Handel der Zukunft prägen. Zuallererst sind die Basisvoraussetzungen zu schaffen, die ein datenbasiertes Arbeiten ermöglichen. Dieses wiederum erlaubt den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und damit kundendatenbasiertes One-to-One-Marketing. Um damit überhaupt arbeiten zu können, bedarf es einer intelligenten Mitarbeiterqualifizierung und -rekrutierung. Qualifizierte Mitarbeiter werden auch für eine digitale Supply Chain sowie die zukunftsfähige Geschäftsmodellierung inklusive Entwicklung von Smart Stores benötigt. Digitalbasierte Läden ermöglichen auch digitalisierte Shoppingcenter. Im Endeffekt geht es um ‘Kanal egal’ als höchste Evolutionsstufe des stationären Einzelhandels”, schreibt Heinemann in seinem Opus “Intelligent Retail”.
Zahlen:
Im direkten Vergleich der Besuche des stationären Handels im Laufe der Pandemie wird nach Analysen des IFH Köln deutlich, dass auch Wochen nach dem zweiten Lockdown die Frequenzen im Juli 2021 nicht wieder angestiegen sind. Zwar nehmen die täglichen oder zweitäglichen Besuche leicht zu; mehrmalige wöchentliche Besuche gehen dagegen im Vergleich zu November vergangenen Jahres um neun Prozentpunkte zurück. Auch steigt die Zahl derer, die stationäre Läden seltener oder gar nicht aufsuchen stetig: Insbesondere jüngere Konsumentinnen und Konsumenten zwischen 18 und 29 Jahren wollen auch zukünftig weniger stationär einkaufen als vor der Pandemie (47 Prozent). Im Durchschnitt der Bevölkerung ist der bewusste Wechsel vom stationären Kauf hin zum Onlinekanal mit 33 Prozent noch etwas weniger stark ausgeprägt.
Ebenfalls rund ein Drittel sind sich noch unschlüssig und ein weiteres Drittel gibt an, dass die Pandemie ihr Online-Kaufverhalten nicht nachhaltig ändern wird.
Eine Mehrheit von 60 Prozent der Befragten ist im „Corona Consumer Check“ des IFH mit den Hygienekonzepten im stationären Handel zufrieden und rund jeder Zweite hat auch Lust, stationär einzukaufen. Dagegen sind 21 Prozent eher ängstlich und fühlen sich nicht sicher beim stationären Einkauf; 38 Prozent meiden Geschäfte aufgrund zu großer Menschenmassen in den
Innenstädten. Was ja auch richtig ist, bei den ansteigend Infektionszahlen.
Meine Sicht:
Beratung bekomme ich über virtuelle persönliche Assistenten, die meine Einkäufe optimieren, Produkte und Dienstleistungen bewerten und über die Expertisen anderer Kunden informieren. Das ist der Kern einer zukunftsfähigen Experience-Ecomomy.
„Das klassische Ladengeschäft muss nicht mehr Teil des Distributionsnetzes sein. Als Konsument möchte ich nur die allernötigsten Artikel an Ort und Stelle mitnehmen. Was darüber hinausgeht, soll mir nach Hause gebracht werden. Statt weit zu fahren, damit ich zu einem großen Sortiment komme, werde ich zu einem Showroom gehen, wo man mir das ganze Sortiment zeigt – echt oder virtuell“, so der Technologieexperte Moshe Rappaport.
Diskussionsstoff für 13 Uhr: #DigitalXAdhoc-Livetalk im Bonner Studio mit Stefan Binkowski (Director Business Development Retail & Consumer SAP) und Dr. Kai Hudetz (IFH Köln).