Über klerikale Zensoren und Steigbügelhalter für Meinungshygiene

Über die Geschichte der Zensur

Die Aufregung um Löschungen von kirchenkritischen Postings des WDR-Moderators Jürgen Domians hat sich mittlerweile gelegt. Auch Domian lässt weißen Rauch aufsteigen:

„Ihr Lieben, Facebook hat sich entschuldigt. Ich nehme die Entschuldigung an. Und euch danke ich für die überwältigende Unterstützung. Das hat mich sehr beeindruckt. Gemeinsam also kann man viel bewirken. Eine gute Erfahrung. Immerhin haben mittlerweile 2,7 Millionen Menschen meinen Protest-Text gelesen. Ich hoffe, dass Facebook in Zukunft grundsätzlich und allen Usern gegenüber vorsichtiger, fairer und transparenter auftritt.“

Der Protest war also alles andere als dumm, trivial oder naiv. Der von Facebook gelöschte Text ist auf der FB-Seite von Domian wieder veröffentlicht worden. Ich bringe ihn auch noch mal. Doppelt hält besser. Siehe unten.

Bei der Debatte gab und gibt es einige Metamorphosen, die mich ärgern. Etwa die juristische Haarspalterei über den Begriff „Zensur“, die angeblich nur vom Staat ausgehen könne. Wie schon mal erwähnt, greifen Rechtsbegriffe von vorgestern für die Entwicklungen der kommerzialisierten Netzöffentlichkeiten zu kurz. Aber das will ich hier nicht weiter ausbreiten. Zudem lässt sich auch der Staat instrumentalisieren, um Kritik am bigotten Klerus zu unterdrücken. Diese Repression muss man verdünnen, so das Motto des ichsagmal-Blogs.

Warum waren aber gerade die papstkritischen Bemerkungen von Domian Gegenstand der hausmeisterlichen Sittenwächter des Facebook-Konzerns?

Wer entscheidet, wann etwas als Missbrauch eingestuft wird in Sachverhalten, die den Regeln des Rechtsstaates unterliegen wie beispielsweise üble Nachrede. Wer spielt also bei Facebook eine Rolle, die in einem Rechtsstaat der Judikative obliegt? Auf die AGBs können Sie sich nicht zurückziehen. Facebook ist ein essentieller Teil der Netzöffentlichkeit. Warum wurden die Postings von Jürgen Domian “bearbeitet”? Gab es eine “Beschwerde”? Wer hat da von außen interveniert? Wer hat die Löschung der Postings von Domian veranlasst? Warum war das “nur” ein Versehen? Und wie kann ich die Pressestelle von Facebook für ein Interview erreichen?

Meine Fragen wurden bislang nicht beantwortet. Und auch die Spekulation von Domian fand keine Antwort:

„Offensichtlich aber haben fanatische Kirchenanhänger bei Facebook so viel Wind gemacht, dass man dort eingeknickt ist.“

Um diesen Spekulationen ein Ende zu bereiten, wäre es notwendig, den Betroffenen mitzuteilen, wer sich bei Facebook beschwert hat und was inhaltlich Anlass der Beschwerde ist. Die Betroffenen müssten zumindest die Gelegenheit haben, auf diese Vorwürfe zu reagieren bevor es zur Löschung von Einträgen kommt. Alles andere ist Denunziantentum.

Aber beim Spiel über Bande zur Unterdrückung von kirchenkritischen Beiträgen gibt es im katholischen Milieu wahre Meister. Und es finden immer irgendwelche staatlichen und nicht-staatlichen Steigbügelhalter, die den klerikalen Zensurzirkus am Leben erhalten. Als Hauptwaffe dient übrigens die Bundesprüfstelle. Der eifrigste Zuträger dieser Institution war in der Nachkriegszeit der aus dem „Kölner Männerverein zur Bekämpfung öffentlicher Sittlichkeit“ hervorgegangene „Volkswartbund“. Und dieser Laden, was für ein Zufall, unterstand dem Erzbischöflichen Ordinariat der Stadt Köln.

„Jahrzehntelang hat diese Vereinigung meist unter dem Vorwand des Jugendschutzes, die bundesdeutschen Justiz- und Polizeibehörden zur Durchsetzung des eigenen beschränkten Weltbilds missbraucht. Systematisch durchkämmten die Mitglieder die Buchhandlungen, stets auf der heimlichen Suche nach Publikationen, an denen sie Anstoß nehmen konnten, und stets waren eigene Rechtsanwälte zur Hand, um die moralische Entrüstung in Worte zu fassen und an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten“, schreibt Werner Fuld in seinem höchst lesenswerten Opus „Das Buch der verbotenen Bücher“.

