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Über den vermeintlichen Deindustrialisierungsschock in der Autobranche und die hausgemachte Deindustrialisierung der Autokonzerne @ifo_Institut @LisandraFlach

aerial view of containers
Photo by Tom Fisk on Pexels.com
Autoland bald abgebrannt?

Die Autoindustrie hat seit 2013 laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit 9 Prozent Fertigungsberufe eingebüßt. Das schreibt Oliver Falck, Leiter des ifo Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien in einem aktuellen Aufsatz im ifo Schnelldienst. „Wir sehen momentan eine Deindustrialisierung der Autobranche, die durch den Wandel zur E-Mobilität zustande kommt. Ein Teil des Verlusts wird bereits und könnte in Zukunft noch mehr durch Batteriefertigung, Dienstleistungen im Bereich Software oder digitale Geschäftsmodelle aufgefangen werden.” Entscheidender für das künftige Fertigungslevel deutscher Hersteller seien jedoch die Verschiebungen im Wettbewerb – vor allem mit China und den USA. 

Rund 447.000 Beschäftigte stellten 2019 Produkte mit Verbrennertechnik her. Diese sind unmittelbar von der Umstellung von Verbrennungs- auf Elektromotoren betroffen – unter anderem weil Elektromotoren in der Herstellung weit weniger komplex sind als Verbrenner. „Noch produzieren die Autohersteller parallel Fahrzeuge mit beiden Antriebsarten. Mit dem Abbau dieser Doppelstrukturen wird sich der Beschäftigungsabbau in der Fertigung in den kommenden Jahren weiter beschleunigen“, sagt Falck. Die Anzahl der Beschäftigten im IT-Bereich sei seit 2013 um knapp 49 Prozent gestiegen. 
 
Die Beziehung zu China und den USA in einem veränderten geopolitischen Umfeld bestimme die künftige Position der deutschen Autoindustrie im Wettbewerb und damit auch die Produktionsvolumina, sagt Falck. Mit Tesla hätten die USA derzeit den größten Elektroauto-Produzenten der Welt auf dem Markt. Gleichzeitig fertigten deutsche Autobauer in China deutlich mehr Fahrzeuge als in Deutschland. Auch die Bedeutung chinesischer Unternehmen in der Produktion nehme zu: Immer mehr einheimische Wettbewerber drängen auf dem chinesischen Markt. Die chinesischen Produzenten BYD oder SAIC gehören bereits zu den Top 10 der weltweit größten Elektroauto-Produzenten. 

Soweit die eine Seit der Medaille, die zur Deindustrialisierung beigetragen hat. Die andere Seite liegt bei den Unternehmen selbst. Und die halte ich für viel entscheidender. Das habe ich in einer Story für ein Magazin dargelegt, das sich an Vorstände und Aufsichtsräte richtet:

„Working together to win“ war eine der zentralen Botschaften des baskischen Topmanagers José Ignacio Lòpez de Arriortúa. In der Öffentlichkeit reduzierte man den früheren GM- und VW-Manager auf das Image des gnadenlosen Kostenkillers, der vor allem die Zuliefererindustrie auspresste, wie eine Zitrone. Vor einiger Zeit habe ich dazu eine Story geschrieben und Insider der Branche befragt. Tenor: Der Kosten- und Wettbewerbsdruck in der Nach-Lopez-Ära hat sich dramatisch verschärft und führt zu einer weiteren Konzentration der Auto- Branche. Die Konzerne verfolgen eine globale Strategie mit entsprechenden Auswirkungen für die mittelständisch geprägten Zulieferer: Nur wenige Firmen in Deutschland sind in der Lage, diesem Anspruch gerecht zu werden. Die Zahl der direkten Zulieferer nimmt ab. Man muss in der Lage sein, ein Frontend nicht nur in Europa, sondern auch in anderen Weltregionen herzustellen: „Und das heißt, man muss ein internationales Netzwerk mit dem entsprechenden Lieferanten-Management aufbauen. Das ist eine unverzichtbare Voraussetzung, um modulare Systeme und die notwendige Integration zu realisieren“, so der Geschäftsführer eines großen mittelständischen Unternehmens.

