Den täglichen Bürostress mit Krankenkasse und Co. gib mir heute: Erlebnisse eines Solo-Selbständigen

Jeden Tag vollbringen Organisationen eine gute Tat. Es sind die Helden unseres Alltagslebens: Champions, Dienstleistungsakrobaten, weltweit führende Glücksbringer und Kundenversteher. Abgesichert und bewiesen durch Umfragen, Ranglisten, Awards, Studien und sonstige Selbstbeweihräucherungen. Je länger man an diese selbstreferentiellen Jubelarien glaubt, desto mehr hält man diese Zahlenspiele, Powerpoint-Floskeln auf Fachkonferenzen und Werbesprüchlein für die Realität: „Bei uns steht der Kunde im Mittelpunkt, er ist der König, der Umworbene, der wahre Boss und wir sind seine Untertanen.“ Klar. Solche Kalenderweisheiten passen in jedes Unternehmensleitbild. Es wäre ja auch eine gewaltige Überraschung, wenn Organisationen das Gegenteil anstreben würden.

Wenn ich der Techniker Krankenkasse telefonisch mitteile, dass ich nicht mehr mit Brief-Orgien konfrontiert werden will, bekomme ich als Antwort per Post eine Flut von fünf oder sechs Briefen mit doppelseitig eng beschriebenen Ergüssen zugeschickt. Schon die ersten Schreiben hatten mir doppelseitig auf acht Seiten irgendetwas nachberechnet und in der letzten Zeile dann einen Nachzahlungsbetrag genannt auf Grundlage von irgendwelchen Schätzungen des Finanzamtes, die für mich nicht nachvollziehbar sind. Ein Passwort mit TAN-Funktion hatte ich schon vor Monaten beantragt, damit ich das wenig nutzerfreundliche elektronische Postfach nutzen kann. Schreibe ich da etwas rein, bekomme ich Bestätigungen via E-Mail und via Post. Ständig wird man telefonisch belehrt, was alles nicht geht oder was der Gesetzgeber so vorschreibt.

Das ständige Auf und Ab meiner Einnahmen, seit 1998 kenne ich das gar nicht anders, müsse über Gewinneinbrüche dokumentiert werden. Meine Replik geht dabei ins Leere: Ich habe gar keine Gewinneinbrüche, sondern nur Monate, die ich als Saure-Gurken-Zeit bezeichne…. Das interessiert die TK am Telefon nicht. Denn in den nachfolgenden Brief-Orgien steht irgendetwas von Gewinneinbrüchen, die ich nachweisen müsse. Am Telefon bin ich entnervt gescheitert und wurde mehr oder weniger vom TK-Personal belächelt – ist keine Tatsachenbehauptung, habe ich so empfunden. Mit Banken, Postfilialen, Rentenversicherung und vielen anderen Instanzen erlebe ich nix anderes.

Kundenbelehrungen: „Schnauze“

Meine verstorbene Frau ergänzte das mit einem eigenen Erlebnis. Wer nicht wie Sprintstar Usain Bolt im Bruchteil einer Sekunde nach einem Klingelzeichen des Paketzustellers an der Haustür ist, findet in schöner Regelmäßigkeit eine Paketkarte vor. Meine Frau war so nett, in den Mittagsstunden einen der vielen ausgelagerten DHL-Paketshops aufzusuchen und überreichte der Dame am Schalter pflichtbewusst mit ihrem Personalausweis die Benachrichtigungskarte. Es folgte eine Belehrung. Die Zustellung ist zwar explizit an den Ehemann unter derselben Adresse gerichtet und es ist kein Zufall, dass meine Frau mit mir unter einem Dach wohnen würde, aber ohne eine Vollmacht des Ehegatten könne das Amazon-Paket nicht ausgehändigt werden. Warum eine Zustellung beim Nachbarn ohne Vorlage von Ausweis, beglaubigter Geburtsurkunde und polizeilichem Führungszeugnis machbar ist, eine Übergabe ohne Vollmacht am DHL-Schalter an meine Ehefrau unmöglich sei, konnte die Outsourcing-Angestellte nicht beantworten. Meine liebe Frau musste mit leeren Händen den Rückweg antreten. Also schnappte ich mir die Karte und noch eine weitere vom Konkurrenten GLS, die sich mittlerweile angesammelt hat, und ging abermals zu den Geschäften, um meine Amazon-Bestellungen in Empfang zu nehmen. Die GLS-Herberge mit dem programmatischen Namen „Schnauze“ (inzwischen ist der Laden Pleite gegangen) und einer Tatze als Logo (wenn das mal keinen Ärger mit Jack Wolfskin gibt) versprühte den Charme einer ländlichen Bahnhofskneipe. Entsprechend freundlich wird man bedient: „Unser Fahrer ist natürlich noch unterwegs. Vor 18 Uhr können Sie Ihre Zustellung nicht erhalten. Wir haben aber bis 19 Uhr geöffnet.“ Danke, Herr Franke. Ein paar Hausnummern weiter konnte ich bei DHL dann mein Büchlein „Als wir Gangster waren“ (Autor Olvier Storz) entgegennehmen. Am Schalter gab es dann noch eine Belehrung in Form eines Pappschildes: „Wir sind kein GLS Paket-Shop“. Auch schriftlich spart man sich Höflichkeitsfloskeln. Das kostet unnötig Zeit und weiterführende Erklärungen.

