Zentralistisch, großindustriell, subventionsbelastet, wettbewerbsfrei – so ist die Energiepolitik vor dem Atomausstieg betrieben worden und nur selten gab es dazu kritische Töne in der Öffentlichkeit. Nun aber hat sich der Wind gedreht, im wahrsten Sinne des Wortes und es häufen sich die kritischen Äußerungen über Sinn und Unsinn der Energiewende.
Beispiel Gabor Steingart: Er spricht gar von einer Wertvernichtung, die in den Bilanzen der Energiekonzerne RWE und E.ON, die am Donnerstag und am Freitag dieser Woche ihre Geschäftszahlen vorlegten, deutlich abzulesen sei. “Selbst wenn man die 2016 abgespaltene Tochter innogy dazurechnet, erzielt RWE seit 2005, dem Amtsantritt Angela Merkels, keinerlei Wertzuwächse mehr. Das Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen sank um mehr als ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr. Vorstandschef Rolf Martin Schmitz hofft auf Entschädigungszahlungen aus dem Bundeshaushalt und rechnet mit Massenentlassungen.” Und dann kommt der übliche Vergleich mit Sozialismus, DDR, Sowjetunion oder Planwirtschaft – kennt man aus Kreisen der FDP: “Was die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg durch Demontage und die DDR-Planwirtschaft später durch Schlendrian erreichte, schaffte Angela Merkel durch den Versuch, die Energiebasis des größten europäischen Industrielandes per Direktive zu verändern: Der deutschen Volkswirtschaft wurde schwerer Schaden zugefügt”, so Steingart.
Na toll. Wer über Wertvernichtung und Planwirtschaft jammert, sollte von den von planwirtschaftlichen Fehlsteuerungen zugunsten der großen Energiekonzerne nicht schweigen. Etwa das Abwälzen von Kosten und Risiken der Atomenergie auf die Steuerzahler.
Würde man diese Gesamtkosten in den Strompreis einrechnen und die Milliarden Euros an Fördergeldern für AKWs raus rechnen – Ökonomen nennen das Internalisierung externer Effekte – müssten wir viel höhere Preise für eine Kilowattstunde berappen. Die Atomenergie und auch die Energie aus Kohle binden gigantische Finanzmittel, personelle Ressourcen und konservieren unwirtschaftliche Großorganisationen der Energiewirtschaft. Man kann den Dinosauriern in Politik und Wissenschaft ja mal eine Gegenrechnung präsentieren, die vom Forum „Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft“ in der Studie „Billiger Strom aus Atom und Kohle?“ aufgestellt wurde.
Für die Zeit von 1970 bis 2008 ergibt sich eine Summe von rund 165 Milliarden Euro, die als Staatsknete kassiert wurde. Dann kommen noch die Kosten für den Rückbau der Atomkraftwerke dazu – etwa 42 Milliarden Euro. Zusammen ergibt das Subventionen von über 200 Milliarden Euro. Aber damit sind wir nicht ganz fertig mit der Vollkostenrechnung. Es folgen Rückbaukosten für die noch laufenden Atommeiler, die mit 34 Milliarden Euro beziffert werden. Dann fehlen die Kosten für die Endlagerung für den hochradioaktiven Abfall, für den es bislang kein Endlager gibt. Hierfür stehen die Kosten in den Sternen.
Professor Lutz Becker von der Hochschule Fresenius erwartet von der Politik, dass sie ein Konzept für eine mittelständisch geprägte Energiewende vorlegt.
„Die deutsche Solarindustrie ist am ausgestreckten Arm verhungert. Den Bürger Windparks werden alle erdenklichen Steine in den Weg geworfen, den Ausbau machen andere. Also was ist zu tun, um etwa bürgerliches/mittelständisches Engagement, etwa im Smart Grid Bereich zu fördern? Ich habe zunehmend den Eindruck, dass solche Fragestellungen viele überfordern.“
Becker, Professor Uwe Schneidewind vom Wuppertal Institut und der Wuppertaler Unternehmer Jörg Heynkes halten es nicht für sachgerecht, die Energiewende und das Erneuerbare-Energien-Gesetz, wie es beispielsweise auch der Wettbewerbsökonom Justus Haucap getan hat. Er bestreitet wie Steingart positive Wirkungen für den Klimaschutz und beanstandet die milliardenschwere Förderung des grünen Stroms.
“Es gibt ja eine Tatsache, die man schon mal gar nicht wegleugnen kann, was das EEG mindestens bewirkt hat: In der Photovoltaik und in der Windenergie. Vor allem in der Photovoltaik haben wir einen Preissturz erlebt, der ohnegleichen ist. Vergleichbar nur mit Speichertechnologie und Prozessortechnologie. Wir können uns das als Steuerzahler oder Stromzahler auf die Fahnen schreiben. Diese Technologie ist durch die Massenproduktion unfassbar günstig geworden. Wir erleben heute einen weltweiten Solarboom. Die einzigen, die sich gerade abkoppeln, sind die Deutschen. Das ist das Absurde daran. Jetzt, wo es richtig preisgünstig ist. Wenn man heute eine Solaranlage baut, dann rechnet sie sich selbst in einer Stadt wie Wuppertal. Man hat nach circa sechs bis sieben Jahren die Investition amortisiert. Danach bekommt man 35 Jahre Strom umsonst. Wir reden von Netto-Renditen zwischen acht und zehn Prozent. Soll mir irgendein Ökonom eine gute Geldanlage empfehlen, die auch nur ansatzweise eine solche Rendite verspricht, und zwar sicher verspricht, mit Steigerungspotential bei steigenden Strompreisen. Von daher finde ich die Aussage von Haucap absurd. Wir sind in Deutschland aktuell bei knapp 38 Prozent Grünstromproduktion“, sagt der Wuppertaler Unternehmer Jörg Heynkes.
