
Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) hat nach einem Bericht der FAZ Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) dazu aufgefordert, unverzüglich den „eklatanten Verfassungsverstoß zu beseitigen“, den der Verband im „Libra Rechtsbriefing“ sieht. Im Lichte der aktuellen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sei das von der – der öffentlichen Hand zuzurechnenden – „juris GmbH verantwortete Internet-Rechtsbriefing „nicht (mehr) legitimierbar“. Das Gebot der „Staatsferne der Presse“ gelte auch für Online-Medien der öffentlichen Hand. Es verstehe sich von selbst, dass etwa „das Kanzleramt keine politische Wochenzeitung, das Wirtschaftsministerium kein umfassend informierendes Wirtschaftsmagazin, das Justizministerium keine allgemein informierende ,Justizzeitung‘ herausgeben darf“. Staatliche Öffentlichkeitsarbeit sei auf die Vermittlung der eigenen Aktivitäten beschränkt. „Libra“ verbreite jedoch „unter Verletzung des für staatliche Medien geltenden Neutralitätsgebots“ Fremdnachrichten. „Libra“ substituiere „die von der Verlagswirtschaft vorgehaltenen vergleichbaren Angebote für den Bereich ,Recht‘ (Legal Tribune online, FAZ-Einspruch, Fachseiten in Tageszeitungen usw.)“.
Das erinnert mich ein wenig an den Fall von Altkanzlerin Angela Merkel mit ihrem “Piratensender” 🙂 Daran waren Hannes Schleeh und Gunnar Sohn ja nicht ganz unbeteiligt:
Bundeskanzlerin in der Hangout-Falle
Wir waren jedenfalls sehr überrascht, als Merkel Anfang April 2013 in einer Video- Botschaft ihren Untertanen mitteilte, ein eigenes Live Streaming-Format via Hangout on Air zu starten, um mit den Bürgerinnen und Bürgern des Landes zumindest virtuell ins Gespräch zu kommen. Für Spiegel Online ist das ein perfektes Unterfangen für den Suchmaschinen-Konzern, da Google Plus als Antwort auf Facebook nicht so richtig in die Gänge kommt. Und die bislang erreichte Nutzerzahl laufe nicht ganz freiwillig: „Google bewirbt seine Facebook-Konkurrenz massiv und verknüpft sie mit anderen Diensten wie zum Beispiel YouTube. Es überrascht also, dass sich Angela Merkel ausgerechnet dieses Medium ausgesucht hat, um die Menschen zu erreichen“, so Spiegel Online. Nach dieser Logik wirbt also Merkel für Google.
Ähnlich wie US-Präsident Barack Obama und UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon. Nun möchten wir uns nicht zum Fürsprecher der Livesendung von Frau Merkel aufschwingen. Was da am 19. April mit sechs handverlesenen Bürgerinnen und Bürgern geplant wurde, stellte sich als keimfreier Ringelpiez heraus. Fragen durften vom Netzvolk nur im Vorfeld gestellt werden, die dann wohldosiert von einem hölzernen Moderator in die Diskussion eingeworfen wurden – man hatte also vor dem Start des neuen Sendeformats im Bundeskanzleramt genügend Zeit, Angela Merkel einen entsprechenden Waschzettel für die Antworten vorzubereiten. Mit Echtzeit-Interaktion und einem direkten Dialog mit der Bevölkerung hatte das nichts zu tun. Es wirkte eher gekünstelt und lächerlich, wie auch das Ankündigungsvideo von Frau Merkel. Das alles werteten wir bei Bloggercamp.tv als übliches PR-Geklingel im Vorfeld der Bundestagswahl.
Macht Merkel Staatsfernsehen?
