
„Einspruch gegen Übertreibungen“ so lautet der FAZ-Gastbeitrag von IW-Chef Michael Hüther zur Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Gemeint sind die jüngsten Leitzinserhöhungen als Reaktion auf die Inflation im Euroraum.
Für März ist bekanntlich eine weitere Anhebung um 50 Basispunkte angekündet worden. „Die EZB signalisiert, dass sie angesichts des durchaus bestehenden Reputationsrisikos den restriktiven Kurs fortsetzen will, obgleich der Handlungsauftrag angesichts unverändert dominierender importierter Teuerung so eindeutig nicht ist und berechtigte Zweifel in sich trägt. Eine von keinem Zweifel angekränkelte Meinung mag Überzeugungskraft entfalten, birgt aber auch die Gefahr, dass der Zeitpunkt differenzierter Beurteilung verpasst wird”, kritisiert Hüther.
Das war vor gut zwei Jahren nicht anders. Da wurde die steigende Inflationsrate, die sich ab Jahresmitte 2021 schon abzeichnete, in Abrede gestellt, obwohl sich die angebotsseitigen Störungen häuften: Lieferengpässe, Null-Covid-Politik in China, Chipmangel, blockierte Frachthäfen und dergleichen deuteten auf einen Preisschub auf der Angebotsseite hin. Hinzugekommen ist der russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine mit den bekannten Wirkungen auf Energie und Getreide. Schon im Spätsommer 2021 machten Logistikprofessor Peter Holm und ich auf die Inflationsgefahr aufmerksam. Renommierte Wirtschaftsforscher und EZB-Chefin Christine Lagarde zuckten damals nur desinteressiert mit den Schultern und verwiesen auf Nachholeffekte durch Corona.
Letztlich wurden und werden die angebotsseitigen Risiken für die Inflation verharmlost. “Solche Diskurslagen erinnern an eine vergleichbare Situation vor dreißig Jahren, als die Deutsche Bundesbank nach der Wiedervereinigung ebenso forciert einen restriktiven Kurs einschlug, dessen Kompromisslosigkeit selbst engagierte Ordnungsökonomen irritierte”, mahnt Hüther.
Eine neue Studie der Bundesbank belegt, dass das starke Geldmengenwachstum (M3) im Pandemiejahr 2020 nicht ursächlich für den Anstieg der Inflationsrate in den Jahren 2021/22 war.
“Will die EZB mit ihrem forschen Zinskurs frühere Versäumnisse korrigieren? Dies dürfte kaum überzeugend gelingen. Oder will die Notenbank in beispielloser Ungeduld die Inflation runterprügeln, auch um den Preis einer Stabilisierungsrezession?”, fragt sich zurecht der IW-Chef.
“Dass die europäischen Volkswirtschaften derzeit eine geldpolitisch eingeleitete Rezession überhaupt nicht gebrauchen können, ist kaum erklärungsbedürftig. Die Energiekrise hat die Liquiditätspolster der Unternehmen reduziert, ein Zugang zu günstigen Krediten gerade vor dem Hintergrund der gewünschten Transformation ist erforderlich. Angesichts der staatlichen Bemühungen, den Inflationsdruck zu mindern und die Ausgabenbereitschaft der privaten Akteure zu stabilisieren, sollte die Geldpolitik nicht unruhig werden – im Gegenteil”, erklärt Hüther.
In den drei Jahren der Pandemie ist es mit großzügigen Hilfen des Staates gelungen, eine schlimme Wirtschaftskrise in Deutschland und Europa zu verhindern. Jetzt werden wieder Daumenschrauben angezogen – fiskalisch und auch geldpolitisch. Das ist für Selbständige und Firmen kaum noch durchzuhalten. Man merkt es beim Erlahmen der Bautätigkeiten und bei zurückgestellten Investitionen. Wir brauchen jetzt wieder Luft zum Atmen. Günstige Kredite, weniger Abgabenlast, Abschaffung des Soli, schlanke Verwaltung mit digitaler Kompetenz, superagile Wirtschaftsförderung, unbürokratische Unterstützungen bei Zukunftsinvestitionen sowie geld- und fiskalpolitische Klugheit.
“Die EZB scheint überschießen zu wollen, weil sie zu spät reagiert hat. Ein schlechtes Gewissen ist dennoch keine geldpolitisch überzeugende Orientierung. Vor Übertreibungen ist zu warnen”, resümiert Hüther.