
Alltag im Angestelltenkäfig
ichsagmal.com-Sommerinterview mit Lydia Krüger, Jahrgang 1972, Studium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation (HdK Berlin), Master Communications Managment (USI Lugano), TV-Redakteurin, PR-Beraterin, zuletzt Pressesprecherin und Leiterin Unternehmenskommunikation bei einer großen Versicherung. Sie bloggt auf Büronymus.de über die menschliche Seite der Arbeit und entwickelt und verlegt satirische Spiele mit ihrem Fonski-Verlag.
Sie schreibt gerade ein Buch darüber, wie sie eine Hierarchie-Organisation überlebt hat
Titel: HORGs* sind tot – sie wissen es nur noch nicht (*Hierarchie-Organisationen)
Ihr Thesen für das Sommerinterview am Mittwoch, den 17. August um 10 Uhr:
- Viele Unternehmen in Deutschland sind in ihrer Unternehmenskultur/Führungskultur in den 50er Jahren steckengeblieben, insbesondere hierarchische Organisationen wie Konzerne, Institutionen, Behörden. („HORGs“)
– Da helfen auch Lippenbekenntnisse (Vision, Leitbild) nichts – genauso wenig wie das blinde und mechanistische Umsetzen neumodischer Konzepte (Führungskraft als Coach, laterale Führung, das Mäuse-Prinzip o. ä. Quatsch).
2. HORGs haben starke Ähnlichkeiten zum DDR-System (oder irgendeinem anderen repressiven System) – mit denselben Auswirkungen auf die Psyche.
3. HORGs machen Menschen krank. Oder um es anders auszudrücken: Als gesunder Mensch hat man es schwer in einem solchen Biotop. Also wird man krank. Erst leidet die Psyche unter den ständigen inneren Konflikten (gesunder Menschenverstand vs. Realität in der HORG, „Businesstheater“), später kommen ggf. körperliche Krankheiten dazu. Es wird viel zu viel von außen auf die Menschen geschaut und viel zu wenig darauf, was dieses Systeme mit ihnen machen. Deshlab blogge ich auf Büronymus.de über „die menschliche Seite der Arbeit“.
4. HORGs sind ineffektiv.
Eine Firma, die eine Person abstellt, um Deckblätter für die Prozessbeschreibungen zu basteln, hat sie nicht mehr alle. Ich wundere mich immer, wie lange solche dysfunktionalen Organisationen trotzdem noch bestehen bleiben. Oft ist es nur „too big to fail“. Langfristig sind sie aber zum Scheitern verurteilt.
5. HORGs sterben aus. Denn niemand, der einigermaßen bei Verstand ist, wird sich in Zukunft auf so eine Arbeitswelt einlassen. Oder wie Thomas Sattelberger es in dem Film „Alphabet“ formulierte, sich „in Ketten legen lassen“.
Gründe:
a) Bevormundung & Bürokratie
Junge Leute (oder andere Digital Natives), die im Netz aufgewachsen sind, sind es gewohnt, über alle Infos zu verfügen, sehr viel selbst zu entscheiden und Verantwortung zu übernehmen. Und dann kommen sie in eine Organisation, wo sie erst mal ein Treppenbegehungsseminar absolvieren müssen. Da sagt man ihnen dann, dass sie sich immer schön am Geländer festhalten sollen. Ich denke mir das nicht aus. Da fühlt man sich doch veräppelt. Aber die meinen das ernst. Reinhard K. Sprenger spricht von einer Infantilisierung der Mitarbeiter. Es gibt extrem absurde Situationen und Persönlichkeiten – das nehme ich in meinem Kollegen-Quartett „Kampf der Abteilungen“ auf die Schippe.
b) Arbeitszeiten
– Junge Leute (oder andere Digital Natives) haben gesehen, wie ihre Eltern ihr Leben lang geschuftet haben und dann pünktlich zum Renteneintritt tot umgefallen sind – die wollen das nicht mehr. Die wollen jetzt leben – und die meiste Zeit des Tages verbringen wir nun mal mit Arbeiten. Entweder die Arbeitszeit wird reduziert (Wer sagt eigentlich, dass jeder Job in exakt 40 Wochenstunden zu schaffen ist?)
c) Hierarchie à la „Ich Chef, du nix.“
– Dass da jemand kommen kann ohne Know-how und einem Vorschriften machen darf nur aufgrund seines Status – das erschließt sich nicht für jemanden, der anders aufgewachsen ist.
HORGS haben nur drei Argumente auf ihrer Seite: Geld, Sicherheit, Glamour. Der Glamourfaktor, also der große Name, ist als erstes weg, wenn man merkt, wie spießig es dort zugeht. Ich weiß von einem großen Sportartikelhersteller, der über viele Jahre nicht mal ein Intranet hatte. Oder ein Weltkonzern, der chauvinistisch und frauenfeindlich agiert. Wer tut sich sowas noch an? Sicherheit ist auch nicht mehr das, was es mal war. Bleibt das Geld. Und das ist für viele nicht mehr das stärkste Argument.
Fazit:
Junge Menschen werden abgeschreckt, kreative Menschen werden abgeschreckt, sensible Menschen werden abgeschreckt, Querdenker, Freigeister, Innovatoren. Das sind aber genau die Menschen, die die Unternehmen dringend brauchen. Da klafft eine riesige Lücke zwischen dem, was sie brauchen und dem, was sie anziehen. Sie ziehen nämlich vor allem bequeme Leute an, die es gern sicher, warm und trocken haben und dafür in Kauf nehmen, ihre Persönlichkeit und ihre Kreativität an der Garderobe abgeben zu müssen.
Die Schere geht immer weiter auseinander zwischen Unternehmen, die ganz weit vorne sind (Augenhöhe, Musterbrecher, Holacracy) und denen, die in den 50ern steckengeblieben ist. Angestellte werden mit den Füßen abstimmen.
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Hat dies auf http://www.ne-na.me rebloggt.