
Sieben (Ost) bzw. acht (West) von zehn Befragten in Deutschland geben nach einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen zu Protokoll, dass es in der eigenen Gegend keine großen Probleme mit Flüchtlingen gibt. Ding-Dong. In Bonn-Duisdorf, also meinem Wohnbezirk, gab und gibt es keine Probleme mit Flüchtlingen. Im Gegenteil. Es gab und gibt sehr viele Initiativen, um den Menschen aus Kriegsgebieten zu helfen.
Die spontane Reaktion von Katrin Göring-Eckard, Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bundestag, trifft daher ins Schwarze: “Vielleicht sollten wir alle einen Moment innehalten und darüber reden, worüber wir eigentlich reden – oder seit Monaten auf Seite 1 berichten.”
In der Demoskopie ist dieser Sachverhalt sehr gut erforscht: Je mehr die allgemeine Einschätzung und das persönliche Erlebnis auseinanderklaffen, desto eher stützt sich die Meinungsbildung auf Sekundärerfahrungen, die man zu einem großen Teil den Medien und heute verstärkt den sozialen Medien entnimmt. Dass die privatisierten Öffentlichkeiten der Rechtspopulisten auf Twitter und Co. verzerrte Realitätsdarstellungen zelebrieren, ist dabei keine Überraschung. Fragwürdig ist allerdings die Anfälligkeit der klassischen Medien bei der Überzeichnung der Flüchtlingsfrage. Und das gilt nicht nur für die Bild-Zeitung. In der Forschung wurden dafür medienspezifische Ursachen festgemacht: Im Journalismus befolgt man in der Nachrichtenauswahl berufsspezifische Regeln. Als Grundlage der Auswahl kann man Nachrichtenfaktoren betrachten, die einem Ereignis einen mehr oder weniger großen Nachrichtenwert geben. Man bevorzugt Sonderfälle, Skandale und kriminelle Delikte. Die Berichterstattung liefert viele und meist richtige Informationen, aber kein umfassendes Bild der Realität. Das wäre nur möglich, wenn Medien dem Normalfall genauso viel Beachtung schenken würden wie dem Sonderfall.
Weiterer Faktor für die Verzerrung: Journalisten orientieren ihre Berichterstattung an den Veröffentlichungen ihrer Kollegen. Bei der Etablierung und Neubewertung von Themen gibt es medieninterne Meinungsführer, deren Vorgaben von anderen Medien aufgegriffen, modifiziert und verstärkt werden.
All das sollten wir bei der Betrachtung der Berichte seit 2015 wissenschaftlich etwas genauer unter die Lupe nehmen und korrelieren mit den Wahlergebnissen, die die AfD erzielt. Das dürfte den Medienschaffenden dann vielleicht nicht so gefallen.
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