
Foto von Thomas Kuhn auf Facebook
Gestern war die Berichterstattung des WDR über die aufziehende Sturmfront über NRW wohl kein Ruhmesblatt. Wichtig ist sicherlich die Aufarbeitung der Folgen mit Liveblog und allem was dazu gehört. Noch wichtiger ist die Warnung, die Vorbereitung der Menschen auf das, was auf sie zukommt. Schaut man sich den Twitter-Account von WDR2 an, kommen mir Zweifel.
Der erste Tweet, der die Bezeichnung “Unwetterwarnung” verdient, kam um 20:29 Uhr. In Bonn waren die ersten Stürme schon in vollem Gange und wir sicherten rein intuitiv alles Bewegliche am Haus und im Garten. Danach überschlugen sich die Live-Berichte des WDR – über die Folgen.
Kachelmann veröffentlichte eine deftige Warnung bereits gestern Vormittag:
“Achtung, Unwettergedöns im Westen/Nordwesten wahrscheinlich. Einzelne Hitzegewitter heute vor allem über den Mittelgebirgen und Alpen – ABER: Hauptgefahr heute spätnachmittags/abends/nachts überall, wo Belgien und die Niederlande nahe sind (NRW, Niedersachsen): Dort besteht die Gefahr von wirklich groben Unwettern mit Hagel, orkanartigen Böen und Gedöns, auch tornadische Bemühungen sind aufgrund der Wetterlage denkbar. Nicht in Gewitter reinfahren ohne zu wissen, was das für ein Gewitter ist. Die Gewitter von heute Abend verstehen keinen Spass und es ist nicht notwendig, einen Blödtod zu sterben, nur weil man im falschen Moment einen Ast auf Auto oder Kopf bekommt. Ich werde hier online sein, solange es doof ist.”
Entsprechend erzürnt reagiert Jörg Kachelmann in einem Blogpost mit der provokativen Forderung: Fünf Tote und der WDR – Treten Sie zurück, Tom Buhrow.
Er dokumentiert den gestrigen Ablauf und gleicht sie mit den Tweets von WDR2 ab. Als sich nach 19 Uhr über Belgien und den Niederlanden eine zusammenhängende Unwetterlinie gebildet hatte und der Raum Aachen und das Hohe Venn von Orkanböen getroffen wurde, setzte WDR2 einr Botschaft über Entenhausen ab.
Wo war gestern der Live-Ticker? Gab es einen Liveblog wie ihn WDR1 heute über die Unwetterfolgen anbietet?
Warum ist kein redaktioneller Krisenstab gebildet worden? Warum bereitet man so eine Sache nicht mit Echtzeit-Kommunikation vor via Twitter, Facebook, Youtube und Livestreaming?
Warum sind redaktionelle Team gestern nicht schon tagsüber ausgeschwärmt, um die Unwetterfront zu beobachten? Ich bin jetzt kein Wetterexperte, aber so einiges würde mir schon einfallen, was in Echtzeit ohne großen Aufwand mit Smartphone oder Tablet machbar ist. Kachelmann hat recht:
“Die Wetterlage hätte frühzeitig in Hörfunk und Fernsehen journalistisch aufbereitet werden müssen.”
Würde das gerne morgen, um 11 Uhr in Bloggercamp.tv aufarbeiten. Wer dazu Lust und Zeit hat, fühle sich hiermit eingeladen, um mit mir darüber zu diskutieren. Live und ohne doppelten Boden via Hangout on Air.
Siehe auch:
Sechs Tote nach Unwetter in Nordrhein-Westfalen.
Das Unwetter, Kachelmann, der WDR — und der Fluch der Routine.
Hat dies auf http://www.ne-na.de rebloggt.
Was an Echtzeit-Berichterstattung möglich ist, thematisierte im vergangenen Jahr der Besser Online-Kongress des DJV: Stichwort Video-Journalismus und Mobile Reporting: Etwa die Oneshot-Videos des freien WDR-Reporters Kai Rüsberg. Nachrichtenfilme mit einer Länge von 30 Sekunden kann man heute auch mit dem Smartphone produzieren. Beim Arabischen Frühling ist das deutlich geworden. Das aktuelle Ereignis schlägt die Qualität, die man nur mit einem teuren Equipment hinbekommt.
Rüsberg versucht eine Bildsprache zu entwickeln, die man mit mobilen Geräten spontan produzieren kann. Vorne schneiden, hinten schneiden und rein ins Netz. Man drückt einfach die Pause-Taste, um neue Videoeinstellungen zu drehen und spart sich damit eine aufwendige Nachbearbeitung. Das sei die einfachste Technik, die man noch vom Kassettenrekorder kennt beim Mitschnitt von Musikprogrammen im Radio, so Rüsberg.
