
“Wir wollen versuchen, die Kräfte innerhalb und außerhalb der Universitäten zu stärken, die daran arbeiten, dass Wirtschaftswissenschaften nicht hauptsächlich selbstbezüglich in Journal-Aufsätzen versacken, sondern dass sie dazu beitragen, ökonomische und gesellschaftliche Probleme zu lösen. Anders als das bisher der Fall ist”, so Professor Reinhard Pfriem im Utopie-Podcast #KönigvonDeutschland.
Unsere komplette Gesprächsreihe erscheint übrigens in diesem Jahr in Buchform.
Dazu sagte ich zu Pfriem: “Ich erinnere mich an eine Jahrestagung vom Handelsblatt unter dem Titel ‘Ökonomie neu denken’. Damals waren alle bereit zu sagen: Wir müssen uns vom Ideal des homo oeconomicus verabschieden. Wir müssen andere Wege gehen. Es muss eine normative Diskussion geben – also: Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Ich habe den Eindruck, bei den Folgeveranstaltungen von ‘Ökonomie neu denken’ ist davon nicht viel übrig geblieben.”
Antwort von Pfriem: “Das ist richtig. Im Mainstream von Ökonomik, im Mainstream von Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre, ist davon nicht sehr viel übrig geblieben. Aber die ökonomischen und gesellschaftlichen Krisen sind ja nicht vom Tisch. Insofern ist die Frage, wie weit wir es nicht mit einer Konstellation zu tun haben, die der Sozialforscher Wolfgang Streeck auf den Nenner, und auch den Titel, “Gekaufte Zeit” gebracht hat. Die wesentlichen Probleme sind eher aufgeschoben als aufgehoben. Und insofern haben wir bei allen Schwierigkeiten die Hoffnung ja noch nicht aufgegeben, dass aus der Krisensituation heraus tatsächlich doch auch möglich ist, dass neue Lösungen entwickelt und neue Wege gegangen werden.”
Es fehlen mittlerweile Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mit ihrer Form der Wissenschaft relevante gesellschaftliche und politische Debatten anstoßen, moniert Professor Uwe Schneidewind in einem Beitrag für den Sammelband „Transformative Wirtschaftswissenschaft im Kontext nachhaltiger Entwicklung“.
Zu einem ähnlichen Befund gelangt auch Professor Winfried W. Weber:
„Warum geht der Einfluss der Wissenschaftler auf das Management zurück? Die Antwort darauf ist verblüffend einfach. Denn wenn wir Management als Funktion der Organisation sehen, das Differenzen verstärkt oder mindert (viel oder wenig Gewinn, innovative oder inkrementelle Produkte usw.), behält der effektivste Beobachter des Managers (oder der Managerin, gs) den Überblick und kann es beeinflussen. Und dieser Beobachter ist heute eher der Berater als der Wissenschaftler“, erläutert Weber.
Wobei damit nicht die klassischen Berater gemeint sind, sondern eher die „Managementphilosophen“. Und diese Managementdenker brachten und bringen Vielfalt, Paradoxien und Kursabweichungen ins Spiel. Sie entwickeln Thesen und Ansätze, die das Managementwissen voranbringen. „Durch die Verbindung zur Organisationstheorie und zu den Praktikern entwickeln die Managementphilosophen ein Gespür dafür, welche Themen anschlussfähig sind und welche nicht. In diesem Sinne bewirken sie mit ihren Moden eine Pendelbewegung in der Management-Professionalisierung. In sozialen Systemen, die nie ganz verstanden werden, kann es auch nie einen ‚one-best-way‘ geben“, betont Weber.
Innovationen könnten für Unternehmen gerade dann entstehen, wenn sie von Externen auf den blinden Fleck ihres Clusters, ihrer Branche oder ihres Unternehmens aufmerksam gemacht werden.
Das gelingt eben nur mit der nötigen Portion Überraschung und Chaos, die bei den pseudo-rationalen Ökonomen gerade nicht zu erwarten ist. Führungskräfte suchen neue Handlungsalternativen eher in interpretativen Ansätzen. In diesem Kontext sei der chaotische Denkstil mancher Managementdenker dem Praktiker näher als dem Logiker. Und dann kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu:
Ohne das Gespür für das Coole und Neue habe kein Managementphilosoph Zugang zum Top-Management, so Weber: „Managementphilosophen verdienen ihr Geld als Coolhunter, ähnlich wie Cayce Pollard, die Protagonistin in William Gibsons Roman ‚Pattern Recognition‘. Sie versuchen Muster zu erkennen, wo es noch keine gibt. Sie versuchen die Aufmerksamkeit ihrer Kunden auf etwas zu lenken, was es noch gar nicht gibt. Und: Sie versuchen Muster zu gestalten. Die Romanheldin Cayce sowie die Managementphilosophen bewegen sich in Zwischenräumen, in denen noch etwas entstehen ist“, schreibt Weber.
Resümee: Der Einfluss der Wissenschaftler schwindet. Antworten suchen Unternehmen eher bei den Managementphilosophen und da fallen dann altbekannte Namen wie Peter F. Drucker, Hermann Simon und Fredmund Malik.
Nur wo sind die neuen Denkerinnen und Denker der Management-Philosophie? Da erkenne ich nicht viel. Außer vielleicht Protagonisten, die leere Begriffe im Einzelfall-Empirismus absondern: Meinung-Glaube-Esoterik, das ist der Dreiklang heutiger Laber-Rituale. Es wird den Worthülsen irgendein “Spin” eingehaucht, der ihnen nicht nur die ursprünglichen Bedeutung entzieht, sondern sie mit bestimmten Interessen auflädt. Sie werden vereinfacht, in den Fluss bestehender Argumentslinien verwoben, in ihrer Gestalt verändert, weichgekaut oder gar ins Gegenteil verkehrt.
So wird aus dem Management von organisatorischem Wandel ganz schnell eine “Große Transformation” und aus einem unternehmensdemokratisch theoretisierten “agile” wachsen fast unbemerkt neue intraorganisatorische Macht- und Herrschaftsstrukturen. So kann man dann ganz ätscheil Belegschaften schrumpfen, das Top-Management mit Prämien belohnen für “Restrukturierungen”, Pensionsfonds plündern und via Aktienrückkäufen Börsenwerte manipulieren im Sinne einer Shareholder Value-Ideologie.
Gespickt wird das Ganze mit tautologischen Sätze, die empirisch nicht widerlegt werden können. Ein rhetorischer Taschenspieler-Trick: Wenn ich die Nichtexistenz Gottes nicht beweisen kann, ist das der Beweis für die Existenz. Man stülpt den Beratersprüchen eine Glocke der Immunität über zum Schutz vor Zweifeln und Kritik. Da diese konstruierte Fassade jederzeit zusammenbrechen kann, springen Beraterlein schnell zur nächsten tautologischen “Theorie”. “Ein stetig auf- und abschwellender Zyklus von Managementmoden ist konsequenterweise die Folge”, so Professor Lutz Becker.
Anfang 2019, also vor dem Tod meiner lieben Miliana, wollten wir dazu ein wissenschaftliches Kolloquium auf die Beine stellen. Angedacht war der 29. Mai. Mein Frau starb am 6. Mai, so dass ich nicht mehr in der körperlichen oder geistigen Verfassung war, dieses Event durchzuführen. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben. Wir sollten das im nächsten Jahr ins Auge fassen.
Die Event-Konserve ist immer noch auf YouTube angelegt: