Frank Schirrmacher schreibt in seinem neuen Buch “Ego”, das in der nächsten Woche erscheint, über eine verhängnisvolle Verschmelzung von Ökonomie, Physik und Gesellschaftstheorie zu einer neuen Praxis der sozialen Physik.
Gestern noch bastelten renommierte Naturwissenschaftler an der Atombombe und heute verstrahlen sie mit ihren kruden Formeln, spieltheoretischen Sandkasten-Strategien und mechanistischen Algorithmen die Finanzmärkte. Die zur Sozialwissenschaft konvertierten Mathematiker sowie Physiker wollen Menschen wie Automaten steuern und sind für ihr krudes Sozialverständnis mit Nobelpreisen überhäuft worden. Auch unter den Gurus der Big-Data-Welterklärungsmaschinen des Cyberspace sind sie zahlreich zu finden.
Die von Algorithmen gesteuerte Informationsökonomie bewertet Gefühle, Vertrauen, soziale Kontakte genauso wie Aktien, Waren und ganze Volkswirtschaften – denn auch die Rating-Agenturen arbeiten nach den gleichen Rezepturen, gewähren aber keinen Einblick in ihre alchemistischen Zahlenstuben. Aber nicht erst seit der Herrschaft von naturwissenschaftlichen Renegaten wird in der Wirtschaftswissenschaft ein höchst reduziertes Menschenbild vertreten. Siehe meine heutige The European-Kolumne “Menschen wie Automaten”.
Davon waren auch die Gründungsväter der Betriebswirtschaftslehre beseelt.
“Um das zu einer Wissenschaft zu machen, haben sie sich überlegt, in irgendeiner Weise so tun, als sei das eine Naturwissenschaft”, so Professor Michael Zerr von der Karlshochschule.
Nur, was man berechnen könne und was einen eindeutigen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang hat, lässt sich als Wissenschaft verkaufen.
“Also kürzen wir alles raus, was unberechenbar ist – und das ist der Mensch. Wir betrachten einen Homunculus, man nennt ihn auch Homo Oeconomicus, der für sich allein auf der Welt Nutzen optimiert und dann aggregieren wir alle nutzenoptimierten Automaten zu irgendeiner Gesamtmenge”, erläutert Zerr.
Auf dieser Basis leitet man Modelle für wirtschaftliche Entwicklungen ab und provoziert mit dieser reduktionistischen Sichtweise die krisenhaften Verwerfungen, die man mit dem wirtschaftswissenschaftlichen Maschinisten-Handwerk eigentlich bekämpfen wollte.
Wirtschaftliches Handeln sollte eher als kulturelle Praxis verstanden werden, fordert Zerr. Mit all ihren Widersprüchen. Es geht um Macht, Leidenschaft, Beziehungen, Angst und Hysterie, die man nicht mit Formeln abbilden kann.
Daher finde ich den Rat des Black Swan-Autors Nicholas Taleb so reizvoll:
“Hören Sie nicht auf Vorhersagen der Ökonomie”.
Sie unterscheiden sich nämlich nicht vom Ratespiel. Versuch und Irrtum sei der bessere Weg. Oder einfach nur Laie sein, der sich in seine eigenen Angelegenheiten einmischt:
„Die Griechen nannten ihn idiotes, die Römer idiota: Er lebt für sich, vertraut seiner Erfahrung, pfeift auf die Finessen der Theoretiker. Als ‚Idioten’ traten die Apostel an gegen verblendete Welt- und verstockte Schriftgelehrte. Franziskus von Assisi nannte sich einen einfältigen idiota. Luther fand, die unverbildete ‚Albernheit des Laien’ sei für göttliche Botschaften empfänglicher als die eingebildete Gescheitheit der Wissenden. Das ‚Lob der Torheit’ war längst angestimmt, als Erasmus von Rotterdam es besang: Der Humanist verspottete den Bildungsdünkel, spielte Leben gegen Schule aus, Common Sense gegen Dogma, Lachen gegen Tintenernst, erklärte die Torheit zur alleinigen Quelle des sozialen und privaten Lebensglücks“, so der Publizist Ludwig Hasler.
Siehe auch:
Studenten im Bologna-Prozess: Stoff-Bulimie statt Regelbruch – Reinschaufeln, auskotzen, vergessen.
Klasse Artikel. Diesen Homonculus hatte ich mir auch schon mal aufs Korn genommen. Prof. Dueck sein Dank, wie Du ja heute an anderer Stelle schon schriebst 😉
Ich würde den Artikel auch gerne auch dem Blog der Initiative WirtschaftsDemokratie sehen. Magst Du ihn dort als Blog-Autor veröffentlichen? Wenn, dann trage ich Dich dort ein und Du kannst selbst posten.
Herzlich Martin
Gerne
Reblogged this on Vernetzt Euch!.
Lesetipp:
http://www.amazon.de/The-Origin-Wealth-Evolution-Complexity/dp/0712676619
Das Buch besteht aus drei Teilen. Der Erste ist eine Zusammenfassung der klassischen Wirtschaftstheorie und den Homunculus Modellen. Der Zweite beschreibt eine Wirtschaftstheorie auf der Basis von als zellularen Automaten modellierten Menschen, mit limitierten Reaktionszeiten und limitierten Informationen, und zeigt wie diese Modellierung zu besseren und genaueren Beschreibungen von tatsächlich beobachtetem Verhalten kommt. Der dritte Teil beschäftigt sich dann mit möglichen wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen dieser Erkenntnisse.
Für mich als hard-sciences konditionierte Person das erste Buch über Wirtschaft, daß ich nicht nur nicht-abstoßend zu lesen fand, sondern mir auch erklärte, woher mein Widerwillen gegen das Thema in der Vergangenheit rührte. Dringender Lesetipp.