Entschuldigungsfolter

Nach meiner Rückkehr aus dem Niemandsland der Dienstleistungsökonomie musste ich dann feststellen, dass nach dem Vertragsende zum 1. Juni der frühere Gasanbieter nicht in die Pötte kam, eine längst fällige Gutschrift auf unser Konto zu überweisen. So etwas nennt man im Controlling „Revolvierende Finanzoptimierung“. Jeder Monat mit Zahlungsverzögerung bringt Zinserträge – vor allem bei hoher Inflation. Im Einzelfall sind das nur Kleckerbeträge. Aber wer das systematisch betreibt, kommt auf stattliche Summen. Der freundliche Dauerton in den Entschuldigungsschreiben wirkt dabei wie eine zusätzliche Foltermethode. Gefoltert wird man durch das prinzipielle Ignorieren von konkreten Anliegen. Liebe Bank XY, es ist ja schön, dass Sie so schnell mit einer automatisierten E-Mail auf unsere Wünsche reagieren. Sie haben mit Ihrer Antwort vom 24. September aber am Ziel vorbeigeschossen. Meine Frau heißt nicht „Herr Gutschmidt“. Sie wollte auch keinen Kontoauszug, sondern einen Online-Banking-Zugang. Bei solchen Rückmeldungen ist man als Kunde geneigt, das Geldinstitut nebst Filialen großräumig zu meiden. Zudem plädiere ich dafür, den Naturalien-Tausch als Zahlungsmittel einzuführen.

Der Versicherte, Steuerpflichtige und Kunde ist immer mindestens doppelt gefordert

So langsam erschließt sich mir der „Dopplungseffekt in Deutschland, den der Scones20-Blogger entdeckt hat. Ungewollt stand ich für diese Forschungsarbeit Pate. Gunnar Sohn berichtete von seinem Versuch, mit einem Netzbetreiber eine Klärung herbeizuführen. Ein Schreiben genügte nicht, nein, es mussten mindestens zwei sein. Oh ja. Schlappe drei Monate brauchte der Provider, um eine profane Vertragsumstellung zu realisieren. Zwischendurch waren wir vom Kundenservice per E-Mail beschuldigt worden, die eingereichten Unterlagen in einer zu schlechten Qualität kopiert zu haben. Als Reaktion auf meine öffentlichen Empörungsbekundungen gab dann das Social-Media-Team des Betreibers zu, dass die Digitalisierung im eigenen Hause zur Unlesbarkeit führte. An unseren Kopien lag es nicht. Wie erfreut war ich, als zwei Schreiben in unserem Briefkasten lagen. Wurde der Vollzug einer Vertragsübernahme bestätigt? Weit gefehlt. Beide Briefe richteten sich an eines meiner Kinder. In einem Schreiben bedauerte man die Unstimmigkeiten, weist uns aber noch daraufhin, dass wir die bis zur Umschreibung entstandenen Kosten und eventuelle Zahlungsrückstände termingerecht ausgleichen müssen. Ah ja. Termingerecht. Was passiert eigentlich mit Kunden, die das nicht termingerecht machen? Die bekommen dann wohl termingerecht eine Mahnung. Da geht dann alles ganz fix. Erstattungsbeiträge für Bürokratie-Irrsinn lassen sich wahrscheinlich juristisch nur schwer durchsetzen. Im zweiten Schreiben gibt es dann noch einen Willkommensgruß: „Ab sofort können Sie entspannt telefonieren.“ Witzischkeit kennt keine Grenzen … Ihr liebwertesten Gichtlinge von TK und Co., lest die Zeilen von Bill Price, Autor des Buches „The Best Service Is No Service“:

Man sollte vor allen Dingen „dumme Kontakte“ vermeiden. Sie sind für die Organisation schädlich und für die Anwender sehr ärgerlich. Als Kunde sehe ich mich in diesen Konstellationen nicht, sondern als Untertan im Bürokratie-System.

Ich fange jetzt wieder an, diesen Horror zu thematisieren.

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Siehe auch:

Digitale Prozesse? Medienbrüche!

Die öffentliche Hand liebt Medienbrüche und sie liebt vor allem analoge Briefe und Umlaufmappen: Hier dominieren nach wie vor der Postweg oder das Faxgerät. Was war das für ein Schwachsinn bei der Neuberechnung der Grundsteuer. Alle Daten liegen dem Staat vor – nur werden sie von unterschiedlichen Stellen verwaltet. Folge: Die Hauseigentümerin bekommt die A-Karte zugeschoben, die nötigen Unterlagen zu suchen, mit Androhung von Bußgeldern. Steuerbescheid scannen und der Rentenversicherung per E-Mail schicken? Nee, nee. „Da kommt erst ein Formular per Post und da heften Sie dann den Steuerbescheid dran und schicken uns das wieder zu.“

Grandios dokumentiert: Digitales Entwicklungsland Deutschland – Nicht die BRD, sonder DED muss es heißen:

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