
Der Digitalberater Thomas Knüwer wertete den Trend zum Homeoffice als den größten Managementfehler in der Pandemiezeit. Gesundheit, Karriere und die Unternehmenskultur kämen dadurch unter die Räder. Ich sehe das überhaupt nicht so. Die Bremser für dezentraler Arbeit waren eigentlich immer die Gestern-Manager, die alles unter Kontrolle halten wollen. Karikiert im legendären Film „Office Space“. Ein treffliches Opus gegen die Heiligsprechung der Präsenzkultur am Beispiel des hemdsärmeligen Vorgesetzten wie Bill Lumbergh.
Diesem Typen kann man in jedem Unternehmen begegnen. Ich sitze im Büro, also bin ich? So einen Mythos verbreiten vor allem große Organisationen in Staat und Wirtschaft mit allerlei Bespaßungsmaßnahmen, um zu kaschieren, dass das Angestelltendasein immer noch in einem „Gehäuse der Hörigkeit“ stattfindet. Je kühner Architektur-Avantgardisten und Management-Gurus die Perfektionierung des arbeitsteiligen Miteinanders im Büro auch vorantreiben – heraus kommt immer nur eine weitere Mode der humanen Käfig- und Kleingruppenhaltung.
Letztlich versteckt sich hinter den modernen Lichtsuppen-Fassaden die alte Ideologie des industriekapitalistischen Taylorismus, der auch die Büroabläufe auf Fließband-Effizienz trimmt – mit digitalen Nasenringen. Was an Freiheiten im Bürokomplex zugelassen wird, sind reine Simulationsübungen, um die Mitarbeiter bei Laune zu halten. Es regiert eine offiziöse Sprache mit leeren Floskeln und positiven Formulierungen, um wenig Reibungsflächen zu bieten. Denn schließlich geht es um Ziele, Strategien, Agilität, Innovationen, Kundenorientierung, offene Kommunikation und Kollaboration. Das kann auf jeder Konferenz und in jeder internen Sitzung in Organisationen beliebig kombiniert werden – es bleibt folgenlos. Man vermittelt das Glaubensbekenntnis, lockere Netzwerke seien offener für grundlegende Umstrukturierungen als die überkommenen pyramidalen Hierarchien, die die Ford-Ära der industriellen Massenproduktion beherrschten. Die Verbindung zwischen den Knotenpunkten ist loser, man verzichtet auf Krawattenzwang, verordnet das kollektive Duzen und produziert kecke Imagevideos für Youtube – fertig ist die vernetzte Metamorphose.
Mit dem Homeoffice bekommt man zumindest eine kleine Dosis, um sich dem Käfig der Gehorsamkeit ein wenig zu entziehen. Eines erscheint zumindest sicher: „Die ’neue Normalität‘, das ‚New Normal‘, oder auch das ‚New Different‘, wird in einem deutlich höheren Maß von einem Nebeneinander virtueller und im Büro stattfindenden Arbeitsformen gekennzeichnet sein“, so Josephine Hofmann vom Fraunhofer IAO, die gemeinsam mit Alexander und Christian Piele die Studie „Arbeiten in Corona-Pandemie – Auf dem Weg zum New Normal“ herausgegeben hat. Man erkennt es aktuell an den Stellenanzeigen. Wer junge Führungskräfte gewinnen will, kommt an guten Angeboten für die Möglichkeit dezentraler Arbeit nicht vorbei.
Was Führungskräfte jetzt brauchen: Medienkompetenz für virtuelle Formate. Kann man ändern 🙂
Bei meinen Interviews zu diesem Thema bin ich vor der Pandemie auf folgende Stellungnahmen gestoßen (nicht repräsentativ, dennoch spannend): Es sei die beste Form, um Familie und Arbeit in Balance zu halten: „Genau so wollte ich immer arbeiten. Kein Stress und keine Krankheitsausfälle.“ Ein anderer Mitarbeiter gibt zu Protokoll, dass die Homeoffice-Tätigkeit nach einem schweren Verkehrsunfall die erste Möglichkeit war, über eine Initiativbewerbung wieder arbeiten zu können: „Und mir geht es sehr gut dabei.“ Weitere Stimmen: Zu Hause sei der beste Platz zum Arbeiten ohne Mobilitätsaufwand. Das Alter spiele bei der Bewerbung keine Rolle. Es sei die optimale Beschäftigungsform: „So etwas wollte ich schon immer tun. Ich kann Familie und Arbeit in Einklang bringen.“ Flurfunk und Mobbing fallen weg, Konkurrenzdenken gegenüber Kolleginnen und Kollegen bleibt aus, Zeitdiebe wie Rushhour und ewige Parkplatzsuche bestimmen nicht mehr den Tagesablauf.