Zulieferer tragen finanzielle Risiken

Autokonzerne konzentrieren sich vor allem auf den Verkauf und den Service rund ums Auto. Dazu zählen Bankgeschäfte, Versicherungen und das Leasinggeschäft. Den Rest drücken sie weg an die Lieferanten, die immer mehr finanzielle Risiken stemmen müssen. Ein radikaler Wandel der Branche ergibt sich auch aus der Reduzierung der Neuentwicklungszeiten. Früher lag der Lebenszyklus eines Fahrzeugs bei sieben bis acht Jahren. Mittlerweile kommt ein Facelift im Schnitt nach drei bis vier Jahren. Hinzu kommt noch, dass Zulieferer in einer wesentlich kürzeren Entwicklungszeit immer wieder mit Änderungswünschen des Kunden konfrontiert werden. Um adäquat darauf reagieren zu können, müssen die beauftragten Unternehmen in der Entwicklungsphase wesentlich mehr Ressourcen zur Verfügung stellen.

Industrielle Fertigungstiefe in Deutschland sinkt

Zudem verschärfen sich die Bedingungen für neue Aufträge, die von den Konzernen diktiert werden. Das nennt sich dann „Target Cost Squeeze” (damals eher das Level von Bosnien): Da werden Lieferanten bei neuen Aufträgen nur berücksichtigt, wenn sie osteuropäische Löhne als Kalkulationsbasis zu Grunde legen. „Zusätzlich fordern Firmen wie VW sogenannte Quick Savings, das sind sofort fällige Preisreduzierungen auf das bestehende Geschäft in Höhe von fünf Prozent als Gegenleistung für den Erhalt eines neuen Auftrages. Häufig ist es dann so, dass das Bestandsgeschäft noch in Deutschland produziert wird und hier der Nachlass gegeben wird, auch wenn die Produktion später in einem Low Cost Standort erfolgt. Bei jedem neuen Auftrag sinkt die Umsatzrendite im Altstandort immer weiter. Des Weiteren müssen vier Jahre lang je fünf Prozent an Preisreduktion zugesichert werden. Dieser Preisnachlass lässt sich durch Produktivitätssteigerung nur noch in den Low Cost-Standorten darstellen, da in Deutschland die meisten Abläufe bereits automatisiert wurden. Aufgrund des hohen Kostendrucks werden zusätzlich ganze Entwicklungsaufträge in Niedrigstandorte verlegt. In Indien arbeitet ein CAD- Entwicklungsingenieur für rund fünf Prozent des deutschen Gehaltsniveaus und zusätzlich ohne Arbeitszeitbegrenzung. Darüber hinaus erfolgt die Produktion der meisten Werkzeuge und Maschinen ohnehin schon in Asien”, sagt der Automobil-Kenner Thomas Meichsner.

Made in Germany war gestern

Mit einem Lohnkosten-Unterschied von rund 40 Euro in Deutschland und vier bis sechs Euro in den osteuropäischen Ländern, werden ganz sicher immer mehr Industriearbeitsplätze in Niedriglohnländer verlagert. Die Milliarden, die VW an Kosten für die Abgasmanipulationen zu tragen hat, wird das Unternehmen auf viele Schultern verteilen. Die Zulieferer bekommen das über den erhöhten Verhandlungsdruck bei Neuaufträgen zu spüren – ganz ohne Lopez. Eines muss den Autokonzernen klar sein: Wenn sie sich nicht abhängig machen wollen von den großen Mega-Zulieferern, haben sie nur in den mittelgroßen, flexiblen und innovativen Zulieferern und deren Kooperationen die leistungsfähigen Alternativen. Allerdings muss die Autoindustrie den mittelständischen Zulieferern faire Chancen zum Überleben lassen – in Deutschland.

Tja. Hier liegt der Hauptgrund für die Deindustrialisierung der Autoindustrie. Hört also auf zu jammern, liebwerteste Automanager.

Siehe auch:

Aufsatz: „Spotlight Automobilbranche: Deindustrialisierungsschock oder absehbarer Strukturwandel?“, von Oliver Falck, Lisandra Flach und Christian Pfaffl, in: ifo Schnelldienst 3/2023
https://www.ifo.de/publikationen/2023/zeitschrift-einzelheft/ifo-schnelldienst-032023-deindustrialisierung

ifo Studie: „Auswirkungen der vermehrten Produktion elektrisch betriebener Pkw auf die Beschäftigung in Deutschland“, von Oliver Falck, Nina Czernich und Johannes Koenen
https://www.ifo.de/publikationen/2021/monographie-autorenschaft/auswirkungen-der-vermehrten-produktion-elektrisch

Über den Autor

gsohn
Diplom-Volkswirt, Wirtschaftsblogger, Livestreamer, Moderator, Kolumnist und Wanderer zwischen den Welten.

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