Medienpolitischen Zündstoff bekam das Hangout-Stelldichein von Merkel durch einen Hinweis von Marco Modana. „Die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK) sieht die gegenwärtige Ausgestaltung des Parlamentsfernsehens des Deutschen Bundestages als unzulässig an. Die ZAK hatte sich nach eigenen Angaben mit der Zulässigkeit des Parlamentsfernsehens befasst, da das Angebot seit Anfang diesen Jahres unverschlüsselt als Fernsehsender und als Webstream verbreitet wird und nach Auffassung der ZAK zudem der redaktionell gestaltete Teil des Angebots stark zugenommen hat. Es sei daher zu prüfen gewesen, ob das Parlamentsfernsehen einer Lizenz für ein Rundfunkangebot bedürfe. Eine solche Lizenz könne jedoch ohnehin grundsätzlich nicht erteilt werden, da nach § 20a Abs. 3 des Rundfunkstaatsvertrags juristische Personen des öffentlichen Rechts keine Rundfunkzulassung erhalten können. Im Ergebnis sei das Parlamentsfernsehen daher schlicht illegal.“ Ver- kürzt ausgedrückt: Staatsorgane dürfen keinen Rundfunk machen. Vielleicht fehlten ihr auch die geschichtlichen Hintergründe, die noch auf den Vorgaben der westlichen Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg beruhten. Sie bestanden darauf, dass Rundfunk nie mehr als zentrales politisches Propagandainstrument missbraucht werden dürfte. Bundeskanzler Konrad Adenauer aber versuchte, ein staatlich kontrolliertes Fernsehen zu installieren. Am 28. Februar 1961 erklärte dies das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig. „Der Bund hat durch die Gründung der Deutschen Fernseh GmbH gegen Artikel 30 in Verbindung mit dem 8. Abschnitt des Grundgesetzes sowie gegen den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens und gegen Artikel 5 des Grundgesetzes verstoßen.“
007-Diskurs: Was die Kanzlerin so alles darf
Bundeskanzlerin Angela Merkel steckte vor der Ausstrahlung ihrer Hangout-Sendung in einer Falle. Als Vorsitzende der Adenauer-Partei hätte sie es besser wissen müssen. Weit vor dem Ausstrahlungstermin stellten wir am 3. April 2013 über Twitter eine Frage, die harmlos klang, aber medienpolitischen Zündstoff enthielt:
„Neues Gesprächsformat der Kanzlerin im Livestream via Hangout on Air. Hat die Kanzlerin eine Sendelizenz?“
Prompt kam die Antwort eines CDU-Beraters: „@gsohn sage nur: 007.“
007? Kann sich also die Kanzlerin ähnlich rechtsfrei bewegen wie James Bond mit seiner Lizenz zum Töten? Unsere Replik auf Twitter an @walli5:
„Alle Tiere sind gleich. Aber manche sind gleicher. Mal schauen, was die Landesmedienanstalt in Berlin dazu sagt.“
Offiziell stellten wir folgende Anfrage an die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) in dem Bewusstsein, jetzt endlich einen politischen Coup zu landen: „Rundfunk im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages ist ein linearer Informationsdienst, der für die Allgemeinheit und zum zeit- gleichen Empfang bestimmt ist und die Veranstaltung und Verbreitung von Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans unter Benutzung elektromagnetischer Schwingungen zum Inhalt hat. Veranstalter bedürfen zur Veranstaltung von Rundfunk einer Zulassung, §20 Abs. 1 Satz 1 RStV. Bundesweite Fernsehangebote bedürfen der medienrechtlichen Prüfung durch die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) sowie die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK). Soweit die Rechtslage. Nach Einschätzung der bayerischen Landeszentrale für Neue Medien gelten auch Sendungen, die über Live Streaming-Dienste wie Hangout on Air (Google Plus) ausgestrahlt werden, als Rundfunk und erfordern eine Sendelizenz. Wie werten Sie das neue Sendeformat von Bundeskanzlerin Angela Merkel, das am 19. April das erste Mal via Hangout on Air live ausgestrahlt werden soll? Siehe auch: http://youtu.be/MYQqI9wp-34 – Video nicht mehr verfügbar (gs, 16. Januar, 10:06). Verfügt das Kanzleramt als Veranstalter über eine Sende- lizenz? Ist vom Kanzleramt eine Sendelizenz in Ihrem Haus beantragt worden (Ort der Ausstrahlung ist ja Berlin)? Und wenn nein, sehen Sie das als Verstoß gegen den Rundfunkstaatsvertrag? Werden Sie ein Bußgeldverfahren gegen das Kanzleramt einleiten? Wie werten Sie generell die Liveformate, die über Streaming-Dienste wie Hangout on Air ausgestrahlt werden? Über eine kurzfristige Beantwortung meiner Fragen würde ich mich freuen.“
Piratensender Merkel
