
Die digitale Transformation verläuft in Deutschland sehr schleppend und müsse deshalb in der neuen Legislaturperiode deutlich forciert werden. Das geht aus dem Jahresgutachten 2022 der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) hervor. Mit den bisherigen Strukturen und Prozessen innerhalb der Bundesregierung sei es trotz aller Bemühungen nicht gelungen, die im internationalen Digitalisierungswettbewerb notwendige Dynamik zu entfachen. EFI hatte sich im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen dafür ausgesprochen, die Digitalisierung mit einem Ministerium neuer Prägung voranzutreiben und dieses mit Strukturen und Prozessen auszustatten, die agiles Politikhandeln ermöglichen.
“Anstatt ein eigenes Digitalministerium einzurichten, hat die neue Bundesregierung die Zuständigkeiten des bisherigen Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) ausgebaut, was durch die Umbenennung des Hauses zum Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) unterstrichen wird. Daneben verbleiben viele mit der Digitalisierung verbundene Aufgaben in anderen Ressorts. In dieser neuen Struktur ist es erforderlich, die digitalpolitischen Aktivitäten der verschiedenen Ressorts straffer als bisher zu koordinieren und aufeinander abzustimmen.”
Dazu müssten neben den Zuständigkeiten der verschiedenen Ressorts auch die Schnittstellen klar definiert werden und durch entsprechende ressortübergreifende Projektteams oder Taskforces eine strukturelle Verankerung erhalten. Hier sieht auch der Spitzenverband Bitkom Handlungsbedarf:
“Das neu formierte Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat den Anspruch, die digitalpolitische Federführung zu übernehmen. Das umfasst auch die Verantwortung für das Digitalbudget und Ausführung des Digitalisierungschecks für Gesetze – ein Novum in der deutschen Digitalpolitik, das wir sehr begrüßen. Aktuell geht es darum, die getroffenen Vereinbarungen in die Praxis umzusetzen”, fordert Bitkom-Präsident Achim Berg.
Der Organisationserlass, der die Neuverteilung der Kompetenzen unter den Ministerien regelt, müsse zügig umgesetzt werden und in einer klaren, unmissverständlichen Aufgabenzuweisung münden. Neben dem Digitalministerium werden auch künftig das Innen-, Wirtschafts- und Forschungsministerium Verantwortung für ihre jeweiligen Bereiche in der Digitalpolitik tragen, wie auch die Ministerien für Justiz sowie Umwelt- und Verbraucherschutz.
“Selbstverständlich hätten wir uns gewünscht, man wäre die Bündelung digitalpolitischer Kompetenzen entschiedener und mutiger angegangen. Wichtig ist jetzt, dass alle Ressorts in digitalpolitischen Belangen an einem Strang ziehen, dem Digitalministerium dabei eine führende Rolle zubilligen und schnell Ergebnisse liefern”, erläutert Berg.
Im neuen Jahresgutachten fordert EFI eine zügige Verbesserung der Bedingungen der Agentur für Sprunginnovationen (SprinD).
“Um ihre spezifischen Aufgaben bewältigen zu können, erhielt die SprinD einen institutionellen Aufbau, der sich deutlich von den Strukturen der Ministerien und Projektträger unterscheidet. Die Expertenkommission hat die Gründung der SprinD ausdrücklich begrüßt und fordert die Bun- desregierung dazu auf, die im Koalitionsvertrag angekündigte Verbesserung der rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für die SprinD zügig und wirkungsvoll umzusetzen. Dazu sind beispielsweise vergaberechtliche, haushaltsrechtliche sowie beihilferechtliche Spielräume mutiger auszuschöpfen und zu erweitern. Wichtig ist, dass die SprinD unabhängig von einer operativen Steuerung durch die Ministerialbürokratien agieren kann.”
Allerdings sollte man in der Öffentlichkeit nicht nur auf die rechtlichen Restriktionen verweisen, mahnt der EFI-Vorsitzende Professor Uwe Cantner. Schon jetzt sei vieles möglich mit der Agentur.
Kritisch sieht die Expertenkommission die Gründung von zwei weiteren Agenturen: Mit dem Ziel, anwendungsorientierte Forschung und Transfer sowie regionale und überregionale Innovationsökosysteme zu stärken, ist beispielsweise die Gründung einer Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) geplant. Sie soll laut Koali- tionsvertrag soziale und technologische Innovationen insbesondere an Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) sowie kleinen und mittle- ren Universitäten fördern. Bestehende Förderprogramme für HAW sollen nach Bekunden der Regierungsparteien die Grundlage für die DATI bilden und ausgebaut werden.
“Die Expertenkommission sieht die Gründung solch einer Agentur mit Skepsis. Die der DATI zugedachten Aufgaben decken sich in weiten Teilen mit denen, für die die Projektträger zuständig sind. Die Expertenkommission vertritt die Ansicht, dass die Gründung neuer Agenturen nur dann sinnvoll ist, wenn sie Aufgaben im deutschen F&I-System übernehmen, die zuvor nicht – weder durch staatliche Förderprogramme und Forschungseinrichtungen noch hinreichend durch das Engagement privater Akteure – abgedeckt wurden und zu deren Erfüllung institutionelle Voraussetzungen nötig sind, die noch nicht existieren.” Dies könne man bei einer DATI nicht erkennen.
Die Regierungsparteien planen zudem, die Förderbank KfW als Innovations- und Investitionsagentur auszubauen – insbesondere für KI, Quantentechnologie, Wasserstoff, Medizin, nachhaltige Mobilität, Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft. “Die Expertenkommission hält es für sinnvoll, die Funktion der KfW als Förderbank, die Investitionen in innovative Technologien ermöglicht und als Ko-Wagniskapitalgeber fungiert, zu stärken. Sie spricht sich jedoch gegen einen Ausbau der KfW zu einer Agentur aus, die klassische F&I-Förderung betreibt.”
Siehe auch:
Europa, der Staat und die Innovationen
Warum die deutschen Leistungen in der KI unterschätzt werden -Antworten von @Robert_Weber_
Ob Patente und Veröffentlichungen wirklich belastbare Indikatoren sind, um die Stärken und Schwächen im digitalen Kontext zu messen, ist mehr als fraglich: Das systematische und planmäßige Erfinden in Konzernen produziert nach Auffassung von Wolf Lotter zuverlässig eine Vielzahl an Patententen und Rechten, der Wirksamkeit allerdings fraglich ist. Da helfen dann auch nicht Erbsenzählereien in irgendwelchen Studien zur KI-Forschung weiter. Lotter verweist auf die amerikanische Innovationsforscherin Rosabeth Moss Kanter, die dieses Dilemma sehr schön auf den Punkt bringt: Meistens folgen den großartigen Innovationsankündigungen mittelmäßige Ausführungen, die anämische Resultate nach sich ziehen. Irgendwann schlägt dann das Controlling zu. Moss Kanter nennt diese Vertreter „Innovations-Ersticker“.