Ökologie im Konjunktiv, „klimapositive“ Schokoriegel und die Frosch-Metamorphose für Einweg-Müll @thenucompany @JuliaKloeckner @SvenjaSchulze68 @derspiegel @LZnetNEWS

Schon häufig bin ich auf unscheinbare und klitzekleine Meldungen gestoßen, die sich dann bei meinen weiteren Recherchen zu einem größeren Thema oder gar zu einem echten Skandal ausgeweitet haben. Dazu zählt beispielsweise der Hinweis der Kompostierbarkeit von Wegwerf-Verpackungen, die sich wie im Märchen in Öko-Kompost umwandeln lassen. Man könnte es gar prosaischer anlegen und von der Wandlung des hässlichen Frosches in den schönen Prinz sprechen oder vom hässlichen Entlein und der Metamorphose zum eleganten Schwan.

So steht in der neuen Ausgabe des Spiegels die kleine Meldung „Doch nicht in den
Gartenkompost?“. Und weiter heißt es im Text:

„Das Leipziger Schokolade-Start-up Nu Company ist möglicherweise nicht ganz so ökologisch, wie es nach außen vorgibt. So liegen für die Behauptung, dass die Verpackung heimkompostierbar sei, offenbar keine entsprechenden Zertifikate vor.“

Besonders nachhaltige Verpackungen müssten strenge Tests bestehen, um ein Siegel tragen zu dürfen.

„Unternehmensgründer Christian Fenner bestätigte auf Anfrage, dass die bedruckte Verbundfolie seiner Nucao-Riegel bisher keine dieser Prüfungen durchlaufen hat. Laut Fenner sei das nicht unbedingt nötig, man könne auch auf eine ‚Gartenkompostierbarkeit‘ schließen, wenn die Verbundelemente der Verpackung einzeln zertifiziert sind“, schreibt der Spiegel. So, so. Die Zertifizierungsstelle CERTCO distanziert sich von dieser „Darstellung“.

Aber es kommt noch besser. In einer Pressemitteilung schreibt Nu Company:

„Das Startup hinter nucao, dem ersten klimapositiven Schokoriegel, stößt eine breite Diskussion um die Lebensmittelindustrie an. In einem offenen Brief im Spiegel Magazin und der Lebensmittel Zeitung (es handelt sich um die Pressemitteilung von Nu Comany – dieser offene Brief war schlichtweg Reklame, gs) provoziert the nu company eine Auseinandersetzung einer neuen Generation von Unternehmertum mit der Old Economy und prangert öffentlich die Politik von Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, an.

Als eines der ersten ‚purpose-driven‘ Unternehmen in Deutschland regt the nu company eine Debatte rund um die gesundheitlichen und ökologischen Risiken der konventionellen Lebensmittelindustrie an. Hart kritisiert wird der hohe Zuckergehalt von Massenprodukten, der Umgang mit Einweg-Plastik sowie die CO2 Bilanz der Lebensmittelkonzerne. Während Großkonzerne und Politik noch Ausreden suchen, zeigt the nu company längst Lösungen auf, die es als ehrgeiziges Startup umsetzt. Eine Bewegung gegen die systemischen Strukturen der Lebensmittelindustrie sieht es dabei als dringend notwendig an und appelliert an Politik und Wirtschaft, Verantwortung zu übernehmen. Verbraucher werden dazu aufgerufen, sich zu emanzipieren und ihre Kaufentscheidungen zu überdenken.“ Ding-Dong. Eine Nummer kleiner macht es der Hersteller von profanen Riegeln nicht. In der Pressemitteilung und auf der Website des Unternehmens sind alle Management-Bullshit-Phrasen enthalten, die derzeitig durch das Social Web wabern – vor allem auf LinkedIn: Klimapositiv, gentechnikfrei, „PLASTICFREE“, purpose-driven und dergleichen mehr.

Aber kommen wir zu den Öko-Fakten, mit denen eine Ministerin (die sehr viel falsch macht) und Konzerne (die auch sehr viel falsch machen) angegriffen werden in Werbeanzeigen.

Die Einwegverpackung der Riegel-Freaks soll sich angeblich im eigenen Kompost (wer hat den schon) abbauen. So steht es zumindest in großen Lettern auf der Firmen-Website.


