Wer die Masse zu repräsentieren vorgebe, kämpfe in Wirklichkeit darum, sie zu erziehen

Lust am Diskurs
Lust am Diskurs

Erst marxistisch, dann daneben. Der Publizist Peter Gente hielt sich nicht an die Regeln – und schuf so ein erfrischend GUT gelauntes Lebenswerk.

Lesenswert der Luhmann-Band „Archmides und wir”. Nachgeholfen hatte der Luhmann-Schüler Dirk Baecker mit einem Brief an Gente:

„Heute würde ich Ihnen gerne zwei Buchprojekte vorstellen, die sehr GUT in Ihre Tradition innovativen Traditionsverzichts passen würden. Im ersten Projekt handelt es sich um einen kleinen Band mit den gesammelten Interviews von Niklas Luhmann. Sie haben sicherlich mitverfolgt, zum Beispiel in der FR und in der taz, dass Luhmann einen sehr kühlen und ironischen, manchmal bissigen und in der Selbstkommentierung an ‚Monsieur Teste’ erinnernden Interviewstil entwickelt hat, der diesem Genre wieder etwas literarischen Schwung verleiht. Allesamt immer etwas launige, auf Tagesgeschehen und – eindrücke bezogene Kommentare, können sie doch auch als Einführungen in den spezifisch luhmannschen Theoriestil dienen“, so der Auszug des Becker-Schreibens, abgedruckt im neuen und äußerst lesenswerten Felsch-Band „Der lange Sommer der Theorie – Geschichte einer Revolte 1960 – 1990“, erschienen im C.H.Beck-Verlag.

Baecker und Georg Stanitzek liefern in der Einleitung des Luhmann-Buches noch eine kleine Epistemologie des Interviews. So könne man von dem Systemtheoretiker lernen, dass Kommunikation immer auch eine Operation der Beobachtung füreinander unerreichbarer Köpfe ist.

In kaum einer Gesprächsform werde dies anschaulicher als im Interview. Es wird nicht der Versuch unternommen, Köpfe kurzzuschließen. Die Gesprächsform lebt von der Zufälligkeit der Fragen, was allerdings durch Autorisierungen oder vorgefertigte Skripte häufig genug in eine aseptische und damit ungenießbare Metamorphose kippt.

Diskurse ohne Volkerziehung

Zur Merve-Kultur zählte immer die Lust am Diskurs und nicht die Volkserziehung. Das brachte Michel de Certeau, ein weiterer sehr wichtiger Autor des Berliner Verlags, trefflich zum Ausdruck: Wer die Masse zu repräsentieren vorgebe, kämpfe in Wirklichkeit darum, sie zu erziehen, zu disziplinieren und zu gruppieren.

Peter Gente und Heidi Paris kultivierten ihre GUTE Laune:

„Wir wollen ein kleiner Verlag, unscheinbar und daneben sein, und das macht irre Spaß.“

Sie nutzten das Kontrollvakuum und erfreuten sich an der Partisanenexistenz ihrer Leser. Das wird auch nach dem Tod von Gente und Paris weiterleben. Zeitlose Bände mit hoher Diskurs-Dynamik auf billigem Papier. Paperbacks, bei denen man Sätze gegen den Strich lesen kann. Schlüsse aus den Texten ziehen von denen die Texte nichts wissen und einer Kunst des Lesens aus dem Geist der Respektlosigkeit frönen. Liebwerteste Gichtlinge sollten Merve-Bände lesen.

Ausführlich in meiner The European-Kolumne nachzulesen. Drum teilet und kommentiert das heutige Stück 🙂

Sympathisch respektlos die Blogrebellen: Warum Social-Media oft zum Kotzen ist und was du daran ändern kannst.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.