
“Meine Vorgesetzten wollten vor allem Leads, also Inhalte, die zu Umsatz führten: Blogposts, Listicles, Katzen-Content – jeden Scheiß, solange er Leute anlockte, denen sie Hubspots Software verkaufen konnten”, so Techjournalist Dan Lyons im Interview mit Business Punk. Je länger er dabei war, desto klarer wurde ihm, dass es so ein Gruppending ist und ein wenig wie Gehirnwäsche. Es gehe um etwas, das es auch bei anderen Startups gibt, den „cultural fit“. Über deinen Erfolg entscheidet allein, ob du dazwischenpasst und keiner, der anders denkt. Die Leute bei Hubspot waren so unbedarft. “Sie haben alles geglaubt, was man ihnen erzählt hat. Vollkommen egal, was ihr Vorgesetzter ihnen erzählt hat, selbst wenn er am Vortag das komplette Gegenteil behauptet hatte. Sie sagten zum einen wie zum anderen: ‘Awesome, terrific! That’s great.'” Es sei eine sehr seltsame, homogene Kultur junger, weißer Leute. “Der gleichen Art junger, weißer Leute. In den USA gibt es eine ziemlich große Bandbreite von ‘weißen Leuten’, aber Hubspot hatte nur eine Sorte.”
“Diese Firmen sind gar keine richtigen Firmen. Sie sind Finanzprodukte. Eine kleine Lore, die man runter in die Salzmine schickt und die gefüllt mit Geld wieder rauskommt. Nur aus diesem Grund gibt es diese Firmen. Das veränderte meine Sicht auf den Ort, an dem ich arbeitete, komplett. Mir wurde klar: Unser Produkt ist nicht die Software. Das Produkt ist die Firma selbst. Am Ende bestand mein Job darin, dazu beizutragen, eine Geschichte zu erfinden, die hilft, der Wall Street Aktien anzudrehen. Eine Geschichte, auf die nicht nur Investoren reinfallen, sondern auch die Angestellten”, erläutert Lyons.
Man holt sich Typen, die am College Lacrosse spielen, steckt sie in einen Raum und sagst Ihnen: Du bekommst 35.000 Dollar, Pizza Bier und fangt an zu verkaufen. In der Startup-Welt gebe es viele solcher Arbeitsplätze, die im Grunde Sweatshop-Jobs sind. Die anderen werden mit Storys von Weltfrieden, besseren Orten und Purpose versorgt. Opium für jene, die etwas Sinnvolles in ihrem Leben erreichen wollen.
Die wahren Gläubigen machen schnell Karriere. Alle anderen sortiert man aus. Wer den ganzen Tamtam mitmacht, hat Erfolg.
Die Erkenntnisse des früheren Newsweek-Redakeurs Dan Lyons sind ein Vademekum zur Überprüfung von digitalen Heizdecken-Verkäufern:
„Im Online-Marketing gibt es eine Reihe von Euphemismen, die beschönigen sollen, dass wir Spam verschicken. Wir bekommen zum Beispiel eingeschärft, dass wir mit unseren E-Mail-Kampagnen die Menschen nicht etwa belästigen oder stören, sondern sie vielmehr ‚pflegen’.“ Das „Lead Nurturing“, die Pflege möglicher Kundenkontakte, sei sehr wichtig. Angesichts dieser Dreistigkeit bleibe einem wirklich der Mund offen stehen. „Es ist Doppelsprech wie bei Orwell: Nacht ist Tag, schwarz ist weiß, schlecht ist gut. Unser Spam ist kein Spam, sondern das Gegenteil von Spam, geradezu Anti-Spam. Er ist ein Abwehrschild gegen Spam, ein Spam-Kondom“, resümiert Lyons.
Bei einem Berliner Startup konnte ich übrigens ähnliche Erfahrungen sammeln. Da ging es um Avatar-Welten im Business. Viele CEOs von DAX-Konzernen gaben sich damals die Klinke in die Hand und fielen auf die hohlen Sprüche und tollen Präsentationen im Partystil herein. Man wollte einfach so cool und so partygeil sein, wie die Firmengründer. Erwin Staudt und Co. können ein Lied davon singen – gelle.
Digitale Heizdeckenverkäufer. Großartig! Ich mag Dein polemisches Framing.