Wegweisend ist das von Christian Radler vorgestellte Pilotprojekt der „Handyreporter-App“, die für die ARD-Sendeanstalten entwickelt wurde. Das Programm wurde in der Tagesschau-App als Unterfunktion versteckt und ist nur für die ARD-Reporter zugänglich. Über einen On Air Live-Button öffnet sich automatisch das Videoprogramm von Skype und sendet das Live-Signal auf einen NDR-Server. Vier Livestreams sind parallel möglich, die über iOS- oder Android-Geräte aufgenommen werden können. In der Testphase von Januar bis August wurden rund 900 Videos produziert. Da passiert also noch eine ganze Menge im digitalen Journalismus – übrigens auch mit einer gehackten Google Glass, die der Blogger Tim Pool bei den Protesten im Gezi Park in Istanbul fürs Video-Livestreaming nutzte.
Ha ha, so geht das aber beim WDR nicht. Zuerst muß eine Kostenstelle aufgelegt werden, dann gibt es eine Vorbesichtigung (4 Wochen Vorlauf, da für 25 Personen ein Reisebus gemietet werden muß), dann wird das in die Schichtpläne eingearbeitet und wenn das nicht ghet, muß das doofe Gewitter eben einen Tag warten.
Die Dritten sollten sich daran erinnern, daß sie eigentlich regionale _Fernsehstationen_ sind. Der Verweis des WDR-Statements auf Infos in Videotext, Internet und Twitter ist völlig fehl am Platze. Dies setzt voraus, daß gezielt nach der Unwetterwarnung gesucht wird. Warum soll man das tun, wenn es doch scheinbar keinen Grund dafür gibt? Ein Informationsmedium hat derartige Warnungen _zu_verbreiten_ und nicht “bereit zu stellen”. Das Internet ersetzt nicht bei allen Menschen TV, Radio und Sirene. Vom Ausfall eines Internet-Knotens abgesehen, es gibt es auch junge Menschen, die ohne derartige Technik leben können. Es ist schade, daß durch das Satelliten-TV keine bessere Regionalisierung mehr möglich ist. Das war früher tatsächlich besser. Fakt ist, daß derartige Warnungen nicht als Randnotiz in eine feste Nachrichtensendung gehören, sondern als Laufband permanent sichtbar sein müssen. Im Radio gehören sie in den Verkehrsfunk. Ob das Aufgabe des WDR ist, oder das Krisenzentrum NRW (oder wie die Truppe in NRW auch immer heißt) Zugriff auf die Sendetechnik von Regionalsendern und Telefongesellschaften haben sollte ( da gabs doch mal ein Projekt von eMessage? ), muß schnellstmöglich geklärt werden. Ein Fernsehsender darf natürlich nicht auf eigene Faust die Bevölkerung verrückt machen. Hier hätte das Krisenzentrum im Vorfeld die Wetterdaten auswerten und die drohende Gefahr erkennen müssen. Dies klappt auch bei uns nicht. Während kleine FFW vorsorglich mit ner Kiste Bier ihre Spritzenhäuser besetzen, wird in unserer Rettungsleitstelle keiner der Reserveplätze aktiviert, obwohl deutlich abzusehen ist, daß es in der nächsten Stunde hunderte abzuarbeitende Notrufe geben wird.
Hat Herr Kachelmann eigentlich den WDR auf das Unwetter per Fax oder Mail hingewiesen oder auch nur besserwissend in seinem Blog gepostet? Er hat sehr drastische Worte gewählt, aber ohne diese wäre diese (äußerst wichtige) Diskussion wohl nicht in Gang gekommen. Es wird deutlich, daß keiner der Verantwortlichen bei TV und Krisenstab den Ernst der Lage erkannt hat. Vielleicht hätten die ja mal im Internet nachsehen sollen…
Es ging darum, Vorkehrungen zu treffen, über alle verfügbaren Mittel in Echtzeit zu berichten über den normalen Wetterbericht hinaus. Neben TV und Hörfunk. Das könnte man ohne großen Aufwand machen. Kachelmann ging sicherlich davon aus, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk das Thema entsprechend aufbereitet. Aus seiner Reaktion erkennt man, dass er von der WDR-Berichterstattung überrascht war. Also ist es ziemlich idiotisch den Spieß umzudrehen. Und wer benutzt eigentlich noch Fax-Geräte?