Das alles sei durch das EEG in Gang gesetzt worden. Das es bei Emissionen gegenläufige Effekte über den Individualeffekt gibt, könne man nicht dem EEG anlasten.
„Hier versagen wir bei der Mobilitätswende“, betont Heynkes.
Diese pauschale Kritik an der Energiewende hängt noch Meinung von Schneidwind mit einer sehr starken disziplinären Verengung der Wirtschaft zusammen.
„Erst mal ist es ja durchaus ein richtiger Impuls, dass die Ökonomen sagen: Wofür wir verantwortlich sind, ist, dafür zu sensibilisieren, dass wir auch volkswirtschaftlich effizient mit unseren Ressourcen umgehen.“
Der Emissionshandel sei völlig falsch konstruiert worden. Auch das habe mit dem EEG nichts zu tun.
„Wir haben einen Emissionshandel, der nur ganz bestimmte Teile von Sektoren erfasst, der mit viel zu vielen Emissionsrechten am Anfang ausgestattet war, der überhaupt nicht antizipiert hat, dass da vielleicht mal eine Finanzkrise kommt, die dann diese Emissionspreise radikal in den Keller fallen lässt und damit alles andere als Erwartungssicherheit auch für die Akteure erzeugt, und man dann ganz viele Schlupflöcher und Kompensationsmöglichkeiten hat. Unter einem reinen Emissionshandels-Regime wäre es nie zu den von Jörg Heynkes skizzierten diesen technologischen Entwicklungen gekommen“, so Schneidewind.
Das EEG habe etwas ganz Entscheidendes geleistet.
„Es hat Erwartungssicherheit geschaffen für alle, die investiert haben, und damit haben wir ja auch erreicht, dass plötzlich in der Energiewende Investitionen von Akteuren kamen, die vorher überhaupt nicht in diesem Bereich unterwegs waren. Die Tatsache, dass wir so viel privates Kapital mobilisieren konnten, hat erst mal Vorteile. Was eben gar nicht in den Blick genommen wird, weil es eben nur eine rein nationale Betrachtung ist: Global ist das vermutlich die effektivste Entwicklungshilfe gewesen, die Deutschland je geleistet hat. Das deutsche EEG gekoppelt mit einer subventionierten, aufgebauten chinesischen Solarindustrie führt heute dazu, dass für sehr viele Entwicklungs- und Schwellenländer in ihrem Ausbau der Energieinfrastrukturen der regenerative Pfad dem fossilen auch ökonomisch überlegen ist. Dass das möglich wurde, ist ein Erfolg des EEG. Ich setze noch einen drauf und sage: Gerade weil uns die saubere Preissteuerung von Energie nicht gelingt, ist vielleicht das Allerbeste an der EEG-Umlage, dass sie Strom teurer macht. Denn die eigentliche Reserve, die wir brauchen, ist die Mobilisierung von Energieeffizienz. Günstige Energiepreise sind ein Horror. Wir müssen natürlich über soziale Folgen reden, und die lassen sich auch anders abfedern. Aber Energie muss teurer werden, das ist der einzige Weg, mit dem wir die Energiewende und den Klimaschutz hinbekommen“, erläutert Schneidewind.
Er könne sich einen Pfad konstanter Erhöhung eines CO2-Preises vorstellen – die Volatilität in den Weltmärkten sei ja das Gift für erwartungssichere Investitionen, meint Schneidewind:
„In Phasen, in denen die Ölpreise an sich schon höher gehen, setzt man es ein Stück aus, und in Phasen, in denen sie sehr unten sind, baut man das über entsprechende Fonds auf. So ist für jeden, was der Liter Sprit in zehn Jahren kostet, was das Heizen mit fossilen Brennstoffen in zehn Jahren kostet. Man kann mit einer ganz anderen Sicherheit sehr weitgehende Investitionsentscheidungen treffen. Wir müssen uns also sehr viel mehr in solche Dinge hineindenken.“
Natürlich sei das EEG noch nicht perfekt, kommentiert Heynkes.
„So ganz lange brauchen wir das auch nicht mehr, denn wir haben jetzt schon in der Offshore-Windenergie die Situation, dass die Preise für die Errichtung der Anlagen mittlerweile so runtergegangen sind, dass es überhaupt keine Förderung mehr braucht. Wir werden das in der Onshore-Situation wahrscheinlich auch bald erleben, in der Photovoltaik sind wir wahrlich nicht weit davon weg. Insofern glaube ich, das EEG ist auf die nächsten Jahre betrachtet ein Auslaufmodell, gar keine Frage. Wir müssen es nur klug ersetzen. Da ist eben die CO2-Steuer aus meiner Sicht das einzige vernünftige Instrument. Wenn ich auf jedes Produkt, das in diesem Land verkauft wird, eine faire CO2-Besteuerung hätte, dann könnten wir jede Menge andere Steuern streichen, einfach verschwinden lassen.“
Wir können das gerne mal in einer Fachrunde besprechen, liebewertester Gabor Steingart. Live via Skype.