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ChatGPT und die Kopisten: Wie weit sollte die KI-Regulierung gehen? Was sagt Ihr zu Kennzeichnungspflichten? Und zu den Horrorprognosen für den Arbeitsmarkt von Anja Kohl und Co? @DasErste @DFKI

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Wir brauchen eine Politik, die Individualität, Partizipation und Ideen-Vielfalt fördert. Auf dem Zukunftstag Mittelstand in Berlin war das beim Thema Künstliche Intelligenz gut zu beobachten. Etwa beim Einsatz von semantischen Webanwendungen für die individualisierte Kundenkommunikation von Unternehmen. Oliver Gürtler, Leiter des Mittelstandsgeschäfts bei Microsoft Deutschland, hat das gut erläutert. ChatGPT als digitaler Concierge: Solche Innovationen gedeihen nur in einer liberalen demokratischen Ordnung. Das schrieb ich im März 2023 in meiner New-Management-Kolumne.

In einer liberalen demokratischen Ordnung sollte der Staat sich aber nicht in einer hausmeisterlichen oder oberlehrerhaften Weise zum KI-Überwacher aufschwingen. Etwa bei der Drohung mit Sperrungen von KI-Anwendungen.

Genauso fragwürdig sind die dramatischen Fehlprognosen bei den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Anja Kohl erwähnt bei “Wirtschaft vor acht” wieder das mittlerweile widerlegte Horrorszenario vom Verlust von 300 Millionen Arbeitsplätzen.

Selbst Studienautoren wie  Carl Benedikt Frey sind zurückgerudert. “Das Papier, welches wir 2013 veröffentlichten, beinhaltete eine Schätzung des potenziellen Ausmaßes der Automatisierung. Wir sagten uns: Das sind jene Bereiche, in denen Computer noch sehr schwache Leistungen bringen, also in Kreativität, komplexer sozialer Interaktion, in Wahrnehmungs- und Manipulationsaufgaben.” Bislang ist davon nichts eingetreten. Siehe auch: Arbeitsmarkt-Schwurbeleien von Osborne und Frey über die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz.

Ökonomen wie Ronald Bachmann vom RWI untermauern, dass wir froh sein können bei der Überalterung der Gesellschaft, wenn Robotik, KI und Automatisierung den Verlust an Arbeitskräften in den nächsten Jahren ausgleichen können. Ohne qualifizierte Einwanderung werde es nicht gehen.

Es gibt zu viele Phrasendrescher und Wichtigtuer, die sich über Künstliche Intelligenz auslassen. In den USA gibt es Protagonisten in der Digitalszene, die gar nicht so sehr in der KI-Forschung tätig sind, aber um so stärker eine Marketing-Maschine bedienen und dabei zum Teil pseudo-wissenschaftlich agieren. Dazu zählt Wolfgang Wahlster, ehemaliger Chef des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz den Dauerredner Ray Kurzweil, der verrückte Thesen ohne eine gewisse Substanz vorlegt. Das habe Folgen: „Das größte KI-Zentrum findet man nicht mehr in den USA, sondern mit dem DFKI in Deutschland. Dass liegt daran, dass wir versuchen, als Ingenieure auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Wir definieren KI als künftige Informatik. Wir gehen an das Limit des Machbaren. Wir machen keine falschen Versprechen an die Industrie oder an den Staat. Wir bleiben auf dem Teppich. Das hat sich bewährt“, so Wahlster im Gespräch mit Technoloy Review. Man sollte sich davor hüten, extrem überzogene Hoffnungen zu wecken, die dann nur Enttäuschungen hervorrufen.

Entwicklungen zum semantischen Web sind darüber hinaus ein alter Hut, wie Wahlster im Sohn@Sohn-Livetalk unterstreicht:

Im Kern ist das System eine Kopertechnologie, die durch massenhafte Musterkennung lernt, mit Informationen umzugehen, sie zu bewerten und zu ordnen, um daraus neue Aussagen zu generieren. ChatGPT ist also eher eine lernende und sich selbst verbessernde Remix-Maschine, die nützliche Rekombinationen ausspuckt. Entscheidend ist dann immer noch die Intelligenz des Eingebenden. Schlechte Eingabeaufforderungen (Prompts) erzeugen schlechte Ausgaben.

Muss es also ein Verbot von generativer KI in kreativen Berufen geben, wie es in Hollywood gerade diskutiert wird? Oder eine Kennzeichnungspflicht? Das erinnert ein wenig an die Schlachten der Verlage beim Urheberrecht, was in der Regel aber gar nichts mit dem Urheber zu tun hatte und hat:

