
In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Gründungstätigkeit in Deutschland stark verringert. Den Höhepunkt erreichten wir noch zu Zeiten der New Economy. Die Älteren unter uns werden sich noch erinnern. “Trotz einiger Auf und Abs stagniert die jährlich Zahl der Existenzgründungen seit 2018 im Grunde auf sehr niedrigem Niveau. So ist sie 2020 auf ihren bisherigen Tiefpunkt gefallen, hat sich dann 2021 wieder erholt, ist aber 2022 erneut gesunken. Die Gründe für den langfristigen Rückgang sind hauptsächlich erstens der längste Arbeitsmarktboom seit der Wiedervereinigung und zweitens die demografische Alterung. In den letzten Jahren kam dann noch mit Brexit, Corona und Russlands Krieg gegen die Ukraine eine zunehmende wirtschaftspolitische Unsicherheit dazu. Während die Unsicherheit hoffentlich bald wieder sinken wird, ist der Fachkräftemangel gekommen, um auf absehbare Zeit zu bleiben”, schreibt die KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Koehler-Geib auf LinkedIn.
Für die deutsche Volkswirtschaft seien das schlechte Nachrichten, denn Existenzgründungen sind wichtige Treiber des strukturellen und technologischen Wandels – und sie unterstützen so die Zukunftsfähigkeit der gesamten Volkswirtschaft. “Gerade auch mit Blick auf die grüne und die digitale Transformation braucht Deutschland neue Unternehmen mit frischen und innovativen Ideen. Mit einer geringer werdenden Anzahl an Gründerinnen und Gründern sinkt das Angebot für Kundinnen und Kunden, der Wettbewerb nimmt ab mit negativen Preis- und Qualitätseffekten und der Mittelstand erodiert, weil Nachfolgerinnen und Nachfolger fehlen”, so Koehler-Geib.
Es fehlen vor allem die Anreize für junge Menschen, ein Unternehmen zu gründen. Etwa Steuerfreiheit für die ersten fünf Jahre, Sonderwirtschaftszonen, Alles-aus-einer-Hand bei der kommunalen Wirstschaftsförderung, ausreichend viele Risikokapitalgeber, schnelle Zuweisung von Geldern über Fördermittel-Töpfe und dergleichen mehr.
“Gründungspläne werden am häufigsten bei finanziellen Herausforderungen abgebrochen, wenn also Finanzierung fehlt oder als zu risikoreich wahrgenommen wird. Finanzielle Gründungsförderung ist also ein wichtiges Instrument, ebenso wie Entrepreneurship Education im Allgemeinen und die Stärkung von Finanzwissen im Speziellen. Darüber hinaus ist Bürokratieabbau eine Maßnahme, die sowohl Gründungen entlasten würde als auch das Interesse am Gründen erhöhen könnte. Denn der Gründungswille leidet auch unter dem wahrgenommenen Bürokratieaufwand”, erläutert die KfW-Chefvolkswirtin.
Was die Finanzierung anbelangt, passiere schon einiges, so die Antwort von Köhler-Geib auf meine Fragen. Etwa den Zukunftsfonds. “Wir haben die Startup-Strategie der Bundesregierung, die muss jetzt umgesetzt werden.” Gründungsbildung sei ein wichtiger Ansatz. Schon in der Sekundarstufe II sollte Entrepreneurship-Wissen vermittelt werden. “Ökonomische Bildung ist in Deutschland ein ganz großes Thema, das viel stärker in den Fokus rücken muss.” Auch die vorhandenen Rollenbilder, die klischeehaft dominieren , seien ein Hindernis für die Zunahme von Gründerinnen.
Sonderwirtschaftszonen hält die KfW-Chefvolkswirtin für eine schwierige Idee. “In Deutschland sollten wir den Anspruch haben, dass das gesamte Land eine Sonderwirtschaftszone ist.” Das wird aber nicht passieren.
Bürokratieabbau sei ein entscheidender Hebel. Es sollte viel schnell möglich sein, ein Unternehmen zu gründen. “Es gibt eine Initiative in Frankreich, dass man innerhalb von zwei Tagen gründen kann.” Zudem sollten bereits ergriffene Maßnahmen, wie die Reform des Insolvenzrechts, besser kommuniziert werden.