Es soll sich um eine Monofolie handeln, die zu 100 Prozent kompostierbar in etwa 42 Tagen sei (?). Auffällig sind die vielen Formulierungen im Konjunktiv in den Selbstdarstellungen der Öko-Retter auf Schoko-Riegel-Niveau. Erinnern wir uns an die aktuelle Spiegel-Meldung – also der redaktionelle Beitrag, der nichts mit irgendwelchen Anzeigen zu tun hat. Dort steht etwas von Verbundelemente der Verpackung.

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Und da steht dann selbst auf der Website der Firma:

„Unsere nucao Folie ist eine reine Zellulosefolie, die sich bereits innerhalb von 42 Tagen unter Idealbedingungen zersetzt. Bei unserer nupro Folie handelt es sich um ein zweischichtiges Folienlaminat, das zu 50% aus FSC-zertifizierter und gentechnikfreier Zellulose und zu 50% aus Biopolymeren besteht. Die Innenschicht der Folie aus Biopolymer ist belastbarer als die reine Zellulosefolie und schützt die wertvollen Inhaltsstoffe so optimal. Auch hier verwenden wir natürliche und nachwachsende Rohstoffe wie Zellulose, Stärke, Säure, Zucker sowie natürliche und synthetische Öle.“

Und jetzt wird es spannend:

„Durch die zusätzliche Schicht aus Biopolymer braucht unsere nupro Folie noch etwas länger bis sie vollständig kompostiert ist (etwa 180 Tage). Eine bessere Alternative ist uns bisher aber nicht bekannt.

Das Gute an unseren Verpackungen: alle Komponenten sind zertifiziert nachweislich kompostierbar, gentechnikfrei und haben die Trustmark ‚PLASTICFREE‚ von der britischen Umweltorganisation ‚A Plastic Planet‚ verliehen bekommen.“

Aber es kommt noch besser:

„Idealerweise kannst Du unsere Verpackungsfolien auf dem heimischen Kompost entsorgen. Damit die Folienbestandteile im natürlich biologischen Kreislauf zersetzt und als Wertstoffe direkt in die Natur zurückgegeben werden, braucht es ausreichend Wärme, Feuchtigkeit und Mikroorganismen. All diese Komponenten sind in einem Kompost von Natur aus gegeben, sodass unsere Folien unter idealen Bedingungen innerhalb von etwa 42 Tagen bzw. 180 Tagen vollständig zersetzt werden können. Du hast keinen eigenen Kompost? Kein Problem, denn du kannst unsere Folien auch über die Biotonne, den Restmüll oder den Gelben Sack entsorgen. Die Entsorgung über die Biotonne ist derzeit allerdings nicht überall erlaubt. Das liegt aber nicht an den Folien selbst, sondern am deutschen Müllentsorgungssystem. In Deutschland wird die Müllentsorgung nämlich kommunal geregelt, weshalb die Entsorgungszulassung von kompostierbaren Folien den technischen Möglichkeiten der kommunalen Kompostieranlagen obliegt. Nicht in jeder Kompostieranlage herrschen die gleichen Wärme- und Feuchtigkeitsbedingungen und jede Anlage hat auch ihre eigenen Bestimmungen wie viel Zeit ein Stoff bis zur vollständigen Zersetzung maximal benötigen darf. Mittlerweile ist in Deutschland tatsächlich eine Vielzahl unterschiedlichster biologisch abbaubarer Folien im Umlauf, was es für die Entsorger schwieriger macht, die Unterschiede zu erkennen und ihre Kompostieranlagen entsprechend einzustellen. Ein großer Teil der deutschen Kompostieranlagen ist momentan noch nicht auf die richtige Entsorgung kompostierbarer Folien eingestellt. Die Folien werden dort als ‚Störfaktor‘ empfunden und händisch aussortiert, was einen immensen Aufwand bedeutet. Wenn du unsere Verpackungsfolien über den Restmüll oder den Gelben Sack entsorgst, ist das zwar nicht ideal aber unsere Folie ist auch hier noch wesentlich umweltfreundlicher als herkömmliche Verpackungsfolien aus Plastik, da bei der Verbrennung keinerlei schädliche Gase oder Substanzen entstehen, die in die Umwelt gelangen.

Soweit die Firmeninformationen, die ich am Samstag, den 30. Januar, um 15 Uhr abgerufen habe.

