
Wir wollen, wir werden, es gilt, es muss, wir möchten, es soll. Die Inflation der Unverbindlichkeiten in den Proklamationen der politischen Akteure beim Thema digitaler Staat ist seit Ewigkeiten zu beobachten. Das wird wohl auch in der Ampel-Koalition eine Fortsetzung erleben:
“Wir wollen einen grundlegenden Wandel hin zu einem ermöglichenden, lernenden und digitalen Staat, der vorausschauend für die Bürgerinnen und Bürger arbeitet. Es geht darum, das Leben einfacher zu machen. Staatliches Handeln soll schneller und effektiver werden und wirtschaftliche wie gesellschaftliche Innovationsprozesse befördern. Wir wollen eine neue Kultur der Zusammenarbeit etablieren, die auch aus der Kraft der Zivilgesellschaft heraus gespeist wird. Um Deutschland zügig zu modernisieren sind schnelle Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren zentrale Voraussetzung. Daher sollen im ersten Jahr der Regierung alle notwendigen Entscheidungen getroffen und durchgesetzt werden, um private wie staatliche Investitionen schnell, effizient und zielsicher umsetzen zu können. Unser Ziel ist es, die Verfahrensdauer mindestens zu halbieren. Die Verwaltung soll agiler und digitaler werden. Wir werden sie konsequent von der Bürgerin und dem Bürger her denken. Digitale Anwendungen werden jeweils mitgedacht und realisiert. Dazu wollen wir Gesetze einem Digitalisierungscheck unterziehen. Die digitalpolitische Strategie der Bundesregierung wird neu aufgesetzt (u.a. KI-Strategie, Datenstrategie, Blockchain-Strategie). Kompetenzen in der Bundesregierung werden neu geordnet und gebündelt. Den Gigabit-Ausbau treiben wir engagiert voran”, heißt es im Ampel-Sondierungspapier.
Gleicht das mal ab mit dem Koalitionsvertrag der Merkel-Scholz-Regierung, mit den Bund-Online-Jubelarien der rot-grünen Koalition unter Schröder und mit den Pressemeldungen der IT-Gipfel-Nunmehr-Digital-Gipfel-Events.

Seit über 20 Jahren wird die digitale Agenda der Bundesregierung zielgerichtet verfolgt wie ein Wackelpudding, den man an die Wand nagelt. Dazu schrieb meine Frau, die in einer nachgeordneten Behörde des BMI als Pressesprecherin tätig war: “Bislang wurden alle Bund-Online-Projekte zu Tode verwaltet. Fehlgeburten mit Lutschpastillen-Wirkung, die mangels zentraler Zuständigkeit und politischem Nachdruck in den verschiedensten Ressorts mit minimaler Sauerstoffzufuhr am Leben erhalten wurden. Ab und zu erfuhr der Netz-Patient eine Reanimation, bevor er seine letzten Bits und Bytes aushauchte.” Die digitalen Projekte des Bundes sind ein Trauerspiel. Fortsetzung folgt.
Und die Fortsetzung folgte recht schnell durch einen Hinweis auf LinkedIn:
Sascha Lobo hat dazu kürzlich eine Kolumne geschrieben und dabei auch auf Recherchen der Hackerin Lilith Wittmann verwiesen.
Lobo schreibt: “Das digitale Schilda heißt inzwischen Deutschland, und hier möchte ich von drei aktuellen Streichen berichten mit den Namen Nora, E-Rezept und ID Wallet. Es ist ja leider kaum mehr möglich, als Privatperson den Überblick über die Vielzahl der gescheiterten Digitalprojekte des Landes zu behalten.”
Die einzelnen Beispiele werden in dem Spiegel-Beitrag ausführlich auseinander genommen. Bitte dort lesen.
Aber das Resümee von Wittmann passt zu meinen Recherchen:
“‘Der Fachkompetenzmangel in der Verwaltung, also dass Menschen dort IT-Projekte leiten, die eigentlich keine Ahnung haben, was sie da tun. Sondern für die das halt nur das nächste Projekt ist.’ Ergänzt um eine falsch verstandene Fehlerkultur: ‘Es ist immer noch Usus, auch Scheißprojekte als voll den guten Erfolg zu verkaufen, obwohl alle drei Kreuze machen, wenn’s rum ist.’ Das bedeutet eben auch: Man kann noch nicht einmal aus Fehlern lernen, was eine Minimalanforderung an jedes Projektversagen wäre. Deutschland, Du digital wunderseltzames, abentheuerliches, unerhörtes Land”, schreibt Sascha Lobo.
Wie geht die Erzählung weiter? Bund-Online-Projekte von Schröder, Merkel und bald auch Scholz. Wir bleiben am Ball.