Um das intellektuelle Niveau der Anstoßnehmer zu beleuchten, braucht man nur auf den Versuch zweier Kölner Rechtsanwälte schauen, die eine Erzählung von Arno Schmidt verbieten wollten. Es ging um die Erzählung „Seelandschaft mit Pocahontas“, erschienen in der Zeitschrift „Texte und Zeichen“. Es sei ein Pamphlet, das auf einer ganz ungewöhnlich niedrigen Kulturstufe steht, so die Aufpasser für Sittlichkeit und Moral. Einrichtungen und Gebräuche der christlichen Religionsgemeinschaften werden beschimpft, einige Stellen wachsen zu einer öffentlichen Gotteslästerung in beschimpfenden Äußerungen aus. Zu den beanstandeten Stellen gehörten: „Ich? Atheist, allerdings! Wie jeder anständige Mensch“ und natürlich der nachdenkliche Satz: „Der Herr, ohne dessen Willen kein Sperling vom Dache fällt oder 10 Millionen im KZ vergast werden: das müsste schon ne merkwürdige Type sein – wenn’s ihn jetzt gäbe.“ Zu den Gotteslästerungen wurde übrigens auch noch die Bemerkung „Das bigotte Rheinland“ gezählt.

Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren glücklicherweise ein. So klug handelt nicht jeder.

Facebook könnte sich an dem Urteilsspruch von Richter Clayton Horn aus dem Jahr 1957 im Verfahren gegen den Gedichtband „Howl“ von Allen Ginsberg orientieren. Es endete mit einem spektakulären Freispruch – und das während der unrühmlichen McCarthy-Ära. Horn bemühte den ersten Zusatz der amerikanischen Verfassung und verteidigte die Freiheit des literarischen Ausdrucks. Von einem amerikanischen Konzern könnte man ähnliches erwarten!

Und zum Schluss kommt nun Domian wieder zu Wort:

„Und hier der zuletzt von FB gelöschte Text, er geht hiermit wieder online:

Ihr Lieben, für mich stellt sich die Frage: Ist der neue Papst der Gorbatschow der katholischen Kirche – oder bleibt im Grunde alles beim Alten? Mein spontaner Eindruck von Franziskus: sympathisch, menschlich, bescheiden. Er sagt ganz einfach bei seinem ersten Auftritt am Fenster des Petersdoms zu der wartenden Menge „Guten Abend“, er steht relativ schlicht gekleidet da (ohne Prunk-Accessoires wie das Schultercape mit Pelzbesatz), er lässt sich am nächsten Tag mit einem VW durch Rom zu seiner Herberge fahren, in der er vor dem Konklave gewohnt hat und bezahlt selbst seine noch ausstehende Rechnung dort – und er wählt einen tollen Namen: Franziskus. Denn Jorge Mario Bergoglio, so der weltliche Name des Papstes, ist ein großer Bewunderer und Verehrer von Franziskus von Assisi, jenem Bettelmönch, der sich der absoluten Armut verschrieben hat und sich ganz in den Dienst der Armen, Bedrängten und Kranken stellte. Und so galt Bergoglio bis zu seiner Papstwahl auch als der „Kardinal der Armen“ in Argentinien. Er fuhr in Buenos Aires U-Bahn, hielt sich oft in den Elendsvierteln der Stadt auf und wohnte in einem kleinen Apartment, obwohl er in dem erzbischöflichen Anwesen hätte residieren können.
Soweit – so sympathisch.
Aber da gibt es noch eine andere Seite. Bisher war Bergoglio auch ein strammer Konservativer.
Verhütung? Nein!
Homosexuelle Verbindungen? Nein!
Adoptionsrecht für homosexuelle Paare? Nein!
Abtreibung, selbst nach einer Vergewaltigung? Nein!
Frauen ins Priesteramt? Nein!
Abschaffung des Zölibats? Nein!
Als Argentinien 2010 die Homo-Ehe legalisierte sagte Kardinal Bergoglio:
„Das ist kein einfacher politischer Kampf, das ist der Versuch, Gottes Plan zu zerstören. Bei Partnerschaft des gleichen Geschlechtes wirkt der Neid des Teufels, durch den die Sünde in die Welt kam: ein Neid, der beharrlich das Ebenbild Gottes zu zerstören sucht.“
Im Klartext, bin ich arm, so werde ich vom Papst gemocht und er ist bemüht mir zu helfen. Bin ich aber arm und schwul und möchte vielleicht sogar meinen Freund heiraten, habe ich keine guten Karten. Denn irgendwie bin ich ja des Teufels.
Kommt eine arme vergewaltigte Frau zum Papst, wird er tröstende Worte finden, ihr aber gleichzeitig sagen, dass eine Abtreibung eine schlimme Sünde wäre.
Und wenn eine arme Familie mit zehn Kindern zu ihm kommt und die Eheleute sagen, dass sie kein weiteres Kind haben möchten, so wird der Papst freundlich und herzlich zu ihnen sein, ihnen seltsame Ratschläge bezüglich ihres Sexuallebens geben, von der Pille aber wird er ihnen vehement abraten und sie gleichfalls als üble Sünde erklären, ebenso das Kondom.
All dies entspricht seinen bisherigen Ansichten.
Manche Menschen aber wachsen mit und in ihrem Amt. Und so werden wir uns vielleicht noch über Franziskus wundern. Hoffen wir es! Geben wir ihm eine Chance! In einem halben, spätestens in einem Jahr wissen wir mehr. Euer Domian.

P.S. Übrigens glaube ich, dass eine andere aktuelle Personalie für das Weltgeschehen weitaus wichtiger ist als Franziskus im Vatikan. Nämlich die Wahl Xi Jinpings zum neuen chinesischen Staats- und Parteichef.“

Siehe auch:

Mein Facebook gehört mir nicht, aber jammern ist trotzdem erlaubt.

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