
Machtelite von gestern
Digitale Fähigkeiten sind notwendig, aber nicht hinreichend für die Transformationsfähigkeiten von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Wenn wir weiterhin in Silos verharren und dabei ein wenig Facebook machen, ist das eben nur ein digitaler Zuckerguss
Wir brauchen Zugänge zu Wissen, Technologie, Diensten und Ideen in offenen und vernetzten Strukturen – ohne verkrustete Hierarchien, Seilschaften und Pseudoeliten. Was wir häufig in Deutschland erleben, ist das genaue Gegenteil. Die alten Eliten verbinden sich zur Absicherung ihrer Herrschaft bei gleichzeitiger Desorganisation der Gesellschaft.
Je stärker das Internet die Vernetzung vorantreibt und jeder nicht nur Empfänger von Botschaften ist, sondern auch Sender, desto stärker versuchen sich die alten Eliten abzusetzen, damit es nicht zu einem übermäßigen Vordringen von „gewöhnlichen“ Leuten in die innere Welt der Cliquen und Klüngel kommt. Der Zugang zu den Netzwerken der Herrschenden bleibt versperrt. Nachzulesen im Standardwerk von Manuel Castells „Das Informationszeitalter I – Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft“.
Über Klöster und Machtklüngel
Große Organisationen funktionieren weiterhin wie Klöster: weltabgewandt und den eigenen Regeln folgend, schreibt der Publizist Mark Terkessidis in seinem neuen Opus „Kollaboration“, erschienen in der edition suhrkamp. Er meint dabei vor allem Behörden und Beamtentum. Ähnliches lässt sich in fast allen Machtblöcken beobachten: Konzerne, Kirchen, Gewerkschaften, Stiftungen, Verbände und sonstige Zirkel agieren als geschlossene Systeme. Das Feedback und das Belohnungsszenario – Aufstieg, Ruhm, Kohle – funktionieren primär intern.
Einmal etablierte Routinen werden aufrechterhalten unabhängig von den Veränderungen der äußeren Bedingungen. Patronage und Ochsentour sind wichtiger als echte Partizipation und Transparenz. Wer diese Statik infrage stellt, wird als naiv, primitiv oder esoterisch abqualifiziert. Herrschaft in kleinen Zirkeln funktioniert nur durch das Ausschlussprinzip. Angebote zu einer Kultur des Teilens entspringen eher einer folgenlosen Rhetorik, um die traditionellen Hierarchien nicht zu gefährden.
Opium fürs Netzvolk
„Wer Freiräume gewähren will, der muss Kontrolle abgeben, ansonsten wird Freiheit nur simuliert“, so Terkessidis.
Um auch in der digitalen Welt im vertrauten Klüngel-Kreis zu bleiben, gibt es ein paar nette Selfies, Aktivitäten auf Facebook und Twitter – mehr nicht. Opium fürs Netzvolk.
Rein taktisch haben die etablierten Kräfte im Netz kräftig zugelegt – ihre digitale Kompetenz ist dennoch überschaubar. An dieser Schwachstelle sollte man ansetzen mit Machteliten-Hacking. Wir sollten die Digitalisierung und Vernetzung nutzen, um Plattformen und Formate für kollaborative Kritik zu etablieren, damit die Mächtigen vor lauter Kontrollverlust-Ängsten in Lähmung erstarren.
Man muss Gegen-Narrative in die Organisationen bringen. Die alten Eliten sind von einer Blase der Ja-Sager umgeben. Wie wäre es mit einer subversiven Injektion für kritisches Denken?
Popper, der Machteliten-Hacker
Der Philosoph Karl Popper hatte eine sehr intensive Beziehung zum leider verstorbenen Altkanzler Helmut Schmidt. Das hat den früheren Regierungschef in seinem politischen Denken sehr stark geprägt.
„Popper war indirekt ein Hacker der politischen Elite“, so Soziopod-Blogger Patrick Breitenbach.
Man brauche zudem starke Metaphern, um bei den Entscheidern der Machtelite etwas anzurichten, ergänzt brightone-Analyst Stefan Holtel.
Wie könnte eine Graswurzelbewegung die Werkzeuge des Social Webs einsetzen, um Verkrustungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft aufzubrechen? Eine Möglichkeit bietet die Ideen-Infiltration, die der Jesuit Michel de Certeau in seinem Band „Kunst des Handelns“ für listenreiche Konsumenten aufgebracht hat.
