Cebit auf IT-Vertriebsniveau, so beschrieb ich die ehemals weltgrößte Computermesse vor zwei Jahren. Auf der Cebit waren eine Menge IT-Heizdecken-Verkäufer unterwegs, die ihre Hardware und Software mit hohlen Sprüchen unters Volk brachten. Das trieb mich schon vor zehn oder fünfzehn Jahren auf die Palme: Da wurden Prozesse optimiert, CRM-Kanäle strukturiert, Effizienzpotenziale aufpoliert und die IT-Sicherheit fokussiert. Immer stand der Kunde im Mittelpunkt als König, Kaiser oder Papst.
Leads generieren und Lieder singen – würg
Am Ende des Messetages wurden dann noch die Lead-Champions in Corporate-wir-sind-die-Größten-Songs abgefeiert, um danach dem Fachpublikum wieder dümmliche IT-Weisheiten aus den 1990er Jahren an den Kopf zu feuern. Alles natürlich in disruptiv-digital-transformatischer Verpackung, schließlich sah man sich als Avantgarde der kommenden Gigabit-Gesellschaft, die durch den schleppenden Breitbandausbau allerdings erst in einigen hundert Jahren zum Vorschein kommen wird.
Es reicht nicht aus, von Wandel, Disruption, Uber, Airbnb oder digitaler Transformation zu faseln, ohne in seinem eigenen Arbeitsleben einen Hauch von digitaler Expertise zu bieten. In Wahrheit verweigern sich die meisten IT-Mänäscher, sich auf Neues einzulassen.
Noobs an den Messeständen
„Es ist ein Widerstreben, etwas zu erreichen, was mit den herkömmlichen Methoden nicht erreichbar ist (wenn es überhaupt anerkannt wird, dass dies so sein muss). Es ist die Angst, dort anzupacken, wo man als Noob anfangen muss, ohne mit hundert Jahren Erfahrung protzen zu können. Wer glaubt, das Digitalisieren mal eben so als Projekt abfackeln zu können, ist ein Noob (schnell googeln: a person who is inexperienced in a particular sphere or activity, especially computing or the use of the internet)“, so der frühere IBMer Günter Dueck.
IT-Technokraten mit Abschreckungspotenzial
Die IT-Branche operiert nach Ansicht des Marketingexperten Wolf Hirschmann immer noch nach dem Motto „Fachidiot schlägt Kunde tot“:
„Man geht mit technokratischen Botschaften nach draußen, ohne einen Wissenstransfer zu leisten.“
Man verharrt mit einem digitalen Anstrich auf dem Level von Blech, Steckern, Servern, Bits und Bytes.
„Die IT-Industrie denkt nicht weit genug“, kritisiert Hirschmann in einem Fachgespräch beim Campus Mittelstand.
Sie denkt schon gar nicht in neuen digitalen Ökosystemen oder Geschäftsmodellen. Die Referenzqualität des IT-Vertriebs ist eher bescheiden.
Für Professor Lutz Becker, Studiendekan der Hochschule Fresenius, war der Cebit-Besuch entsprechend ernüchternd. Nicht verbundene Inseln (Besipiel: Chinesen bleiben unter Chinesen), wenig echte Innovationen und Nutzeroberflächen, die auf 4K-Bildschirmen im Stil der 1980er Jahr daherkommen:
„Die Cebit erzählt als Ganzes keine Geschichten und für Kunden fehlt der rote Faden.“
Digitale Spielplätze schaffen
Wie man Unternehmern Zugänge zur Digitalisierung verschafft, demonstrierte auf der Cebit Christoph Krause vom Kompetenzzentrum digitales Handwerk, in dem Spielplätze zum Experimentieren entstehen, bei denen etwa Zahnärzte mit den Daten aus den Mündern ihrer Patienten direkt auf eigenen 3D-Druckern die notwendigen Implantate produzieren:
„Man muss in den Unternehmen die Welt bunter machen und die Rebellen in der eigenen Organisation unterstützen“, so das Credo von Krause.
Ähnliches gilt für die Cebit. Bunter, offener, kontroverser und digitaler muss es zugehen – ohne IT-Prozess-Schwafelei. In diesem Jahr beim Cebit Business-Festival sah man einen radikalen Wechsel in die richtige Richtung. Jetzt den Stecker zu ziehen, ist peinlich und falsch. Oder in den Worten von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier:
“Wo wir überall reden über die größte Herausforderung unserer Generation wäre es eine Dummheit sondergleichen, wenn wir die Cebit nicht bewahren.”
Die Digitalthemen in Fachmessen aufgehen zu lassen, ist Rechtfertigungsgesäusel. Nicht sehr glaubwürdig. Die re:publica sollte das übernehmen.
Siehe auch:
Warum die Cebit eingestellt wurde
Aus für die Cebit: Die IT-Messe wird eingestellt
Tatortreiniger Cebit: Wir haben es gewusst und unsere Spuren beseitigt …