Es ist wirklich spannend, das meine Recherchen für das Handelsblatt, die schon über 12 Jahre zurückliegen, immer wieder bestätigt werden. Damals schrieb ich: Die Hersteller werben trotz der wissenschaftlichen Zweifel an der Kompostierbarkeit mit Terminologien wie „nachhaltig“, „biologisch abbaubar“, „kompostierbar“ und „recycelbar“. Sie behaupten sogar,  dass die so genannten Biopolymere zu einer Einsparung von Kohlendioxid zwischen 30 und 80 Prozent im Vergleich zu den konventionellen Verpackungsstoffen führen. Anspruch und Wirklichkeit klaffen allerdings weit auseinander. So konnten auf der Fachmesse Interpack im Jahr 2008 in Düsseldorf die befragten Branchenvertreter nicht dokumentieren, wo und in welchen Kompostierwerken das Biomaterial verwertet wird. Eine Vertreterin nannte sogar die thermische Verwertung als mögliches Entsorgungsverfahren – was nichts anderes als Verbrennung heißt (siehe auch die Riegel-Weisheiten, die auch heute noch verbreitet werden).

Ein internationales Wissenschaftlerteam um den niederländischen Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen hat nachgewiesen, dass die zum Einsatz kommenden Energiepflanzen hochgradig klimaschädlich sind. Durch die starke Düngung gelangt das gefährliche Stickoxid (N2O) in die Atmosphäre. Ein Teil dieses Treibhausgases wird durch chemische Reaktionen in Lachgas umgewandelt – ein über 300 mal stärker wirkendes Treibhausgas als Kohlendioxid. Während man dem Rohstoff Polymilchsäure (Polyactic Acid, PLA) bisher eine größere Vielfalt unterschiedlicher Abbaumöglichkeiten nachgesagt hat, fand die britische Zeitung „The Guardian” heraus, dass PLA sich lediglich auf Deponien abbauen lässt und darüber hinaus nur in einer Handvoll anaerobischer Digestionsverfahren, die in Großbritannien existieren, kompostierbar ist. 

Wissenschaftlich unseriös ist nach Meinung von Umweltexperten die Behauptung, dass durch die Verwendung von biologisch-abbaubaren Verpackungen kein Treibhauseffekt entstehe, da nachwachsende Rohstoffe durch Sonnenlicht aus Wasser und Kohlendioxid ständig neu gebildet werden: „Das gilt vielleicht für reines Pflanzenmaterial, aber nicht für Verkaufsverpackungen. Die industrielle Landwirtschaft, die Verpackungsherstellung und die angestrebte Kompostierung belasten die Umwelt. In der gesamten Produktionskette entstehen Kohlendioxid-Emissionen“, so der Einwand eines Vertreters der Entsorgungswirtschaft.

Es gebe also keinen Grund, den Verpackungen aus nachwachsenden Rohstoffen einen ökologischen Heiligenschein zu verpassen. Die Erfahrungen der Bundesgütegemeinschaft Kompost mit den kompostierbaren Verpackungen sind ebenfalls negativ: Teile der Verpackungen tauchen im Kompost als Fremdstoffe auf, verschlechtern die Qualität und erschweren die Kompostvermarktung. Die Rottezeiten sind beim normalen Biomüll kürzer. Alles das wissen unsere Riegel-Gurus. Schließlich bleibt noch die Empfehlung mit der Restmülltonne, der gelben Tonne oder des gelben Sacks. Dann endet die hochtrabende Weltrettungsmission im Müllofen. Das Thema kennt ihr ja auf ichsagmal.com

Ich hätte nicht gedacht, dass die Öko-Eseleien im Konjunktiv auch im Jahre 2021 weitergehen. Schaut man im Netz nach, wird man von kompostierbaren Verpackungen geflutet.

Auf dieser Basis der ökologischen Gewissensberuhigung kann sich der Verbrauch an Einwegverpackungen weiter nach oben entwickeln. Er lag 2005 bei 15,4 Millionen Tonnen und ist auf über 19 Millionen Tonnen angestiegen. Die Einweg-Orgien haben mit einer klimapositiven Bilanz nichts zu tun.

Update:

In Deutschland ist es bereits heute so, dass biologisch abbaubare Kunststoffe (BAW) aus dem
System der Getrenntsammlung von Bioabfällen (Biotonne) ausgeschlossen sind. Dies gilt für Verpackungen ebenso wie für sonstige Materialien aus BAW und zwar auch dann, wenn sie als
‚biologisch abbaubar‘ oder als ‚kompostierbar‘ zertifiziert sind.

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