Es geht um normale User, die beim Surfen durch die Warenwelt in den Nischen des Konformismus auf ungeahnte Autonomiemöglichkeiten stoßen, ohne sich der Aufgabe des aufopfernden Heldentums widmen zu müssen. Wer ist schon gerne Märtyrer. Es reichen kleine Regelverletzungen. Man könnte während der Arbeitszeit unauffällig anderen Tätigkeiten nachgehen, Meetings mit endlosen Monologen ad absurdum führen, Vorgesetzte mit falschen Excel-Tabellen in den Wahnsinn treiben und Macho-Manager bei der nächsten Weihnachtsfeier mit scharfsinnigen Witzen als eitle Trottel bloßstellen.
Die Zweckentfremdung von digitalen Werkzeugen bietet eine Vielzahl von dadaistischen Möglichkeiten des Anarchentums: Powerpoint-Präsentationen für den Vorstand und selbst das Intranet sind ein ergiebiges Feld für Sticheleien. Klaut der eigene Boss regelmäßig seine Führungsweisheiten aus einschlägig bekannten Ratgeberbüchern der prahlerischen Beraterzunft, empfehle ich als Fußnote schlichtweg die Quellen-Angabe. In meiner Zeit beim Telefonie-Unternehmen o.tel.o ergänzte ich die Durchhalteparolen des Kommunikationsdirektors, die er aus einem Opus von Reinhard Sprenger abkupferte, mit einer Rezension des besagten Werkes.
Angeber entlarven
Die angeberischen Exkurse des Top-Managers mit dem Charme eines Autoverkäufers über seine Karriere als Bundesliga-Torwart konterte der zuständige Mitarbeiter für das Sport-Sponsoring mit einem Zitat aus dem Bundesliga-Jahrbuch: Die fußballerische Karriere des VoKuHiLa-Schwätzers währte nur kurz, weil der Protagonist den Anforderungen des Profivereins nicht gewachsen war. Um so mehr redete er von seinen Kitzbühl-Begegnungen mit Franz Beckenbauer und Konsorten. Alle Mitarbeiter, die unter diesem Zwergen-Regime dienen mussten, konnten mit den vermittelten „Hintergrundinfos“ die Auftritte des Direktoren-Würstchens besser ertragen.
Die Nahaufnahme der Entschuldigungs-Stammelei des mittlerweile gefeuerten VW-Chefs Marin Winterkorn, die auf Youtube immer noch abrufbar ist, kann als Paradebeispiel für Machteliten-Hacking herangezogen werden – wahrscheinlich unbeabsichtigt. Mit der Kameraeinstellung wurde sichtbar, dass der cholerische Auto-Macher nicht in der Lage war, sein Ehrenwort-Statement frei zu sprechen. Der bestbezahlte CEO in Europa, der nach Auskunft des IG-Metallers Bernd Osterloh angeblich jeden Euro wert ist, schrumpfte zum Teleprompter-Rhetoriker.
Zu den Establishment-Crashern zählt auch jener schlaue CDU-Berater, der auf eine Twitter-Anfrage zur Sendelizenz für das Livestreaming-Projekt von Kanzlerin Angela Merkel eine 007-Replik entgegenschleuderte. Ergebnis: Es gab nie wieder einen Live-Hangout der Regierungschefin mit der Gefahr einer weiteren Schwarzfunk-Debatte.
Wer hat die besten Ideen für Machteliten-Hacking? Wir könnten auf der re:publica-Bühne einen Wettstreit austragen und das Publikum kürt am Schluss den ultimativen Machteliten-Hacker. Wollte ich noch einreichen im Call for Papers-Verfahren der re:publica. Macht das Sinn?
Wenn der Wettbewerb nicht genommen wird, kann man das auch via Hangout on Air machen und den Champion über ein Online-Voting ermitteln. Wer hätte Lust?
Sind Sie sicher, dass Sie damit die wirklichen Macht-Eliten hacken? Am Ende kommen Sie ja selbst zum Ergebnis, dass die bisherigen Eliten sich längst selbst bloß stellen.
