Ernährung als Glaubensfrage

panoramaEigentlich wollte Sandra Maischberger in ihrer Talkrunde „die größten Ernährungslügen“ mit Hilfe von Spitzenköchen, Verbraucherschützern und einer Vertreterin der Lebensmittelindustrie aufdecken. Herausgekommen ist die übliche Brühe an Verdächtigungen gegen die Lebensmittelindustrie und wissenschaftlich höchst zweifelhafte Hypothesen über die Grundsätze gesunder Ernährung. Von Omega-3-Broten bis Anti-Aging-Bier wird der Verbraucher mit zweifelhaften Wunderwirkungen und Zusatznutzen veräppelt.

Einzig der streitbare Lebensmittelchemiker Udo Pollmer setzte den naiven Weisheiten der versammelten „Experten“ etwas Realismus entgegen: „Essen macht satt. Nicht schön oder gesund“, so Pollmer. Ungesund sei Essen nur dann, wenn aus Versehen eine Glasscherbe mit hineingerührt wurde. Bier gegen das Altern, vegetarische Ernährung gegen Krebserkrankungen und sonstige Mythen seien hochgradiger Quatsch. So bestehe der „ernährungsphysiologisch so wertvolle“ Kopfsalat zu 95 Prozent schlichtweg aus Wasser und zu 2 Prozent Zellulose. „Packen Sie ein Taschentuch in ein Glas Wasser, dann kommen Sie schon ungefähr auf diesen Wert“, so Pollmer. „Mit einer 100-Gramm-Portion nimmt man phantastische 1,52 Gramm Eiweiß, 1,10 Gramm Kohlenhydrate sowie geschlagene 1,52 Gramm Ballaststoffe zu sich. Dafür ist er mit 0,22 Gramm Fett ziemlich mager. Da schlagen Ernähungsberaterherzen doch gleich höher“, so Pollmer.

Die Vitamine könne man im Salat mit der Lupe suchen: „Was, Sie finden immer noch nix? Es braucht wohl besonders empfindlich Analysemethoden, um des Vitamins C habhaft zu werden. Ansonsten duckt es sich gern unter die Nachweisgrenze“, erklärt Pollmer. Anders verhält es sich mit Nitrat. Da komme man auf 250 Milligramm. Nitrat liege deutlich vor Chlorid, Phosphor und Calcium. Und wenn der Bauer ordentlich dünkt, könne es schon mal das Doppelte sein. Dann kommen noch hormonelle Wirkstoffe hinzu. „Der Salat im alten Griechenland hieß bei Pythagoräern nicht ohne Grund Eunuchenkraut“, sagte Pollmer in der Sendung.
All das konnte die Schauspielerin Marion Kracht als „Ernährungsexpertin“ nur schlecht verdauen. Die bekennende Vegetarierin konterte schlicht und einfach: Sie könne das von Pollmer Gesagte nicht glauben. Na ja, der Glaube versetzt Berge und irgendwie müssen die Anbieter von super-gesundem Obst und Gemüse auch ihr Geschäft machen.

Buchtipp:
Pollmer

Genmais-Anbau gestoppt – Ist die Mutationszüchtung besser?

Nach einem Bericht von Spiegel-Online darf Genmais in Deutschland nicht mehr angepflanzt werden. Das dürfte die Gegner der Gentechnik in Begeisterungsstürme versetzen. Den Tenor der Gentechnik-Kritiker hat Babykost-Unternehmer Claus Hipp vorgegeben: „Es gibt viele Gründe: Die Folgen sind nicht abzuschätzen, konventionelle Pflanzen können beeinflusst werden. Wir brauchen gentechnisch veränderte Produkte nicht, um große Mengen herzustellen…. Außerdem ist es historisch gesehen völlig absurd: In den vergangenen 150 Jahren hat der Mensch dramatische Veränderungen im Boden verursacht, die den Pflanzen Probleme bereiten. Doch statt den Boden in den natürlichen Zustand zurückzuversetzen, verändert man nun die Pflanzen, damit sie mit den Veränderungen im Boden zurechtkommen. Das ist doch der völlig falsche Weg.“ Was der gute Mann verschweigt: Alleine in den letzten 50 Jahren kamen rund drei Milliarden Menschen zur Erdbevölkerung hinzu. Die „grüne Revolution“ der 1960er-Jahre mit ihren neuen Pflanzensorten, intensiven Anbaumethoden und gewaltigen Ertragssteigerungen verhinderte, dass viele davon verhungerten. Der Vater der grünen Revolution, der Agrar-Spezialist Normann Borlaug, erhielt dafür den Friedens-Nobelpreis. Mit den von Hipp favorisierten landwirtschaftlichen Methoden wären bereits in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts hunderte von Millionen Menschen verhungert.

Lesenswertes Buch, vor allem das Kapitel "Gentechnik: Was Kritiker und Befürworter verschweigen", S. 274 ff.
Der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer plädiert deshalb für eine nüchterne Betrachtung der Gentechnik. Er gibt zu bedenken, dass für die Züchtung der „natürlichen Pflanzensorten“, die von den Biobauern eingesetzt werden, durch Strahlung oder Chemikalien das Erbgut massiv verändert wird. Und sogar stärker als es bei präzisen gentechnischen Eingriffen der Fall ist. Und er weist darauf hin, dass das gefürchtete „Bt-Toxin“, mit dem sich gentechnisch veränderter Mais gegen Schädlinge wehrt, im Bio-Landbau direkt auf die Pflanzen aufgebracht wird. „Niemand will wissen, wie vor der Gentechnik gezüchtet wurde. Etwa die Mutationszüchtung: Da wurde ein Sack Getreide ins Atomkraftwerk gefahren und bestrahlt, damit Missbildungen entstanden. Davon waren vielleicht zwei Pflanzen zu gebrauchen. Sie wurden dann in normale Sorten eingezüchtet. Das waren künstliche Gene aus der Atomwirtschaft. So wurden alle Nutzpflanzen verändert. Ohne Gentechnik kehrt die Mutationszüchtung zurück. Sie ist zwar aufwändiger für die Saatindustrie – aber weil es keinerlei rechtlichen Rahmen gibt, muss man keine Experimente mit Ratten durchführen und hunderte von Ordnern anlegen, damit hinterher ein Beamter seinen Stempel anbringt. Die Atomwirtschaft hat sich bei den Kritikern bedankt für ihren Widerstand gegen die Gentechnik. Auch normale Kreuzungen können gefährlich sein. Es muss für alle Züchtungsmethoden vergleichbare Maßstäbe geben – nicht nur für die Gentechnik“, so Pollmer.

Es geht bei der ganzen Debatte wohl eher um die gefühlte Gefährlichkeit, die „Angst der Verbraucher“, um Glaubensbekenntnisse und Halbwahrheiten mit abgelaufenen Haltbarkeitsdatum. Wie heißt es so schön auf der Homepage von Herrn Hipp: „Wenn es um die Gesundheit unserer Kleinsten geht, sehen wir keinen Platz für Kompromisse. Dafür stehe ich mit meinem Namen.“