In den vergangenen Tagen haben sich schon einige Protagonisten zu Wort gemeldet mit ihrer Analyse zur diesjährigen Cebit. Die Beiträge sind ein belastbarer Indikator für die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in der Netzökonomie.
Einige Stimmen, die sicherlich heute Nachmittag in unsere Live-Hangout-Debatte einfließen werden, dokumentiere ich hier mal:
Tim Cole: Die Cebit schafft sich ab!
“Das Problem der CeBIT ist, dass sie verarmt. Die Aussteller bleiben weg, Zuschauer kommen alle mit einer kostenlosen Messekarte rein. Die Folgen sind deutlich zu spüren: WLAN war früher natürlich überall auf der CeBIT umsonst. Jetzt müssen wir dafür bezahlen. Der Presse-Shuttle, der uns Journalisten wirklich das Leben leichter gemacht hat, ist nach 29 Jahren abgeschafft worden, genau wie das Presserestaurant, wo man sich früher ungestört mit Informanten und Kollegen treffen konnte. Überall wird/muss gespart werden, und so baut man sich schrittweise selbst ab. Meine Prognose: Die CeBIT wird es, zumindest als eigenständige Messe, höchsten noch 3-4 Jahre geben.”
Professor Lutz Becker:
„Habe heute noch im Gespräch mit Kollegen gesagt, dass ich denke, dass die Industriemesse und CeBIT wohl wieder zusammengelegt werden. Es war sehr wenig los, nicht verbundene Inseln (z. B. Chinesen bleiben unter Chinesen), wenig echte Innovation (es ist schon peinlich, Nutzeroberflächen im Stil der 80er auf dem großen 4K Schirm zu zeigen). Die CeBIT erzählt als Ganzes keine Geschichten … für Kunden fehlt der rote Faden…..”
Christian Spanik: Es lebe der IT-Friedhof…
“…in Barcelona habe ich auch nicht das Innovationsfeuerwerk entdeckt. Oder auf der re:publica. Oder was auch immer als Beispiel zitiert wird. Hört euch die Vorträge an. Die sind gut – aber ganz erheblich nur eine Weiter-Entwicklung von Projekten, Konzepten oder Gedanken aus den Jahren vorher. Meist das völlig korrekte Adaptieren bekannter Dinge auf neue Möglichkeiten und Technologien.”
Ebenfalls von Christian: Zur unglücklichen CeBIT Diskussion: sie ist falsch. Und gefährlich.
“Bitte verschiebt den Fokus dahin, wo er hingehört. Es ist kein Messeproblem. Es ist ein Branchenproblem. Denn die Messe ist ein Spiegel derjenigen die ausstellen. War sie immer schon. Und ich denke solange wir Medien und Macher dermaßen Buzzword-Getrieben und IT-Sensationsgeil auftreten und mit dem Mittelstand reden wie Ärzte mit einem schwerkranken Patienten, werden wir uns schwer tun, Menschen zu erreichen, die auch noch andere Hobbys haben. Oder gar Firmen leiten müssen.”
Bin ich nicht ganz einverstanden. Es ist AUCH ein Problem der Messe-Leitung. Und vor allem: Es ist AUCH ein Problem des Mitveranstalters Bitkom – ältere Herren in dunklen Anzügen, die auf den IT-Gipfeln der Bundesregierung der Kanzlerin auf dem Schoß sitzen….
Thomas Knüwer: SXSW 2016 I – Der Zirkus ist zurück in Austin.
“Ich glaube, dass es noch fünf Jahre werden – doch das Ende der Cebit ist absehbar. Und vermutlich wird die Deutsche Messe versuchen, sie in die Hannover Messe einzugliedern. Folge: Alle Themen außerhalb von SAP und Industrial Internet würden marginalisiert. Während das Internet sich in der Realität über alle Felder legt, müsste es sich in Hannover der produzierenden Industrie unterordnen – das kann und wird nicht gutgehen. Die Cebit hat nicht begriffen, dass es Zirkus und Rummel braucht, um Menschen anzuziehen. Natürlich klagten Unternehmen über die Taschenabgreifer, die Standausrüstungsdiebe, die Rentner und Schüler. Doch als die weg waren, wurde es leer. Fühlt man sich in einer leeren Messehalle inspiriert? Hat man die Power, um mit anreisenden Geschäftspartnern Deals zu machen? Nein. Vielmehr gibt es kaum etwas Deprimierenderes als eine stille Messehalle. Im Gegensatz dazu ist die SXSW auf einem guten Weg, eine globale Leitkonferenz für das Digitale Zeitalter zu werden – die noch dazu Spaß macht.”