Collagetechnik, Kombinatorik und Imitation waren schon immer wichtige Vorgehensweisen in Kunst und Kultur. Hellmuth Karasek schrieb 1990 in einem Spiegel-Artikel, dass die Montage von Fundstücken zu den häufigsten Kunsttechniken zählt: Walter Kempowski, Georg Büchner, Thomas Mann, Alfred Döblin, Arno Schmidt, Joseph Roth, Peter Weiss oder Karl Kraus: Sie alle haben abgeschrieben und dazu das Abgespickte zwecks Tarnung auch noch leicht redigiert.  „Alle haben sie plagiiert, spätestens seit Büchner mit 23 Jahren mitten in der Sünde des Abschreibens starb, der in seinen ‚Woyzeck‘ teilweise wörtlich zwei gerichtsmedizinische Gutachten einarbeitete und in seinem Stück ‚Dantons Tod‘ wörtlich Redeprotokolle der Französischen Revolution zitierte. Ohne Quellenangabe“, so Karasek. Viele Erzähler, Maler, Musiker der Moderne seien nicht Erfinder, sondern Finder. Und das gelte nicht erst für die Moderne. Shakespeare etwa war so ein Ausplünderer, sein ‚Hamlet‘ wäre heute vor einem Plagiatsprozess nicht sicher.

Der große österreichische Volksdramatiker Johann Nepomuk Nestroy habe keines seiner über 80 Stücke selber erfunden – es sind meist Bearbeitungen französischer Possen, deren Plot er ungeniert übernahm.  Auch Walter Kempowski war ein Sammler, ein Kompilator, ein Zusammenträger von Fundstücken „und hat daraus nie ein Hehl gemacht. Im Gegenteil. Er hat über seine Methode stets bereitwillig Auskunft gegeben, hat seine Interview-Collagen mit den TV-Film-Collagen seines Freundes und Verfilmers Eberhard Fechner verglichen: Aufzeichnungskünste einer neuen Volkskunde. Folgerichtig ist Kempowski von der Literatur-Kritik auch als ‚Zettelkasten‘-Literat, als eifriger Jäger und Sammler, als Museumsdirektor einer literarischen Ausstellung beschrieben worden“, führt Karasek aus.

Nur mit dieser Arbeitsmethodik konnte das kollektive Tagebuchprojekt „Echolot“ entstehen. Jörg Drews stellte zurecht fest, Kempowski erfülle das Vermächtnis Walter Benjamins, der sich seine Pariser Passagen als pure Montage von Zitaten gedacht hatte, die so sprechend zu arrangieren seien, dass der Kommentar des Autors überflüssig werde.  Auch in der Wirtschaft sind die Kopisten, Kombinierer, Plagiatoren und Imitatoren eine unverzichtbare Quelle des Fortschritts und Wohlstandes.

Besonders die deutsche Industrie, die heute mit dem Patentrecht weltweit gegen die Konkurrenz zu Felde zieht, konnte ihre Rückständigkeit Ende des 19. Jahrhundert durch kluge Imitation kompensieren.  „Wie heute die Chinesen haben damals deutsche Maschinenbauer ausländische Erfolgsmodelle in großem Stil eingekauft: Sie zerlegten die Maschinen in England und bauten sie im Siegerland oder im Schwäbischen neu auf. Durchs Nachmachen zu Erfahrung gekommen, haben die Deutschen sodann ihre Maschinen billig ins Ausland verkauft“, so der FAZ-Redakteur Rainer Hank. Er verweist auf ein besonders dreistes Kopistenwerk in Solingen. Dort wurden minderwertige Messer aus Gusseisen hergestellt und mit dem Stempelaufdruck „Sheffield“ veredelt – das galt damals als Markenzeichen der englischen Messerproduktion. „Ironie der Geschichte: Als Abwehrmaßnahme zwang England Deutschland das Label ‚Made in Germany‘ auf, damit man die mindere Ware erkennen sollte. Aber den Deutschen gelang es, das Stigma zum Qualitätssiegel umzuschmieden“, so Hank. Soviel zum Thema Kennzeichnungspflichten.

Juristisch vollziehbar ist so eine Pflicht nur sehr schwer und erfreut wieder die Abmahnindustrie.

Siehe auch den Social-Media-Schnack von Thorsten Ising und Frank Michna: Tech-Giganten wollen KI-Inhalte zukünftig per Wasserzeichen kennzeichnen

Amazon, Google, Meta, Microsoft, OpenAI und andere KI-Unternehmen haben jetzt der US-Regierung versprochen, ihre KI-Systeme besser vor Missbrauch zu schützen.Die relative Freiwilligkeit kommt damit einer gesetzlichen Regelung zuvor. Die Zusicherung sei ein relevanter Schritt auf dem Weg zur Entwicklung verantwortungsvoller KI, erklärten Vertreter verschiedener US-Unternehmen am vergangenen Freitag in Washington.Die Konzerne haben sich verpflichtet, eine umfassende Regelung zu schaffen, die es Verbrauchern erleichtern soll, KI-generierte Inhalte zu erkennen. Auf EU-Ebene wird derzeit ebenfalls eine weitgehende Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Inhalte im Rahmen des umfassenden »AI Act« diskutiert. Link zum Beitrag: https://www.spiegel.de/netzwelt/web/amazon-google-und-co-techunternehmen-sagen-kennzeichnung-von-ki-generierten-inhalten-zu-a-fdd59a51-1e7c-445c-9eb8-5adb1cb5be8a

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Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

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