
Mussten bisher mühselig Markt für Markt die Wettbewerbsverhältnisse analysiert werden, um zu ermitteln, ob irgendwo ein Fehlverhalten der Plattform vorliegt, wird der Spieß mit der Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) umgedreht. “Das Bundeskartellamt kann großen Plattformen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen von vornherein untersagen. Sollte das Verhalten doch wettbewerbskonform sein, liegt es nun an der Plattform, den Gegenbeweis anzutreten. Das spart viel Zeit, und man muss nicht erst warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, um Rettungsaktionen einzuleiten. Mit dieser Modernisierung des Kartellrechts ist Deutschland Vorreiter, auch wenn wir sonst in vielen Bereichen der Digitalisierung hinten dran sind. Die EU-Kommission hat erst im Dezember mit dem ‚Digital Markets Act‘ (DMA) erste Vorschläge für ähnliche Änderungen des Europarechts vorgelegt. Bis die umgesetzt werden, dürften aber mindestens drei weitere Jahre vergehen. Daher ist es gut, dass Deutschland bei der Digitalisierung nun wenigstens im Kartellrecht vorangeht”, kommentiert Professor Justus Haucap den Beschluss des Bundestages.
Nadine Schön, stellvertretende Chefin der Unionsfraktion im Bundestag, sieht das ähnlich. In der EU werde es noch eine Weile dauern, bis es zu einer Änderung des geltenden Wettbewerbsrechts kommt.
“Wir sind dafür, dass aus diesen nationalen Gesetzgebungen für die künftige Regelung auf europäischer Ebene gelernt wird. Ich finde es charmant, dass wir in Deutschland jetzt ungefähr zwei Jahre Zeit haben, um unsere Regulierung auszutesten und daraus Rückschlüsse zu ziehen. Das entspricht mehr der Dynamik in der digitalen Welt. Übrigens haben wir auch jetzt schon voneinander gelernt”, so Schön im Interview mit der FAZ.
Im DMA arbeitee man sehr stark mit Regelbeispielen, “während wir mit der GWB-Novelle eher eine abstrakt-generelle Regelung machen. Wir haben nun im Laufe unseres Gesetzgebungsverfahrens auch in der GWB-Novelle Regelbeispiele hinzugefügt, damit klarer ist, wovon wir überhaupt sprechen und welche Szenarien wir vor Augen haben”.
Schön nennt als Beispiel die Verbotstatbestände des Paragraphen 19a. “Hier sind wir zunächst mit einer abstrakt ausformulierten Rechtsnorm herangegangen, um eine zukunftsweisende und technologieoffene Regulierung von Gatekeeper-Plattformen sicherzustellen. Um GWB und DMA anzugleichen, haben wir dann konkrete Verhaltensweisen ergänzt, die das Bundeskartellamt untersagen kann, weil sie mit Selbstbevorzugung und unfairen Bündelungspraktiken einhergehen”, betont Schön.
Wir diskutieren das am Donnerstag ab 14 Uhr im DigitalXAdhoc-Format mit Justus Haucap. Er ist seit 2009 Professor für Volkswirtschaftslehre und war von Jahresbeginn 2015 bis Ende 2018 Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er ist Gründungsdirektor des Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE) und war von 2008 bis 2012 Vorsitzender der Monopolkommission. Seit 2019 ist er federführender Herausgeber der Perspektiven der Wirtschaftspolitik. Mitdiskutieren über die Chat- und Kommentarfunktonen von YouTube, Facebook und Co.
Man hört, sieht und streamt sich um 14 Uhr.