Die schärfsten zensorischen Eingriffe kommen in Deutschland (noch) nicht von Wahrheitsministerien, sondern von Bürgerinnen und Bürgern wie du und ich. Das hat Werner Fuld in seinem lesenswerten Werk „Das Buch der verbotenen Bücher“ (Verlag Galiani Berlin) in dem Kapitel „Persönlich und privat“ eindrucksvoll dokumentiert. So sind die sogenannten „freiwilligen Selbstkontrollen“ ein beliebtes Instrument, um unter dem Deckmantel des Jugendschutzes willkürlich die Moralkeule zu schwingen und die Medien- und Informationsfreiheit zu beschränken.
Blockwarte des Kardinals
Besonders eifrig im Zensurzirkus war der aus dem „Kölner Männerverein zur Bekämpfung öffentlicher Unsittlichkeit“ hervorgegangene „Volkswartbund“, der dem Erzbischöflichen Ordinariat der Stadt Köln untersteht. Heute heißt dieser Hausmeister-Verein etwas unverfänglicher „Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft Jugendschutz“. Die bigotten Wächter von Sitte und Anstand waren die eifrigsten Zuträger der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften.
„Jahrzehntelang hat diese Vereinigung, meist unter dem Vorwand des Jugendschutzes, die bundesdeutschen Justiz- und Polizeibehörden zur Durchsetzung des eigenen Weltbilds missbraucht. Systematisch durchkämmten die Mitglieder die Buchhandlungen, stets auf der heimlichen Suche nach Publikationen, an denen sie Anstoß nehmen könnten, und stets waren eigene Rechtsanwälte zur Hand, um die moralische Entrüstung in Worte zu fassen und an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten“, schreibt Fuld.
Ob diese Herren auch bei der Aufdeckung von Missbrauchsskandalen in katholischen Jugendeinrichtungen ebenso eifrig die Staatsanwaltschaft einschalteten, ist mir allerdings nicht bekannt.
Jedenfalls brachten die „Blockwarte des Kardinals“ (eine Formulierung von Robert Neumann) alles zur Anzeige, was nicht ins regierungstreue Milieu passte.
„Gleichgesinnte Staatsanwälte setzten beflissen die Einsatzkräfte in Bewegung: Im Fall von Henry Millers ‚Opus Pistorum‘ durchsuchten 1985 mindestens 700 Polizisten insgesamt 285 Läden und beschlagnahmten alle vorhandenen Exemplare im Auftrag des Darmstädter Staatsanwalts“, erläutert Fuld.
Arno Schmidt zählte zu den bevorzugten Angriffszielen des Volkswartbundes. Seine „Pamphlete“ würden die Einrichtungen und Gebräuche der christlichen Religionsgemeinschaften beschimpfen und seien Gotteslästerung. Zu den beanstandeten Meinungsäußerungen zählte:
„Ich? Atheist, allerdings. Wie jeder anständige Mensch“.
Die Staatsanwaltschaft bejahte den literarischen Wert der Ausführungen von Arno Schmidt und stellte das Verfahren ein – wie großzügig.
Auch Griebenwurst kommt auf den Index
Auffällig ist mittlerweile die Tendenz zur Präventivzensur. Um sich Ärger und Aufwand mit umstrittenen Publikationen zu ersparen, achten viele Buchhandlungen mittlerweile darauf, welche Neuerscheinungen ihnen Schwierigkeiten ins Haus bringen könnten und vermeiden beim Einkauf entweder brisante Themen oder boykottieren Autoren und Verlage, die auf kritische Dokumentationen spezialisiert sind:
„Die Zensurpraxis generiert letzten Endes eine Gesellschaft, in der private Einzelinteressen über die Rechte der Allgemeinheit gestellt werden. Die grundgesetzlich garantierte Meinungs- und Informationsfreiheit wird damit zunichte gemacht“, klagt Werner Fuld und verweist auf eine um sich greifende Praxis, die europäische Literatur zur rauch- und alkoholfreien Zone zu degradieren.
Wo noch vor zehn Jahren Whisky und Zigaretten eine Selbstverständlichkeit gewesen wären, werde jetzt exzessiv Kaffee getrunken. Das Anzünden einer Zigarette bedarf heute einer Legitimation – etwa, um eine Person als Soziopath zu charakterisieren.
Ein Lektor würde wohl einen bekennenden Drogenabhängigen wie Sherlock Holmes nicht mehr tolerieren. So entwickelt sich neben dem Persönlichkeits- und Jugendschutz die Gesundheitsvorsorge zur dritten Säule der Zensur – ein Totschlag-Argument, das selbst vor bayerischen Bierzelten nicht mehr haltmacht, wie die Anti-Raucherkampagne des Lederhosen-ÖDP-Bubis Sebastian Frankenberger unter Beweis stellt.
Die Nichtraucher-Dämlichkeit schreckt noch nicht einmal davor zurück, künstlerische Werke zu säubern:
„Bei Fotografien wird sie bereits praktiziert: Sartre wurde in einer Ausstellung seiner obligaten Zigarette beraubt und das Cover für die Memoiren von Jacques Chirac musste zurückgezogen werden, weil es ihn mit Zigarette zeigte“, erklärt Fuld.
Irgendwann kommt auch hausgemachte Griebenwurst auf den Index, um den durchschnittlichen Cholesterin-Wert der Deutschen zu senken – im Sinne der Volkshygiene. Da mache ich mir doch gleich eine Schachtel Reyno White auf, um im blauen Nikotin-Dunst meines Schreibtisches ein neues T-Shirt zu kreieren mit einem Indianer-Spruch des Kolumnisten Harald Martenstein:
„Eines Tages, wenn erst der letzte Böller verknallt ist, die letzte Zigarette geraucht, das letzte Eisbein gegessen und der letzte Heizpilz gelöscht, wird der weiße Mann merken, dass man Verbote nicht essen kann“ (nachzulesen in den „Ansichten eines Hausschweins“, C. Bertelsmann Verlag).
Verdünnisiert Euch, Ihr Hüter der bigotten und repressiven Moral.
Wie wohltuend ist da das Blog-Motto meines Freundes Wolfgang Schiffer: Streifzüge und Rauchzeichen!
Und das ist ein programmatisches Bekenntnis 🙂 Im Interview waren wir damals noch beim “Sie”.
Hat dies auf http://www.ne-na.de rebloggt.