
Klimapolitik: Die Emissionen in Deutschland sollen auf einen Pfad gebracht werden, der mit dem globalen 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens im Einklang steht. Bis zum Jahr 2045 möchte Deutschland klimaneutral sein. Ambitionierte Ziele auszurufen, bedeutet aber keineswegs, sie auch zu erreichen.
“Es braucht eine Vervielfachung des Tempos beim Ausbau der erneuerbaren Energien, die massive Steigerung der Energieeffizienz, umfangreiche Innovationen bei sauberer Energie, Elektrifizierung, Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen sowie der Mobilität, die Entwicklung von Negativemissionstechnologien sowie die Sicherstellung des Abtransports von Kohlenstoff in die Lagerstätten unter der Nordsee und nicht zuletzt die herausfordernde Verwirklichung einer Kreislaufwirtschaft”, schreiben Ottmar Edenhofer, Veronika Grimm, Andreas Löschel, Karen Pittel und Christoph Schmidt in einem FAZ-Gastbeitrag.
“Es gab in der Vergangenheit in Deutschland keinen Mangel an klimapolitischen Initiativen, im Gegenteil. Doch war die große Zahl der komplexen Fördermechanismen und ordnungsrechtlichen Eingriffe weder systematisch am Ziel der Emissionsminderung noch an einer effektiven Innovationspolitik ausgerichtet. Sie war oft kleinteilig, kurzfristorientiert und nicht ausreichend miteinander verzahnt.”
Man denke nur an die ökologische Steuerreform zur Rettung von Klima UND Rente. Verfehlt wurden beide Ziele.
“Mit einem CO2-Preis als Leitinstrument erhalten Unternehmen und Haushalte einen Anreiz für Investitionen in Emissionsminderungen und für Änderungen ihrer Konsumentscheidungen, ohne dass es immer wieder zusätzlicher Förderinstrumente und Technologieprogramme bedarf. Die Geschäftsmodelle der Unternehmen und die Entscheidungen der Haushalte werden nämlich durch den CO2-Preis grundsätzlich verändert. Nur durch Konzentration auf richtige Anreize über Preissignale kann der hohe Koordinierungsbedarf zwischen den vielen dezentralen Akteuren geleistet werden – über Regionen, Sektoren und Technologien hinweg.”
Kritik von Gabriel Felbermayer: “Die Frage ist, wie werden die verfügbaren Mengen über Haushalte, Unternehmen und Landwirtschaft verteilt. Das wird über den Markt gelöst, aber die Mengenbegrenzung wird politisch gesetzt. Mit einer Steuerlösung, wie wir sie jetzt haben, haben wir überhaupt keine Garantie, dass die Emissionen zurückgehen, weil die Menge nicht begrenzt ist.”
Wie schaut es mit Ausweichaktivitäten aus?
“Eine CO2-basierte Reform der Energiesteuern und -abgaben ist für die Transformation unverzichtbar. Besonders dringlich ist dies für den Strom. Eine stärkere CO2-Bepreisung sollte hier mit einer Reduktion staatlicher Strompreisbestandteile einhergehen. So gelingt die Abfederung sozialer Härten in den unteren Einkommensklassen. Vor allem die EEG-Umlage für die erneuerbaren Energien sollte schnell nicht mehr über den Strompreis, sondern aus Steuergeld finanziert werden”, fordern die FAZ-Gastautoren. Wann kommt das? Schon jetzt werden einkommensschwache Haushalte durch die gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise belastet?
“Klimapolitik muss in großem Umfang private Investitionen mobilisieren. Private Investitionen machen fast 90 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Bruttoanlageinvestitionen in Deutschland aus. Mit den richtigen Rahmenbedingungen kann dieser „Tanker“ stärker auf klimafreundliche Geschäftsmodelle ausgerichtet und umgesteuert werden. Der aktuelle Fokus auf öffentliche Investitionen in Deutschland droht dagegen in die falsche Richtung zu führen. Es wäre eine Illusion zu glauben, die Transformation könnte vor allem durch öffentliche Investitionen oder umfangreiche Staatshilfen vorangetrieben werden. Nicht zuletzt sei hier auf die politikökonomischen Fehlanreize verwiesen, die öffentliche Ausgaben für den Klimaschutz seit langer Zeit begleiten und im Ergebnis oft zu Kompromissen zulasten Dritter – meist der Steuerzahler – führten.”
Grüner Strom und Wasserstoff werden in anderen Regionen der Welt günstiger verfügbar sein. “Daher sind Importe grundsätzlich volkswirtschaftlich sinnvoll und leisten einen Beitrag zu unserem Wohlstand. Vor dem Hintergrund der aktuellen Gaskrise wird aber auch deutlich, dass es mehr langfristige, vertrauensvolle, stabile Energiepartnerschaften und eine Diversifizierung der Anbieter braucht, um Abhängigkeiten und eine Gefährdung der Sicherheit der Energieversorgung zu minimieren. Dies betrifft auch Partnerschaften mit bisherigen fossilen Lieferanten, insofern diese über entsprechende Potentiale für grüne Energien verfügen.”
