
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) feiert sein 60-jähriges Bestehen. “Pünktlich zum Jubiläum erlebt das einflussreiche Gremium ein Comeback – und die weiteren Perspektiven sind vielversprechend, meint der Wirtschaftshistoriker Dr. Lino Wehrheim, Autor eines Buchs über die Geschichte der Wirtschaftsweisen”, schreibt der Merkur.
Wie die historische Perspektive zeige, liegt seine öffentliche Resonanz annähernd auf dem Niveau der Anfangsjahre, als der Rat viel Aufmerksamkeit und ein hohes Ansehen genoss, schreibt Wehrheim in dem Gastbeitrag für Merkur.
“Worauf lässt sich das aktuelle Comeback zurückführen? Eine naheliegende Erklärung liegt auf der Nachfrageseite: Pandemie, Ukraine-Krieg und eine gestiegene wirtschaftspolitische Unsicherheit haben den Bedarf an ökonomischer Expertise erhöht. Eine weitere könnte darin bestehen, dass sich offenbar das Selbstverständnis des Rates gewandelt hat”, betont Wehrheim.
Die aktuellen Mitglieder würden sich eher als pragmatische Berater verstehen. Weit entfernt von ordnungspolitischer Belehrung. “Neben einer diverseren Besetzung (Frauenanteil, Internationalität) und einem modernen Kommunikationsstil hat sich der SVR damit im positiven Sinne dem Zeitgeist angepasst, was zuletzt nicht nur für Erregung in konservativen Kreisen sorgte (Stichwort: Energiesoli), sondern auch für das erste Jahresgutachten ohne Minderheitsvotum seit Langem. Dabei ist dieser eher pragmatische, politiknahe Stil nicht völlig neu, ähnliches lässt sich auch für die Zeit des ersten Comebacks um das Jahr 2000 und, mit Abstrichen, für die Anfangszeit feststellen”, erläutert der Wirtschaftshistoriker.
In unserem Utopieband #KönigVonDeutschland äußerte sich der jetzige Wuppertaler Oberbürgermeister kritisch über die Rolle des Sachverständigenrats:
Was generell fehlt, sei eine Ökonomie, die spannende und richtige Fragen stellt: „Das ist der Grund, warum ich gerne an die Uni gehe, weil ich merke: Wow, die behandeln da genau die richtigen Themen, die gesellschaftlich relevant sind. Von dorther wird man dann sehen, dass die Ökonomie automatisch pluraler und sehr viel interdisziplinärer sein muss. Etwa beim digitalen Wandel. Das bekommt man nur in den Griff, wenn ich auch ein technologisches Verständnis habe, wenn ich mich mit den sozialen, gesellschaftlichen, kulturellen Dynamiken auseinandersetze. Dadurch wird das also sehr viel multidisziplinärer und es findet idealerweise auch ein ganz intensiver Austausch mit Leuten statt, die diese Prozesse gestalten. Plötzlich kommen auch Unternehmen und Unternehmer gerne in Unis, um mitzudiskutieren, weil sie merken: Das hilft ihnen.“
Das sei heute alles nicht gegeben, weil sich das Fach nur über seine Methode definiert.
„Du kannst heute Karriere in dem Fach machen, wenn du die irrelevantesten Fragen ökonomisch sauber behandelst“, kritisierte der ehemalige Präsident des Wuppertal-Instituts. Da gebe es keine Inspiration – beispielsweise für die Politik.
„Wenn die Merkel den Sachverständigenrat weglächelt, weil sie sagt: Hey, das kann ich sowieso gleich in die Kiste schmeißen, weil es mir für meine Wirtschaftspolitik keine Orientierung gibt. Und wenn du einen Management-Praktiker fragst, wann er zum letzten Mal aus der Management-Lehre der BWL-Fakultäten einen Impuls bekommen hat, dann muss der ganz lange überlegen, wenn ihm überhaupt irgend etwas einfällt. Diese komplette Inspirationslosigkeit des Faches kann ich nur dadurch drehen, indem ich wieder die richtigen Fragen stelle. Dann ergibt sich der Rest von selbst“, sagt Schneidewind.
Es sei ja schon fast eine paradoxe Situation, dass die kritische Ökonomie, die das bestehende System hinterfragt, heute eher an privaten Hochschulgründungen gedeiht als an den staatlichen. Das sollte so nicht sein, moniert Schneidewind. Was wir ökonomisch erleben, müsse kritisch hinterfragt werden.
„Dafür hat man staatliche Universitäten gegründet, damit es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gibt, die frei von ökonomischen Zwängen das System in Frage stellen können. Es ist eine verkehrte Welt: Die staatlichen Häuser legitimieren das weiter und die kritischen Impulse kommen aus privaten Uni-Gründungen.“
Nachzulesen in dem Utopie-Band, erschienen im Klingen-Verlag in Solingen.
Im Laufe der Jahre hat sich mein Bild vom Sachverständigenrat wieder deutlich gebessert, wie auch die Interviews mit den Wirtschaftsweisen untermauern. Hier ein paar Beispiele. Ansonsten einfach Sachverständigrat im Suchfeld von ichsagmal.com eingeben.
Professor Lars Feld über Trickle up und Wirtschafts-Leistung