Demokratie, politische Bildung und neue Formate: Die Bundeszentrale für politische Bildung wird 70

Im Interview mit dem General Anzeiger skizziert Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, einige Herausforderungen bei den Formaten seines Hauses, um möglichst alle Menschen zu erreichen:

„Wer beispielsweise keine Bücher liest, ist stattdessen vermutlich eher im Internet unterwegs. Viele junge Menschen sind über digitale Medien viel besser zu erreichen als über klassische Textformen. Zudem gibt es analoge Formate, die sehr diskursiv ausgerichtet sind, um darzustellen, dass man einander über unterschiedliche Positionen respektvoll begegnen kann. Inzwischen ist die Bundeszentrale in den Bereichen Gaming, Social Media und Webvideo unterwegs. Wir gehen über diese Kanäle ganz bewusst auf die Menschen zu, weil alles andere arrogant wäre. Und denken Sie an unseren Wahl-O-Mat, den vor der letzten Bundestagswahl jeder dritte Wahlberechtigte genutzt hat.“

Bereits 2011 formulierte die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) einen Leitsatz, der ihr in Viruszeiten das virtuelle Arbeiten in der Netzöffentlichkeit erleichtert: Die Livedokumentation sei eine Möglichkeit, die bpb-Veranstaltungen einer noch breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und das nicht nur während der Veranstaltung, sondern auch für einen längeren Zeitraum. 

„Politische Bildung findet in diesem Denken nicht ’nur‘ in Seminar- oder Konferenzräumen statt, über sie wird nicht nur in den ‚traditionellen‘ Printmedien oder Jahresberichten geschrieben, sondern sie wird über verschiedene Plattformen und sozialen Netzwerke zeitnah und für alle zugänglich im Internet. Ziel damals wie heute ist es, dass sich Nutzende in einer Diskussionsrunde durch Kommentare zu Wort melden und sich so in die initiierten Debatten einklinken“, so der bpb-Sprecher Daniel Kraft.

Mit Livestreaming-Formaten, so Kraft, könnten Tagungen und Konferenzen begleitet und kontextualisiert werden, die ansonsten nur einem kleinen, auserwählten Fachpublikum zugänglich sind. Eine einordnende Begleitung und Erweiterung der diskutierten Inhalte erschließe nicht nur ein gänzlich neues Publikum, sondern sorgt für Transparenz und kann unter dem Gesichtspunkt der Öffentlichkeitsarbeit neue Debatten überhaupt erst hervorbringen. Bei Unternehmen und anderen Organisationen habe ich mir in den vergangenen Jahren den Mund fusslig geredet, um genau diesen Aspekt in den Vordergrund zu stellen: Die Verlängerung von Content in die digitale Sphäre und die Kommunikation für Abwesende, die mein Freund und Kollege Hannes Schleeh als Vorteil fürs Livestreaming sieht. Zudem kommt die Kunst der Dokumentation hinzu, sagt Annette Schwindt, Beraterin für digitale Kommunikation: „Es gibt jeden Tag unglaublich interessante Projekte, die Unternehmen, Verbände, Vereine, NGOs oder andere Initiativen auf die Beine stellen. Häufig bekommt man davon wenig mit. Man begleitet das Ganze im Internet mehr schlecht als recht. Kuratieren, dokumentieren, in Echtzeit reagieren, Ereignisse im Kontext einordnen, schnelle redaktionelle Aufbereitung, Einbettung von Fotos und Videos, Social Web-Dienste bedienen, all das bleibt häufig auf der Strecke.“ 

Bei der Leipziger Buchmesse, die zu Beginn der Pandemie in Präsenz nicht stattfinden konnte, sind innerhalb weniger Tage virtuelle Formate von der bpb an den Start gebracht worden mit 21 Stunden Programm und weit über 50.000 Zuschauerinnen und Zuschauer, die unter dem Hashtag #Leipzigstreamt erreicht wurden. 

Daniel Kraft nennt das Livestraming 3.0, denn es geht bei diesen ortsungebundenen Ausstrahlungen nicht um das reine Abfilmen von Frontalreden oder das Einblenden von Powerpoint-Folien, sondern um das Kuratieren, Moderieren und Inszenieren von spannenden, überraschenden, diskussionsfreudigen und abwechslungsreichen Inhalten.

Bei der bpb kann man das am Beispiel der „größten Konferenz der politischen Bildung aller Zeiten“ ablesen, die zu den Aktionstagen Netzpolitik & Demokratie auf die Beine gestellt wurde. Das mit der großen Konferenz aller Zeiten war allerdings eher als witzige Übertreibung gemeint. Der Ablauf war dennoch höchst anspruchsvoll. 

Ein Programm von morgens bis abends (12 Stunden), 31 Standorte in Deutschland und Europa sowie 46 Referentinnen und Referenten, das war am Abend des 7. Juni die Bilanz dieser ersten Streaming-Konferenz . Neben zahlreichen „Schalten“ – durchschnittlich rund 15 Minutengespräche mit den unterschiedlichsten Protagonisten gab es Einspielungen, Studiogespräche und Parallelübertragungen. 

„Das Experiment war geglückt. Und auch wenn es vielleicht am Ende nicht ganz die größte Konferenz der politischen Bildung aller Zeiten war, so war es doch vielleicht die erste, die komplett ohne Konferenzsäle, Bahnfahrten, Flüge und Hotelbuchungen auskam und trotzdem in Panels, Hintergrundgesprächen, Diskussionsrunden und Vorträgen ein Thema mit Tiefgang für ein interessiertes Publikum aufbereitet hat“, erläutert Kraft. Welche Variante auch immer favorisiert wird, mit Livestreaming erweitere man den Werkzeugkoffer der klassischen PR um wichtige Tools.

Gefeiert wird übrigens in Bonn am Freitag.

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