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Die Generation der Netz-Verweigerer

Anja C. Wagner von ununi.tv hat einige kluge Gedanken zur unvernetzten Generation gesagt, die ich mit meinem eigenen Freundes- und Bekanntenkreis häufig beobachte. Die absolute Verweigerung, die Digitalisierung anzunehmen und Teil der vernetzten Gesellschaft zu werden – fernab von allen Horrorvisionen über manipulative Werbung und NSA-Dauerspionage. Die Chancen des Mitmach-Webs werden links liegen gelassen. Besonders bei der 50 Plus-Generation und sehr auffällig bei den 68ern, deren alte Werte von Emanzipation, Transparenz und Beteiligung im Social Web intensiv gelebt werden und von den 68ern eigentlich mitgestaltet werden müssten. Die Revoluzzer von gestern würden gar nicht realisieren, dass sich ihre Werte im Netz wiederfinden. Auch die etwas jüngere Generation um die 50 ist nicht nur auf dem Netz-Rückzug, sie war nie richtig reingegangen und lebt in der Hoffnung, dass sich die alten Modelle noch bis zur Rente hinziehen lassen. Dadurch verweigert man sich der Mitgestaltung im netzpolitischen Diskurs, etwa bei der Durchsetzung von Plattform-Neutralität und der Bekämpfung der AGB-Dikatoren. Entsprechend fehlt auch das Verständnis, was zur Zeit die gesamte Gesellschaft transformiert.

“Die Kulturpraktiken, die wir einüben, während wir im Netz aktiv, tragen wir auch in die reale Welt mit rein”, sagt Anja im Interview mit dem Stifterverband.

Es sei wichtig, sich selber als Netzwerkknoten zu sehen und zu verstehen, wie Netzwerke und eine Netzwerk-Gesellschaft funktionieren.

“Netzwerke sind fluid, die nehmen nur die Leute auf, die wirklich etwas beitragen können. Das kann ein ganz kleiner Beitrag sein, aber das reicht, um anerkannt zu sein, um da irgendwie auch dazuzugehören. Und dass muss man begreifen. Es wäre eigentlich die Aufgabe des Bildungssystems, Menschen dahin zu bringen, diese Netzwerke selber aufbauen zu können. Nicht im Sinne vom klassischen Vitamin B, sondern dieses Denken in Netzwerken zu verstehen.”

Ich selbst habe ja mal für die Über-Fünfzigjährigen so eine Art Gruppe 47 für die digitale Sphäre ins Gespräch gebracht, die in losen Netzwerkstrukturen die Meinungsbildung vorantreibt. Schließlich war der von Hans Werner Richter ins Leben gerufene Literaturzirkel äußerst erfolgreich und prägend für die Kulturszene der Nachkriegszeit. Und das ohne literarisches und politisches Programm. „Alles war nicht eine Frage von Programmen, sondern eine Frage der Mentalität“, resümierte Richter in seinen Tagebuchnotizen. Fragt sich nur, wer von den liebwertesten Netz-Gichtlingen in die Rolle von Günter Grass, Martin Walser, Heinrich Böll, Hans Magnus Enzensberger, Marcel Reich-Ranicki und Fritz J. Raddatz schlüpft? Ich würde gerne den Enzensberger spielen.

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

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