Wir brauchen vor allem intelligente staatliche Akzente in der Wirtschaftspolitik. Vor einiger Zeit habe ich die wirtschaftlichen Folgen der französischen Revolution mit den Stein-Hardenbergschen Reformen verglichen.
Die wirtschaftspolitische Bilanz in Folge der Bastille-Erstürmung ist mager, wenn man sich die Entwicklung im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts anschaut. So lag die Arbeitslosigkeit zwischen 1871 und 1914 in Deutschland bei 1 bis 2 Prozent. In Frankreich bei 6 bis 10 Prozent. Das Volksvermögen 1912 betrug in Deutschland 290 Milliarden Goldmark, Frankreich kam auf 240 Milliarden Goldmark. Die Zahl der Telephone lag in Deutschland 1910 bei 1.076.000, in Frankreich bei 14.616. Hier war Berlin das Silicon Valley der Telekommunikation. Auf ichsagmal.com einfach den Suchbegriff “Heinrich von Stephan” eingeben. Steuerbelastung pro Kopf: Deutschland 35 Mark, Frankreich 66 Mark.
Ähnlich sieht es bei der Erzeugung von Roheisen und Eisenerzen aus, beim Außenhandel, in der Spielwarenindustrie, bei Sparguthaben, bei der Erzeugung von Elektrizität und dergleichen. Entscheidend war dabei die Rolle des Staates: Etwa bei der Reform der Verwaltung, des Finanzwesens und der Gewerbeordnung, die in Preußen in Gang gesetzt wurden. Generell sei die staatliche Wirtschaftsförderung wichtig gewesen, so Philipp Robinson Rössner in seinem Opus “Wirtschaftsgeschichte neu denken”:
Etwa bei der Gewerbe- und Industrieförderung, der Qualitätssicherung von Industrie- und Gewerbeprodukten, der Bereitstellung öffentlicher Güter und Infrastruktur bis hin zur gezielten Importsubstitution und infant industry protection, die bis heute in weniger entwickelten und Schwellenländern bisweilen erfolgreich angewandt wird. “Das im 9. Kapitel bereits geschilderte Beispiel Englands im 18. Jahrhundert ist ebenso ein Exempel positiver Staatsintervention wie die Industrialisierung Preußens und vieler anderer deutscher Staaten im 19. Jahrhundert, wo der Staat und die Regierungen vor allem im Eisenbahnwesen (öffentliche Infrastruktur), bei der chemischen und Hochindustrie oder im Bankenwesen durch kontrollierte Eingriffe z. B. bei der Zollpolitik oder im Handels- und Bankenrecht (Bürgerliches Gesetzbuch) ohne Zweifel positive, d. h. in der Zielsetzung wie auch im Resultat wirtschaftsfördernde Akzente setzten.”
Gute Impulse setzte auch Lars Feld in einem Interview vor gut zwei Jahren. Wir könnten den Föderalismus stärker nutzen für den Standortwettbewerb:
Vielleicht sollte man den Pfaden folgen, die wir in den vergangenen Jahrhunderten erfolgreich entfaltet haben. Also die Vorteile der Kleinstaaterei im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation nutzen:
„In vielen deutschen Regionen gibt es jahrhundertealte Kompetenzen, die ihr Licht bis in die Gegenwart werfen. Heute spricht man von industriellen Ökosystemen. So wurden im Schwarzwald seit jeher Uhren gefertigt, was feinmechanische Fähigkeiten erfordert. Schließlich gilt die Uhrmacherei als ‘Schlüsseltechnologie des Industriezeitalters’. Aus dieser Tradition sind in der Schwarzwaldregion mehr als 500 medizintechnische Firmen entstanden“, sagt der Hidden-Champion-Forscher Hermann Simon.
Oder Firmen wie Bizerba auf der Schwäbischen Alb in der Lebensmitteltechnologie und Multivac als Maschinenbauer im Allgäu. Gleiches gilt für Göttingen.