Unsere Hoffnungen auf mediale Aufmerksamkeit für die fragwürdigen medienrechtlichen Auflagen beim Live Streaming sollten sich erfüllen. Die Antwort der MABB wurde sogar als Pressemitteilung veröffentlicht, da sich die Anfragen bei der Medienaufsicht häuften: „Die Bundeskanzlerin hat angekündigt, am 19. April einen Live-Chat zum Thema Integration zu veranstalten. Diese Ankündigung wirft rundfunkrechtlich und medienpolitisch zwei Fragen auf: Erstens: Braucht man für einen solchen Live-Chat eine Rundfunklizenz, weil eine unbestimmte Vielzahl von Bürgern gleichzeitig erreicht werden kann, der Inhalt eine publizistische Relevanz hat und dem Angebot eine Sendeplanung zugrunde liegt? Zweitens: Wäre eine solche Sendelizenz mit dem Grundsatz der Staatsfreiheit des Rundfunks vereinbar, wie er vom Bundesverfassungsgericht in seinem ersten Fernsehurteil zum Projekt des Adenauer-Fernsehens entwickelt worden ist? Diese Fragen treten keinesfalls zum ersten Mal auf. So sendet das Fernsehen des Deutschen Bundestages zwar nicht mehr überregional über Satellit. Auf der Website des Deutschen Bundestags gibt es aber durchaus journalistisch gestaltete Inhalte, die dem Nutzer auf Abruf bereitstehen. Außerdem werden online Livesendungen angekündigt und angeboten, wie die Übertragung der Lesung der Rede von Otto Wels zum Jahrestag des Ermächtigungsgesetzes durch Ulrich Matthes. Auch die Sitzungen der Enquete-Kommission ‚Internet und digitale Gesellschaft‘ sind regelmäßig nach einem transparenten Zeitplan im Internet übertragen worden und haben damit interessierten Bürgern Gelegenheit gegeben, sich an der Arbeit zu beteiligen. Ähnliche Zielsetzungen verfolgen die Live-Übertragungen der Berliner Fraktionssitzungen der Piraten. Alle Fälle machen deutlich, dass es um einen völlig anderen Sachverhalt geht als die Planung des Adenauer-Fernsehens für ein zweites deutsches Fernsehprogramm. Es geht um die Öffentlichkeitsarbeit von Verfassungsorganen im Zeitalter des Internets. Die Medienanstalten sind dennoch gehalten, das geltende Recht anzuwenden, und sie stimmen sich bei der Bewertung konkreter Fälle ab. Eine abschließende Aussage der mabb zu dem geplanten Vorhaben der Bundeskanzlerin kann es deshalb derzeit nicht geben. ‚Die genannten Fälle sollten ein Anstoß für eine aktuelle medien- und netzpolitische Diskussion zu Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit im Zeitalter des Internets sein. Sie sind ein Beispiel für die Notwendigkeit, die Rundfunkordnung zu einer Medienordnung weiterzuentwickeln, die überholte Unterscheidungen überwindet‘, erklärt der Direktor der mabb, Dr. Hans Hege. Die Bestimmung der Grenzen staatlicher Betätigung darf sich angesichts der Konvergenz der Medien und der wirtschaftlichen Veränderungen durch das Internet nicht auf den Rund- funk beschränken.“
Die Ungewissheit für die Kanzlerin über die Rechtskonformität ihrer Sendung am 19. April blieb mit dieser Verlautbarung bestehen. Entsprechend kritisch fiel das Medienecho aus: „Rundfunkrecht: Merkel unter Piratensender-Verdacht“, lautete etwa die Überschrift von Spiegel Online. Rundfunk vom Staat sei außerdem verboten. „Die ‚Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film‘ ist in Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert, die Obrigkeit muss sich aus der Meinungsbildung über den Rundfunk heraushalten. Bundeskanzler Konrad Adenauer blitzte 1961 beim Verfassungsgericht mit der Idee ab, eine Art staats- gelenktes Regierungsfernsehen zu installieren. Merkels Video-Livestream wäre damit gleich doppelt illegal.“ Andere Medien bemühten Analogien zum Schwarzfunk. Fast alle „Qualitätsmedien“ bis auf dpa ließen die Primärquelle des Streits mit der Regierungschefin unerwähnt. Bloggercamp.tv verdunstete in fast allen Berichten über die prekäre Lage für Merkel. Man kennt das ja von anderen Storys, in denen Blogs dann als „Quelle Internet“ zitiert oder besser gesagt eben nicht zitiert werden. Von genauen Verlinkungen auf die Nachrichtenquelle wird natürlich auch in der Regel abgesehen. Die Klickraten könnten ja abwandern. Die Geschichte ging dann aber noch richtig los. Schleeh und Sohn beeinflussten den Diskurs der Medienpolitik und letztlich auch die Änderung der Medienregulierung.

Nachzulesen in unserem Opus “Hangout on Air”, erschienen im Hanser Fachverlag. Kann gerne die pdf-Version zur Verfügung stellen.