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Demoskopen, Politstrategen und die Methoden des Wahlkampfes

Löwen

Moderner Wahlkampf, das ist mittlerweile ein aggressives High-Tech-Geschäft mit hohem Tempo und hohem Risiko für das Politikmanagement. Die politische Kommunikation wird in sogenannten „War Room’s“ der Wahlkampfzentralen geplant und gesteuert. Beim Gerangel um Einfluss und Entscheidungen steuern die politischen Macher die Kampagnen, um Menschen und Medien für ihre Sache zu mobilisieren. Echte Schlagkraft wird in der Polit-Profi-Szene in „K“ gemessen: Kampagnefähigkeit. Längst glaubt ja keiner mehr daran, dass sich Politiker, Politikerinnen und Organisationen wie Waschmittel nur mit bunten Bildern und Wort-Seifenblasen glaubwürdig verkaufen lassen. Zu groß ist das Misstrauen der Wähler, zu hart vor allem die Konkurrenz wechselnder Themen und Trends, mit der das Publikum nicht nur informiert, sondern auch unterhalten werden will, zu schnell der Nachrichten-Rhythmus.

Wer nicht nur ratlos zusehen will, wie andere täglich eine neue Sau durchs Dorf treiben, der muss eben kampagnefähig sein. Man muss seine Truppen ordnen und zur strikten kommunikativen Disziplin verdonnern, Kampffronten und Themendiskussionen strategisch planen, auch bei Störfeuer und Meuterei in den eigenen Reihen konsequent durchmarschieren und Scharmützel nur taktisch einsetzen, wenn sie dem strategischen Ziel dienen.

Vor allem in Wahljahren ist die Meinungsforschung für die Politstrategen nicht mehr wegzudenken. Je mehr Wahlen im Ergebnis neben fest gefügten Strukturen auch von der Beweglichkeit einer größeren Wählergruppe abhängen, desto spannender werden sie, desto genauer betrachten die Parteien die Ergebnisse der Wahlforschung, desto größer wird der Einfluss der Meinungsforschung. Der Wähler ist unberechenbarer geworden. Seit Jahren diagnostizieren Sozialforscher das Aufbrechen fester Sozialmilieus, eine nachlassende Parteiidentifikation, eine gestiegene und weiter steigende Zahl von Wechselwählern. Dies alles lässt Machtwechsel wahrscheinlicher erscheinen als früher.

Umso größer ist das Verlangen nach in regelmäßigen Intervallen erhobenen Daten darüber, was der repräsentative Querschnitt der Bevölkerung denkt, wünscht und missbilligt. Das direkte Wechselspiel von politisch Handelnden und Wahlvolk gewinnt an Bedeutung, Mittlerinstanzen wie Parteien und Parlament rücken in die zweite Reihe. Kandidaten dominieren gegenüber Parteien und das Image des Spitzenpolitikers gegenüber programmatischen Aussagen. Professionelle Berater entwerfen Strategien und steuern Kampagnen, um Wechselwähler zu mobilisieren und zu gewinnen.

Die Herausforderungen für die Wahlkampfstrategen sind gewachsen – angesichts eines Wahlvolkes, das zunehmend erst kurz vor dem Wahltermin eine Entscheidung trifft.

Jedes politische Lager, das die wichtigsten Leitmedien auf seiner Seite hat, kann ihre Strategie in erster Linie auf die Medienwirksamkeit konzentrieren. Die Gefahr einer gegen sie gerichteten Schweigespirale besteht für sie nicht.

Ganz anders ist die Lage derjenigen politischen Strömung, die den Medientenor gegen sich hat. Sie muss eine Strategie entwickeln, die sich ausdrücklich auf Meinungsführer und persönliche Kommunikation stützt. Sie muss – falls ihr Stab kraftvoll genug ist – früher mit dem Wahlkampf einsetzen.

In Wahlkämpfen setzen die Politstrategen allerdings nicht nur auf Umfragen, Veranstaltungen und bunte Plakate.

Immer mehr gehört es zur gängigen Praxis, sich auf Veranstaltungen des Gegners herumzutreiben und Daten zu sammeln, um daraus jeden Lapsus bei Gelegenheit aufrufen und an Journalisten füttern zu können. Da wird gezeigt, wie man politische Inhalte in Gewinner- und Verliererthemen sortiert, sie reduziert, popularisiert und polarisiert. Wie man als genervter Wahlkampfmanager seinen Boss, der sich törichterweise als „Sachpolitiker“ sieht, für Foto- und TV-Kameras geschickt als volksnahen Sympathieträger inszeniert. Wie man Bettelbriefe aufrüttelnd durchkomponiert, um der eigenen Anhängerschaft Geldspenden aus dem Portemonnaie zu ziehen. Diesem Fachgebiet, für das die deutsche Sprache nur das martialisch klingende Wort „Gegnerbeobachtung“ übrig hat, geht es um die kontinuierliche Beobachtung der Stärken und Schwächen des Konkurrenten, um diese für die eigene Kampagne nutzbar zu machen. Die politischen Berater fassen ihre Erkenntnisse in einem „Drehbuch der Gegenseite“ zusammen. Mit möglichst realistischen Szenarien gegnerischer Aktivitäten will man Angriffspunkte finden, eigene Defizite sowie Schwachstellen frühzeitig erkennen und Gegenmaßnahmen planen.

Bei aller Notwendigkeit für modernes Politmarketing besteht die Gefahr, das man den Wählerinnen und Wähler zu Politikkonsumenten degradiert und Spitzenpolitiker zur reinen Darstellungspolitik animiert: Klare politische Entscheidungen bleiben auf der Strecke. Doch wäre es zu einfach, die Verantwortung für die multimediale Politshow auf die Umfrageforscher abzuwälzen, vorausgesetzt sie arbeiten methodisch korrekt und manipulieren keine Daten. Schließlich müssen die Politiker und ihre “Spin Doctors” selbst entscheiden, ob sie angesichts des vermehrten Wissens über die Wünsche und Ängste der Bevölkerung ihren Politikstil hin zum Populismus wandeln wollen und so zu Abhängigen öffentlicher Tageslaunen werden.

Klingt wie eine Analyse des jüngsten Präsidentschaftswahlkampfes in den USA. Dat Stück hab ich vor knapp 20 Jahren geschrieben. So neu ist das alles nicht 😉

Siehe auch:
Liebe Meinungsforscher, Analysten und Korrespondenten: Schämt euch

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

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