Haben Sie vielleicht immer noch die alten Eliten (Politiker und Branchen) im Blick. Was ist wenn die neuen Eliten inzwischen längst die Macht über die alten Eliten übernommen haben?
Wie sieht es mit den Strategien der Digitalisierungskonzerne aus? Haben diese nicht längst die effektiveren Möglichkeiten kognitive Dissonanzen zu erzeugen?
Die aktuell erfolgreichsten digitalen Geschäftsmodelle beruhen darauf, dass Dienste kostenlos angeboten werden, die zuvor Geld kosteten. Für die Nutzer ist das zunächst komfortabel. Wie beim Wechsel von der Bargeldzahlung zur Kreditkarte wird ein Prozess virtualisiert und vom direkten Zusammenhang (Tauschhandel: ich muss etwas abgeben um etwas anderes zu bekommen) entkoppelt. Die Menschen haben nun Geld übrig, das sie für andere Dinge ausgeben können. Für diejenigen, die davon lebten für die Dienste bezahlt zu werden, entfällt damit die Geschäftsgrundlage. Das nennt sich wohl Disruption. Ursache und Wirkung werden dadurch entkoppelt und für die Verbraucher intransparent.
Nun fördert ein solches Konzept einerseits einige Wirtschaftszweige indem sie Kapital für diese frei macht. Andererseits vernichtet sie Wirtschaftszweige, die durch die Kostenloskultur nicht mehr wirtschaftlich agieren können. Für mich ist das bisher höchstens ein Nullsummenspiel.
Technikorientierte Menschen – und dazu zähle ich mich auch – machen sich das Leben gerne einfach. Bisher erfolgte das vorwiegend über mechanische Hilfsmittel. Das führte mitunter dazu, dass Muskeln verkümmerten oder Menschen dick wurden, weil sie sich weiter so ernährten wie ihre Vorfahren die körperlich hart arbeiteten.
Aber was passiert, wenn wir nun komplizierte Rechen- und Denkaufgaben aus Bequemlichkeit Maschinen überlassen? Genau das passiert nach meiner Meinung gerade leider bei den meisten Nutzern digitaler Technologien.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe großen Respekt vor ihrem Engagement. Ihr Engagement verkörpert für mich den Pioniergedanken des Silicon Valley. Sie möchten gegen Eliten antreten, um der Stimme des Volkes wieder mehr Raum zu geben. Doch längst geht es einigen Firmen aus dem Silicon Valley selbst um die Weltherrschaft.
Die Digitalisierung ist daher sowohl ein Teil der Lösung als auch ein Teil des Problems.
Wichtiger als die Digitalisierung als solche, erscheint es mir die Menschen zum öffentlichen Diskurs zu bewegen. Dazu ist es nötig sich selbst Gedanken zu machen.
Wie beschrieb es Stephen Hawking noch sinngemäß? Der Sinn des Lebens entsteht im eigenen Kopf. So nehmen Menschen Dinge im gleichen Umfeld dennoch unterschiedlich war.
Mit Digitalisierung kann ich das Empfehlungsmarketing professionalisieren indem ich Big-Data-Analysen nutze. Ich habe technische Möglichkeiten Simulationen individuell an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen. Damit könnte ich quasi „personalisierte Drogen“ erzeugen, statt chemischer Drogen, die je nach Zusammensetzung und Konsument unterschiedliche Wirkungen zeigen.
Demagogen vergangener Zeiten würden sich über solche Hilfsmittel freuen. So wie es Timur Vermes in seinem Satire-Roman „Er ist wieder da“ andeutete.
Ich denke daher: Wir brauchen mehr mitdenkende Menschen. Dann kann die Digitalisierung für alle ein Gewinn werden. Wenn die Menschen durch ihre Bequemlichkeit allerdings zu reinen Konsumenten verkommen, dann wird die Digitalisierung eher zum Niedergang unserer Gesellschaft führen.
Sie sagen es ja selbst: Wir müssen davon weg kommen reine “Empfänger von Informationen” zu sein.
Alles Punkte, die wir ausführlich erörtern wollen. Gute Anregungen. Beschränkung auf alte Eliten würde zu kurz greifen. Bei der Manipulation über Maschinen, Algorithmen und Software sind wir auf dieses Problem ja kurz eingegangen. Wir werden das vertiefen. Wollen wir dazu mal ein Interview machen via Live-Hangout, fvalle?