Hier liegt das Bitkom-Problem – Industrie-Vier-Null-Denke.
“Zu wenig Brücken, die gebaut werden. Das war eine bedeutende und klare Erkenntnis der Marketinghalle der CeBIT. Wir brauchen weniger Experten, die für Experten sprechen, als viel mehr klar gestaffelten Transfer vom Vordenker in die unteren Schichten der Wertschöpfung. Das fängt mit dem Sprachduktus an und hört mit deutlich nachvollziehbaren Wegen auf. Wir brauchen Mentoren, Trainer und Pädagogen. Menschen, die diese spezielle Eigentümerstruktur des klassischen Mittelstandes nicht als lästig und mühsam betrachten, sondern als Aufgabe für eine starke Wirtschaft in Deutschland.”
Solche Stimmen hab ich auch für meine Cebit-Nachschau eingefangen: Cebit auf IT-Vertriebsniveau.
Auf der CeBIT sind eine Menge IT-Heizdecken-Verkäufer unterwegs, die ihre Hardware und Software mit hohlen Sprüchen unters Volk bringen, die mich schon vor zehn oder fünfzehn Jahren auf die Palme gebracht haben: Da werden Prozesse optimiert, CRM-Kanäle strukturiert, Effizienzpotenziale aufpoliert und die IT-Sicherheit fokussiert. Immer steht der Kunde im Mittelpunkt als König, Kaiser oder Papst. Am Ende des Messetages werden dann noch die Lead-Champions in Corporate-wir-sind-die-Größten-Songs abgefeiert, um danach dem Fachpublikum wieder dümmliche IT-Weisheiten aus den 1990er Jahren an den Kopf zu feuern.
Alles natürlich in disruptiv-digital-transformatischer Verpackung, schließlich sieht man sich als Avantgarde der kommenden Gigabit-Gesellschaft, die durch den schleppenden Breitbandausbau allerdings erst in einigen hundert Jahren zum Vorschein kommen wird. Es reicht nicht aus, von Wandel, Disruption, Uber, Airbnb oder digitaler Transformation zu faseln, ohne in seinem eigenen Arbeitsleben einen Hauch von digitaler Expertise zu bieten. In Wahrheit verweigern sich die meisten IT-Manager, sich auf Neues einzulassen.
Die IT-Branche operiert nach Ansicht des Marketingexperten Wolf Hirschmann immer noch nach dem Motto “Fachidiot schlägt Kunde tot”:
“Man geht mit technokratischen Botschaften nach draußen, ohne einen Wissenstransfer zu leisten.”
Man verharrt mit einem digitalen Anstrich auf dem Level von Blech, Steckern, Servern, Bits und Bytes.
“Die IT-Industrie denkt nicht weit genug”, kritisiert Hirschmann in einem Fachgespräch beim Campus Mittelstand.
Sie denkt schon gar nicht in neuen digitalen Ökosystemen oder Geschäftsmodellen. Die Referenzqualität des IT-Vertriebs ist eher bescheiden. Höflich ausgedrückt.
Wie man Unternehmern Zugänge zur Digitalisierung verschafft, demonstrierte auf der Cebit Christoph Krause vom Kompetenzzentrum digitales Handwerk, in dem Spielplätze zum Experimentieren entstehen, bei denen etwa Zahnärzte mit den Daten aus den Mündern ihrer Patienten direkt auf eigenen 3D-Druckern die notwendigen Implantate produzieren:
“Man muss in den Unternehmen die Welt bunter machen und die Rebellen in der eigenen Organisation unterstützen”, so das Credo von Krause.
Ähnliches gilt für die CeBIT: Bunter, offener, kontroverser und digitaler muss es zugehen, ohne IT-Prozess-Schwafelei. Nur dann sieht das Notiz-Amt eine Existenzberechtigung für das Messespektakel im März.
Soweit einige Kostproben für heute Nachmittag.
Wer sich ab 17 Uhr an der Debatte beteiligen möchte, kann das über den Fragebutton der Google Plus Eventseite machen (rechts oben am Webplayer) oder über das Hashtag #CebitReset via Twitter.
Man hört, sieht und streamt sich 🙂
Hat dies auf http://www.ne-na.de rebloggt.
Stefanie hat auf Facebook noch etwas gepostet:
Da könnte dieser Verband ja mal überlegen, ob er selbst danach handelt….