Störungen auf der Angebotsseite, Chipmangel, Inflationsrisiken und massiver Mangel an Arbeitskräften in den nächsten Jahren:

“Die meisten Wirtschaftsforscher prognostizieren ein Wachstum von knapp fünf Prozent im nächsten Jahr (Achtung, Inflationsrisiko!), die Staatskassen laufen voll (sagen die Steuerschätzer), kurz: Wir haben überhaupt keine Geldsorgen und kein Nachfrageproblem, sondern vor allem mit Kapazitätsmängeln, Überlastungen und Angebotsproblemen zu kämpfen, konkret: Wir wollen Brücken, Straßen und Schienenwege bauen, das Land mit E-Ladenetzen überziehen, Schulen und Ämter digitalisieren, Windräder, Solarparks und Strommasten aufstellen, und das alles möglichst schnell und gleichzeitig-Allein die Frage ist: Wer soll das alles schaffen? Wo sind die Handwerksbetriebe, die das alles europaweit erledigen? Schon heute werden viele bereit gestellte Milliarden nicht abgerufen. Und die demografische Lage spitzt sich zumal in Deutschland zu, weil die Baby-Boomer sich langsam in Richtung Ruhestand verabschieden”, schreibt Dieter Schnaas von der Wiwo.
Die Angebotsseite ist so nachhaltig gestört, dass wir mit der unsoliden Finanzpolitik massiv in eine Inflation abrutschen.
Dazu der Sachverständigenrat: “Die weltwirtschaftliche Erholung wurde von einem Anstieg der Rohstoff- und Energiepreise sowie angebotsseitigen Engpässen begleitet. Dies hat zu einem deutlichen Anstieg der Verbraucherpreisinflation geführt, die ohnehin durch Basis- und Sondereffekte erhöht ist. Der Sachverständigenrat erwartet in Deutschland eine Inflationsrate von 3,1 Prozent für das Jahr 2021 und von 2,6 Prozent für das Jahr 2022. Länger anhaltende angebotsseitige Engpässe, höhere Lohnabschlüsse und steigende Energiepreise bergen jedoch das Risiko, dass eigentlich temporäre Preistreiber zu persistent höheren Inflationsraten führen könnten.”
Lokale Ereignisse – wie etwa Virusausbrüche in zentralen Häfen oder Produktionsstätten Chinas, die Havarie im Suez-Kanal oder durch Sonderereignisse hervorgerufene Produktionsausfälle führten immer wieder zu zusätzlichen weitreichenden Störungen der globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten und verstärkten so die Engpässe.
“Die starke Segmentierung der Engpässe, die viele unterschiedliche Teilmärkte betreffen, dürfte einen nur allmählichen Abbau der Engpässe zur Folge haben. Insgesamt dürften sich die derzeitigen produktionshemmenden Engpässe abbauen, sobald sich die Verschiebung der Konsumpräferenzen zwischen Gütern und Dienstleistungen mit nachlassendem Pandemiegeschehen normalisiert und so die Güternachfrage sowie die Überauslastung der Frachtkapazitäten reduziert. Bei nachhaltigen strukturellen Verschiebungen der Nachfrage, etwa infolge der Digitalisierung oder der Transformation der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität, dürften sich Unternehmen zwar zunehmend an die geänderten Bedingungen anpassen. Jedoch dürfte bei einigen Gütern – wie etwa Halbleiterprodukten – der Aufbau neuer Kapazitäten noch einige Zeit in Anspruch nehmen.”
Ein weiterer produktionshemmender Faktor sind die starken Anstiege einiger Rohstoffpreise, die auf eine Kombination aus überraschend schnell gestiegener Nachfrage sowie einem durch Wetterereignisse und pandemiebedingter Produktionsausfälle reduzierten Angebot zurückgehen Auch hier ist ein Teil des Anstiegs – vor allem bei Energierohstoffen – auf das niedrige Preisniveau im Vorjahr zurückzuführen. Jedoch liegen die Preise mittlerweile zumeist deutlich über dem Vorkrisenniveau.
“Ein weiterer struktureller Trend, der längerfristig zu höheren Inflationsraten führen könnte, ist die zunehmende Alterung der Weltbevölkerung und der damit einhergehende Rückgang des Anteils der Erwerbstätigen. Während die Alterung der Bevölkerung in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften bereits vor einiger Zeit eingesetzt hat, dürfte sie zukünftig ebenfalls in vielen Schwellenländern – insbesondere in China – zunehmen. Goodhart und Pradhan (2020) argumentieren, dass dies über drei Kanäle zu höherer Inflation führen kann. Erstens erhöht sich das Verhältnis der Anzahl der Personen im Rentenalter zur Anzahl der Personen im Erwerbstätigenalter. Zweitens könnten die hieraus resultierenden Arbeits- und Fachkräfteengpässe die Verhandlungsmacht von Gewerkschaften sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern stärken und somit zu überproportional stark steigenden Reallöhnen führen. Drittens könnte ein Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Konsumquote – ausgelöst durch das geringere Sparen der älteren Bevölkerung – den Realzins erhöhen, da der Investitionsbedarf weiterhin hoch bleibt. Dies würde ceteris paribus ebenfalls inflationär wirken.
Zu guter Letzt könnten sich die disinflationären Tendenzen der Globalisierung und der internationalen Arbeitsteilung in Zukunft umkehren. Bereits vor der Pandemie mehrten sich die Anzeichen einer beginnenden Umkehr der Globalisierung durch die Zunahme protektionistischer Maßnahmen, wie beispielweise dem Handelskonflikt zwischen den USA und China oder dem Brexit. Verstärkt werden könnte dies durch politische Maßnahmen wie dem „Buy American Act“ der USA oder des „Made in China 2025“-Plans.
Genügend Stoff für den Livetalk mit Professorin Veronika Grimm am Dienstag, um 12 Uhr. Mitdiskutieren via YT (hier schon angelegt) und just in time via Twitter, LinkedIn, Facebook und Twitch. Einfach auf meine Accounts gehen. @gsohn gunnarsohn oder gunnareriksohn.
Reibung und Auftrieb: Nach zwei Wochen sendet die COP26 wichtige Signale zum Klimaschutz